Protest gegen Ablasshandel hatte auch wirtschaftliche Hintergründe von Philipp Rössner

0-Euro-Schein mit Luther-Konterfei
(Montage: Joachim Gerhardt/Kirchenkreis Bonn)

Geld ist eine seltsame Bestie. Eigentlich ist es als reines Werkzeug definiert: Es soll Zahlungsmittel sein, mit dem man zum Beispiel einen Einkauf begleicht. Oder es ist Wertaufbewahrungsmittel, mit dem man Ersparnisse für zukünftige Einkäufe oder Investitionen anlegt. Natürlich ist es auch ein Wertmesser, ein Maßstab der Dinge, mit dessen Hilfe Preise notiert werden, mit denen man sich die Waren, Wertpapiere oder ähnliches erwirbt. Geld transportiert Kaufkraft vom hier und jetzt in die Zukunft. Es ist ein Werkzeug, das unser tägliches Leben vereinfachen, oder wie die Ökonomen sagen: die Transaktionskosten senken soll.

Nun spielt das Geld hier meistens nicht mit, sondern führt häufig sein Eigenleben. Anschaulichstes Beispiel ist vielleicht die derzeitige Krise im Euroraum, wo aus einem Werkzeug ein Problemkind geworden ist, das potenziell den Wohlstand großer Bevölkerungskreise aufs Spiel stetzt. Ganz ähnlich war die Situation vor 500 Jahren im Deutschland der Reformation, als dem Geldmarkt in Mitteleuropa massiv Werte entzogen wurden. Dies gehört zu den Hintergründen von Luthers Wirken. Die Grundlage der Währungssysteme war damals ein Warengeldstandard. Anders als heute definierte sich die Kaufkraft der umlaufenden Münzwährungen aufgrund der in ihnen enthaltenen Edelmetalle Gold oder Silber und nicht aus dem diesen Münzen aufgeprägten Wertversprechen, wie das bei den meisten Währungssystemen heute der Fall ist (man bezeichnet diese als fiduziäre Währungssysteme).

Verwirrende Vielfalt von Münzen

Der Grundstoff für die Geldprägung war das Silber für die Klein- und Mittelmünzen beziehungsweise Gold für die höherwertigen Rheinischen Goldgulden. Um das Jahr 1500 zirkulierte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation eine schier unübersichtliche Vielfalt an Kleinmünzen: Heller und Pfennig oder Kreuzer. An Mittelmünzen gab es die Groschen, Gnacken und Batzen. Die Grobmünzen wie Gold- und Silbergulden waren dem Fernhandel und den großen Kaufleuten vorbehalten.

Wo es etwa 500 Münzstätten und eine ähnliche Zahl von Münzherren gab, also Fürsten oder Institutionen, welche das Recht der Münzprägung ausübten, da floss aus den Münzstätten ein Wirrwarr von Geldstücken, über deren Wertigkeit häufig Experten befragt werden mussten. Denn der Feingehalt der Münzen, also die ihnen beigefügte Menge an Edelmetall, änderte sich häufig, manchmal mehrmals jährlich, und zwar hauptsächlich mit der Wertveränderung der beigefügten Edelmetalle. Ein gleichbleibender Münzwert, etwa der eines Groschen, musste, wenn der Preis für das Münzmetall Silber anstieg, mit einem verringerten Silbergehalt ausgeprägt werden (und umgekehrt). Ansonsten hätten sich clevere Zeitgenossen und flinke Geldwechsler diese Münzen einfach geschnappt und aus dem Verkehr genommen.

Schwankender Marktwert

Zwar gab es abgestufte Währungssysteme mit festgelegten Rechenkursen. Im sächsisch-mitteldeutschen Währungsraum rechnete man offiziell den Gulden zu 21 Groschen und den Groschen zu zwölf Pfennigen. Doch bestand aufgrund der häufigen Fluktuationen im Edelmetallgehalt der zirkulierenden Münzen und der immerwährenden Neuprägungen bald ein Nebeneinander von alten und neuen Münzen. Deren Marktwert und Kaufkraft entsprachen bald nicht mehr den ursprünglichen Relationen (etwa: zwölf Pfennige = ein Groschen, wie es offiziell im mitteldeutschen Raum immer hieß), sondern musste stetig aufs Neue bestimmt werden.

Münzwechselkurse waren also Marktkurse, sprich: sie waren verhandelbar. Und anders als heute, wo gilt: 1 Euro = 100 Cent und niemand das anzweifeln würde, waren damals durchaus veränderbare Relationen denkbar, etwa von neun bis 14 Pfennigen oder mehr auf den Groschen in Mitteldeutschland - je nachdem, ob es sich eben um gute Böhmische Groschen, sächsische Zinsgroschen oder zunehmend minderwertige Mansfelder, Schwarzburger, Stolberger und andere Groschen handelte. Fast immer waren sie leichter, also weniger wert als die sächsischen Münzen, die hier die Leitwährungsfunktion genossen.

Raum für Verhandlungen

Dass dies im alltäglichen Zahlungs- und Warenverkehr Probleme bereitete, liegt auf der Hand. Wo man nicht immer oder ausschließlich gutes sächsisches Geld zur Hand hat, breitet sich Raum für Verhandlungen. Was ist ein Stolberger Groschen wert, wenn ich eine Zahlung in sächsischen Zinsgroschen leisten muss? Wie viele alte Löwenpfennige (eine Pfennigart, die im 15. Jahrhundert in Sachsen zirkulierte) gehen denn nun auf meinen Groschen? Wir wissen nicht viel über die Menschen um 1500, aber eines ist sicher: Im Vergleich zu uns heute mussten sie sich tagtäglich einen Weg durch den Dschungel verschiedener Wechselkurse und Austauschrelationen bahnen, von denen wir - verwöhnt durch eine Einheitswährung, die zwischen Paris und Ljubljana gleichermaßen gilt - kaum mehr etwas ahnen können.

Wir wissen um die Problematik zunehmend schlechter werdender Kleinmünzen um 1500. Viele Zeitgenossen, nicht zuletzt Luther, beschwerten sich wiederholt darüber. Clevere Geschäftemacher übervorteilten weniger clevere Zeitgenossen, etwa indem sie ihnen möglichst viele schlechte Münzen zu einem erhöhten Kurs andrehten. Luther bezeichnete diese Praktiken als Wucher. Um die Zeit herrschte eine akute Silberknappheit in Mitteldeutschland. Die Portugiesen hatten die Route um das Kap der Guten Hoffnung für den Interkontinentalhandel erschlossen. In Lissabon und Antwerpen gaben sich deutsche Kaufleute und Finanziers die Klinke in die Hand und lieferten einen stetigen Strom von Silber, den sie aus den zentraleuropäischen Silberminen gewonnen hatten.

Rom als "Silbersaugstelle"

Viel floss ab nach Venedig und Rom. Die frühen reformatorischen Flugschriften und der satirische Diskurs der Zeit sind voll mit giftiger Polemik gegen das Papsttum als "Silbersaugstelle". Aber auch die großen Kaufmannsgesellschaften traf die volle Wucht der Publizistik, da sie, etwa die Augsburger Fugger, den Asienhandel mit diesem so wertvollen Zahlungsmittel aus Deutschland beschickten - mit dem Silber. Sobald es einmal seinen Weg nach China und zu den Gewürzinseln gefunden hatte, war es bis zu vier Mal so viel wert wie im Erzgebirge oder in Tirol.

Insbesondere floss viel Silber für Ablässe nach Rom. Mit ihnen könne man sich gewisse Zeit aus dem Fegefeuer loskaufen, so die Zusage der Ablasshändler. Ein Luxus für Reiche, aber auch einfache Leute, die ihre letzten Ersparnisse zusammenkratzten, um sich ein bisschen Pein zu ersparen auf dem Weg der Erlösung. Big Business für die Kirche und ihre Agenten. Wieder tauchen zum Beispiel die Augsburger Fugger auf, die - analog zu den modernen Giganten im Transferbankgeschäft wie die britische Barclay’s - um 1500 in großem Stile Transfers von Barmitteln aus dem mitteldeutschen Raum in die Ewige Stadt vornahmen und dabei selber satte Kommissions- und Wechselkursgewinne einstrichen.

Luther fand besonderes Gehör

In einer Zeit, in der das Geld – und damit das Werkzeug, eine steigende und wirtschaftlich immer aktivere Bevölkerung mit dem nötigen Schmierstoff zu versorgen – zunehmend versiegte oder schlechter wurde: In einer solchen Zeit wurde jemand, der sich über die frevelhaften Praktiken des Ablasshandels und des Seelenverkaufs echauffierte, dies zu einem wissenschaftlichen Problem machte und damit ungewollt die Kirchenspaltung heraufbeschwor, sicher besonders klar und deutlich gehört. Luthers 95 Thesen von 1517 befassen sich mit eben jener Praktik, die dem Wirtschaftskreislauf in Deutschland das notwendige Zirkulationsmedium entzog: Silber.


 

Philipp Rössner, Dr. phil., geboren 1977, lehrt gegenwärtig Geschichte der frühen Neuzeit an der Universität Manchester. Zuvor war er unter anderem wissenschaftlicher Assistent an der Universität Leipzig. Seine Habilitationsschrift zum Thema "Deflation, Devaluation, Rebellion: Geld im Zeitalter der Reformation" erschien 2012 im Stuttgarter Franz Steiner Verlag.