Zwölf historische Wahrheiten über die Hexenverfolgung

Hexen
(Foto: Wikimedia commons (Ausschnitt))

So hat sich die mitteleuropäische Hexenverfolgung ins Bewusstsein der Menschen eingepflanzt: als sadistische Verfolgung von Frauen in Gerichtsverfahren, in denen Männer, zumeist Kirchenvertreter, den Angeklagten aufgrund irrwitziger Beschuldigungen den Prozess machten – ohne Blick auf entlastende Gesichtspunkten, ohne Beteiligung der Öffentlichkeit und ohne Rechtsschutz für die Frauen. Stimmt das?

1. Nicht nur Frauen waren Opfer

Selbst wenn es noch so offensichtlich zu sein scheint: Frauen, aber bei weitem nicht nur Frauen fielen den Hexenjägern und -richtern zum Opfer. Ihr Anteil lag in Deutschland im Zeitraum von 1530 bis 1730 bei 76 Prozent, in manchen Regionen, zum Beispiel im Bereich des Pariser Appellationsgerichts, sogar bei „nur“ 50 bis 60 Prozent. Während in katholischen Regionen bis zu dreißig Prozent der Hingerichteten Männer waren, verringert sich ihr Anteil in protestantischen oder reformierten Gebieten (England, Schottland, Schweden oder Niederlande) auf zehn bis 15 Prozent. Einer der Gründe für den weiblichen Überhang: Die im katholischen Bereich maßgebliche Bibelübersetzung Vulgata übersetzt die Stelle 2. Mose 22,18 mit „Die Zauberer sollst du nicht leben lassen“, die Lutherübersetzung (in Anlehnung an den hebräischen Text) hingegen: „Die Hexen sollst du nicht leben lassen". Männer hatten übrigens bessere Chancen, das Verfahren zu überstehen, weil sie im Durchschnitt wohlhabender und einflussreicher als die Frauen waren. Diese nämlich zählten überwiegend zu den unteren sozialen Schichten.

2. Es traf keine bestimmten Berufsgruppen

Die Verfolgung traf Menschen unterschiedlichster Herkunft und Berufe und zwar oft völlig unerwartet. Von einem strategischem Vorgehen gegen bestimmte Berufsstände wie zum Beispiel Hebammen oder Heilerinnen kann nicht die Rede sein. Die fragwürdige These der Bremer Soziologen Gunnar Heinsohn und Otto Steiger, die Hexenverfolger hätten „weise Frauen“ wie zum Beispiel Hebammen systematisch vernichten wollen, um deren Kenntnisse über Empfängnisverhütung und Abtreibung zu verdrängen und die Bevölkerungsentwicklung zugunsten von Staat und Kirche positiv zu beeinflussen, gilt unter Historikern als widerlegt. Der Trierer Historiker Franz Irsigler hat zum Beispiel für das 16. und 17. Jahrhundert im Trierer Raum rund 800 weibliche Prozessopfer belegen können, darunter lediglich drei Hebammen. Die Gründe für die Verfolgung lagen nämlich weniger in der Person der Betroffenen, als vielmehr in den Motiven der Verfolger. Auch Adlige, Richter, Bischöfe, Theologen, Gastwirte, Postmeister, ja selbst Leiterinnen von Klöstern kamen vor Gericht.

Wenn es bestimmte Schwerpunkte unter den Opfergruppen gab, dann die überwiegend verarmte, entwurzelte Menschen vom Land, die „unterbäuerliche“ Schicht. Doch auch sie wurde nicht gezielt verfolgt, sondern ihre Verfolgung ergab sich aus den Lebensumständen. Die Verfolgung nahm häufig im zeitlichen Zusammenhang mit Hungersnöten zu. Sie spiegeln auch die Verunsicherung der Menschen am Beginn der Neuzeit.

3. Die Beschuldigung – ein vielseitiges Werkzeug

Der Vorwurf des Schadenszaubers wurde in vielen Fällen vorgeschoben, wenn man die Menschen wegen anderer Taten nicht belangen konnte. Diebstahl, Sodomie, Alkoholmissbrauch: Auch in solchen Fällen kam es zu Anklagen wegen Hexerei. So, wie Richter ihre Anklage teilweise frei konstruierten, so folgten auch die „Besager“, also die Denunzianten oder „Zeugen“, nicht selten eigenwilligen, oft eigennützlichen Zielen: der Wunsch nach Scheidung, die frühere Verfügung über einen Erbteil, der Besitzerwerb von Nachbarn, Befriedigung persönlicher Rachgefühle, Ausschaltung von Konkurrenten um Wirtschaftsmonopolrechte, Sühne nicht verfolgter anderer Verbrechen. Und so manche Kirchengemeinde ist ihren Pfarrer, der in einem skandalösen Konkubinat lebte, mithilfe eines Hexenprozesses losgeworden.

4. Erst missbraucht, dann der Hexerei beschuldigt

Menschen mit psychischen Verletzungen oder Problemen lebten hoch gefährlich. Pubertäre Schüler, frühreife Mädchen, „schwermütige“ (depressive), hysterische oder über ihre Vergewaltigung klagende Frauen, im Umgang mit dem Gesinde pedantisch auftretende Adlige: Sie alle konnten den Verdacht auf sich ziehen, Buhlen des Teufels zu sein und in dessen Auftrag Schadenszauber zu verüben. Es gibt auch Beispiele dafür, das aus Vergewaltigungsprozessen, die zur Bestrafung der Täter eröffnet worden waren, Hexenprozesse gegen die vergewaltigten Frauen wurden. Auch Selbstanzeigen und Selbstbezichtigungen von psychisch kranken Frauen kamen vor. Selbst wenn Zeugen diese Selbstbezichtigungen widerlegten, wurde das Verfahren nicht beendet.

5. Mit den Müttern wurden ihre Kinder verurteilt

War die Mutter als Hexe verurteilt und hingerichtet worden, gerieten auch ihre Kinder leichter in Verdacht. Verhandlungen gegen Kinder, ihre Folterung und Hinrichtung waren keine Seltenheit – der Teufel machte angeblich keinen Unterschied zwischen Groß und Klein. Besagungen gegen Familienmitglieder wurden von den Gerichten zugelassen und anerkannt. Die Kinder galten als die durch ihre Eltern zuerst Verführten. In den Akten finden sich häufiger Familien, in denen über Generationen hinweg Frauen wegen Zauberei hingerichtet wurden.

6. Die Anzeigen waren anonym, das ließ die Hemmschwelle sinken

Prozessual muss man sagen, dass die Besagungen, also die anonyme Beschuldigung ohne nachfolgende Überprüfung oder Zeugenaussagen, einer der Hauptgründe war für die schnelle Ausweitung vieler Verfolgungswellen. Gerade weil sich die Besager nicht öffentlich zu erkennen geben mussten, kam es zu absurden Angaben in atemberaubender Zahl. Die bis heute erhaltenen Besagungslisten sprechen Bände. Hexenprozesse gegen einzelne Personen waren selten, denn zumindest beim Hexensabbat muss sich der Angeklagte angeblich mit anderen Hexen getroffen haben. Die teilweise und mancherorts übliche öffentliche Verlesungen von Geständnissen und der Listen der Besagten tat ein übriges: Sie wirkte wie eine Einladungen zu neuen Verdächtigungen.

7. Viele Opferzahlen waren zu hoch gegriffen

Viele Zahlangaben sind entschieden zu hoch gegriffen. Vor allem in der Frauenbewegung wurden bisweilen maßlos übersteigerte Zahlen genannt. Die feministische Zeitschrift „Woman Hating“ zum Beispiel schätzte 1974 die Zahl auf neun Millionen. Historiker geben die Zahl der Hinrichtungen zwischen 1450 und 1750 in ganz Europa und der Neuen Welt mit 60 000 bis 110 000 an. Selbst wenn man hohe Aktenverluste annimmt, ist nach einer Schätzung des renommierten Hexenforschers Franz Irsigler von der Universität Trier die Zahl der Hinrichtungen „nicht wesentlich höher als 80 000“. Andere sind noch zurückhaltender, sprechen von mindestens 60 000 Toten.

8. Evangelische und katholische Hexenjäger waren gleich fleißig

Die Konfessionen haben keinen großen Einfluss auf die Zahl der Prozesse. Die spanische Halbinsel – allerdings ohne die Pyrenäen – und Süditalien sind weitgehend frei von Hexenprozessen geblieben, wie der Historiker Gerhard Schormann schreibt. In Irland, England, Skandinavien und in Polen, Böhmen und Ungarn hat es offensichtlich weniger Opfer gegeben als in den Kernländern der Hexenprozesse: Frankreich, Norditalien, Alpenländer, Deutschland, Beneluxländer und Schottland. Wichtiger als konfessionelle Zugehörigkeit waren soziale und wirtschaftliche Krisensituationen und die Anwesenheit von besonders engagierten Hexenjägern. So konnte in zwei nebeneinander liegenden Territorien die Entwicklung gegenläufig sein. Wichtig war auch, ob die Obrigkeit die Hexenjagd förderte oder zumindest billigte.

9. Die weltlichen Gerichte taten sich besonders negativ hervor

Hexenjagd – ein kirchliches Anliegen? Als die großen Hexenverfolgungen in Wellen durch Europa liefen, im späten 16. und im 17. Jahrhundert, taten sich die weltlichen Richter ebenso wie die geistliche Führungsschicht der Länder mit ihrem Hexenwahn hervor. Auf dem Höhepunkt des Hexenwahns spielte die kirchliche Gerichtsbarkeit im Vergleich zur weltlichen kaum noch eine Rolle. „Die Verantwortung verteilt sich breiter, als nach der älteren, zum Teil noch vom Kulturkampf beeinflussten Forschungsdiskussion anzunehmen war“, urteilte der Trierer Forscher Franz Irsigler. Es war auch zuvor schon keineswegs so, als ob die Inhalte des Hexenhammers widerspruchslos von der kirchlichen Hierarchie übernommen worden wären. Ein Brixener Bischof erklärt dessen Autor Institoris sogar für verrückt.

10. Universitäten prüften und bestätigten viele Urteile

Für die Hexenprozesse galten hohe wissenschaftliche Standards, die Urteile galten als „wissenschaftlich abgesichert“. Todesurteile wurden in aller Regel von Universitäten gegengeprüft. Dies entspricht einer Empfehlung des Strafgesetzbuches von 1532, der Carolina („Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V.“). Sie hatte die Einbeziehung von juristischen Fakultäten angeregt, deren Entscheidung dann aber auch als rechtverbindlich galt. Neben juristischen erstellten auch theologische Fakultäten Gutachten. Die meisten Hexenprozesse fanden vor der geistigen Öffentlichkeit ihrer Zeit statt. Das war allerdings keine Garantie für eine liberalere Handhabung des Strafrechts. Im Gegenteil: Die Rintelner Juristenfakultät (Westfalen) vertrat sehr harte Standpunkte gegen die beschuldigten Frauen. In der Juristenfakultät in Halle gab es verschiedene Fraktionen.

11. Die Hexenprozesse – einträgliches Geschäft für die Richter

Und immer wieder das liebe Geld. Stärker noch als sadistische oder dogmatische Gründe spielten wirtschaftliche eine Rolle: Die Prozesskosten waren erheblich. Verdient haben die Richter und Henker, nicht aber die Lehnsherren. Grundsätzlich galt: Die Angeklagten oder ihre Familien mussten die Kosten bezahlen. Waren die Beschuldigten zu arm, um die Kosten selbst zu tragen, erklärten sich bisweilen die Gemeinden oder Einzelpersonen bereits, für die Kosten aufzukommen. Das Gerichtspersonal ließ es sich vielerorts auf Kosten der Angeklagten gut gehen: Sie speisten und tranken viel und anspruchsvoll und amüsierten sich dabei ordentlich. Mit Rechtsverordnungen mussten die Spesensätze begrenzt werden (wie zum Beispiel in Trier 1591).

12. Die Hexenverfolgung: ein Betätigung ganzer Dörfer

Bei aller Verwunderung über den Hexenwahn der Menschen darf man nicht vergessen: Aberglaube war allgemein stark verbreitet, auch im kirchlichen Bereich. Sie war keineswegs nur auf die unmittelbar Beteiligten der Hexenprozesse begrenzt. Im Gegenteil: Ganze Dörfer machten Druck auf die Hexenjäger und Richter, um bestimmte Menschen loszuwerden. Zum Teil nahm die Bevölkerung Verdächtige auch selbst gefangen und führte sie den Richtern zu. Spätestens bei dieser Erkenntnis wird deutlich, dass die Verfolgung von Hexen ein Anliegen weiter Bevölkerungskreise war. Die Hexenverfolgungen waren ganz eindeutig ein Massenwahn.