Neben Wittenberg gilt vor allem Worms als eine der bekanntesten Wirkungsstätten des Reformators Martin Luther. Gerade mal zehn Tage verbrachte Luther in der Stadt am Rhein, doch diese zehn Tage veränderten die Welt grundlegend.
Luther auf dem Reichstag in Worms von Michael Achhammer
Im Rathaus von Worms, jener alten und stolzen Kaiserstadt, eröffnet Karl V. am 27. Januar 1521 den Reichstag. Mehr als vier Monate verhandeln hier die mächtigen Reichsstände, Fürsten und Räte, Geistliche und Botschafter über die Themen, welche die deutschen Lande bewegen. Doch dieses Jahr wird auch ein junger Professor aus Wittenberg angehört, der mit seinen Thesen landesweit für Furore sorgt: Martin Luther.
Es regnet lutherische Schriften
Der junge Karl – gerade einmal 19 Jahre alt – ist deutscher Kaiser, spanischer König, Herrscher über ein Imperium, in dem die Sonne nicht untergeht. Erst im Jahr zuvor ist er im Aachener Dom gekrönt worden. Die Probleme des Reiches sind ihm aber weitgehend unbekannt, denn aufgewachsen ist er in den habsburgischen Niederlanden. Auch die deutsche Sprache fällt ihm schwer. Karl hofft auf dem Reichstag alle deutschen Fragen auf einmal zu lösen, damit er schnell nach Spanien zurückkehren kann, um dort den Kampf gegen seinen Intimfeind, den König von Frankreich zu organisieren. Doch schon bald muss er erkennen, dass die Interessengegensätze der Teilnehmer sehr groß sind. Unmittelbar nach Eröffnung des Reichstages werden weitere, scheinbar endlose Verhandlungen über das Protokoll geführt.
Luther selbst steht nicht auf der Tagesordnung. Die Reichsstände wollen sich nicht mit seinem Wirken befassen. Im Vordergrund stehen vielmehr die üblichen reichsrechtlichen Themen: Fragen der Verwaltung und des Landfriedens. Punkt für Punkt wollen sie in den Ausschüssen das straffe Programm abarbeiten. Im Volk hingegen ist der Wittenberger Theologe das Gesprächsthema. 1517 hatte er seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Schlosskirche in Wittenberg geschlagen und seitdem eine Reihe von kirchenkritischen Schriften veröffentlicht. Dank der neuen Technik des Buchdrucks verbreiten sie sich schnell im Reich und werden zu einem Bestseller. Selbst in Worms sind Luthers Werke begehrt, sodass der päpstliche Gesandte feststellt: „Täglich regnet es lutherische Schriften in deutscher und lateinischer Sprache.“ Es werde „gar nichts anderes verkauft als Schriften Luthers“.
Die Reise nach Worms
Dabei ist Luther erst vor wenigen Wochen durch den päpstlichen Kirchenbann quasi zum Ketzer erklärt worden. Früher hätte das automatisch den Tod bedeutet. Seit kaum zwei Jahren steht aber auch einem Ketzer ein Ächtungsverfahren zu. Damit die weltlichen Autoritäten gegen den Reformator vorgehen und seine Schriften verbieten können, muss deshalb auch der Kaiser die Reichsacht aussprechen. Ginge es nach den geistlichen Fürsten, sollte der Kaiser Luther einfach in dessen Abwesenheit verurteilen und eine Verordnung erlassen. Sie erwarten das übliche Procedere: Verbrennung der Schriften, Festnahme des Ketzers und dessen Überstellung nach Rom.
Die Mehrheit der Fürsten unter Führung von Luthers Landesherren Kurfürst Friedrich dem Weisen widersetzen sich dem Verfahren. Stattdessen wollen sie den Mönchen nicht ungehört bestraft sehen. Friedrich erreicht schließlich durch zähes Verhandeln, dass Luther seine Thesen vor dem Reichstag nochmals erläutern und verteidigen darf. Ein Novum. Der tiefgläubige Kaiser muss diesem ganz und gar ungewöhnlichen Verfahren notgedrungen zustimmen. Weder kann er die deutliche Parteinahme der Reichsstände ignorieren, noch die öffentliche Meinung. Im März zitiert Karl deshalb Luther nach Worms – und sichert ihm freies Geleit zu.
Luther reist Anfang April fast 600 Kilometer von Wittenberg an den Rhein. Auf der Reise wird Luther allerorts mit Begeisterung empfangen. Er predigt in Erfurt, Gotha und Eisenach. In Worms begrüßen ihn und seine Reisegesellschaft mehr als 2000 jubelnde Menschen.
Keine Disputation erwünscht
Die erste Begegnung zwischen Kaiser Karl V. und dem Mönch Martin Luther soll am 17. April stattfinden – nicht vor dem Reichstag, sondern im Bischofssitz, dem Aufenthaltsort des Kaisers. Mit diesem protokollarischen Kniff ist es Karl gelungen, den reichsrechtlichen Status dieser Sitzung offen zu halten und Luther abseits der großen Bühne zu verhören. Es soll keine Disputation geben. Der Angeklagte soll lediglich seine Thesen zurücknehmen. Doch Luther zögert und erbittet sich Bedenkzeit: „Damit ich ohne Gefahr für meine Seligkeit auf die Frage richtig antworte.“ Karl gewährt ihm den Aufschub.
Doch am nächsten Abend spricht Luther deutliche Worte: „Ich kann und will nicht widerrufen, weil weder sicher noch geraten ist, etwas wider das Gewissen zu tun. Es sei denn, dass ich mit Zeugnissen der Heiligen Schrift oder mit öffentlichen, klaren und hellen Gründen und Ursachen widerlegt werde, denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilen allein, weil es offensichtlich ist, dass sie oft geirrt und sich selbst widersprochen haben. Gott helfe mir. Amen.“
Der Kaiser, der mithilfe von Dolmetschern dem Verhör folgt, bricht das Verfahren ab. Er attestiert Luther mit drastischen Worten, dessen Irrtum: „Denn es ist sicher, dass ein einzelner Mönch in seiner Meinung irrt, wenn diese gegen die der ganzen Christenheit, wie sie seit mehr als tausend Jahren gelehrt wird, steht. Deshalb bin ich fest entschlossen, an diese Sache meine Reiche und Herrschaften, mein Leib, mein Blut und meine Seele zu setzen.” Von zahlreichen Anwesenden begleitet, unter einer Mischung aus Jubel und Anfeindungen, verlässt Luther den Saal. In diesem Moment, so weiß die Legende soll er den Satz gesprochen haben: „Ich bin hindurch.“
Von Worms auf die Wartburg
Martin Luther wird entlassen, jedoch nicht verhaftet, da ihm der Schutzbrief für 21 Tage freies Geleit zusichert. Er verlässt am 26. April Worms, durch das Tor, durch das er 10 Tage vorher kam. Es ist ihm nicht gelungen, den Kaiser für seine Sache zu gewinnen. Stattdessen hat dieser schon zwei Tage nach der ersten Begegnung mit Luther erklärt, dass er seiner kaiserlichen Verpflichtung, dem Schutz der römischen Kirche nachkommen werde. So verhängt Karl über den Wittenberger Theologieprofessor nach dessen Abreise die Reichsacht – das „Wormser Edikt“.
Der Platz, an dem Luther sein mutiges Bekenntnis ablegt, ist durch eine Platte im Boden gekennzeichnet. Die berühmten Worte „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“ hat er wohl nicht gesprochen, doch sie fassen heute noch den Geist seiner Rede gut zusammen. Noch heute verleihen die Lutherstädte alle zwei Jahre den Preis „Das unerschrockene Wort“. Ausgezeichnet werden Frauen und Männer, die bereit sind „für unerschrockenes Auftreten Unbill in Kauf zu nehmen – so wie seinerzeit Martin Luther, der sich 1521 während des Reichstags zu Worms vor Kaiser Karl V. für seine innere Überzeugung verantworten musste.
Weit kommt Luther übrigens nicht. Auf seiner Rückreise wird er in der Nacht auf den 5. Mai 1521 von Bewaffneten auf die Wartburg bei Eisenach geschafft. Eingefädelt hat die Aktion der sächsische Kurfürst Friedrich, der ihn dadurch vor dem Zugriff seiner Feinde schützt. Hier, auf der Festung beginnt Martin Luther das neue Testament ins Deutsche zu übersetzen. Es wird der nächste Bestseller sein.