Der Macher der Lutherbotschafter im Interview.

Ottmar Hörl
(epd-bild)

Wenn 93 Prozent der Bevölkerung nicht am kulturellen Leben teilnehmen, haben nach Meinung des Installationskünstlers Ottmar Hörl die Künstler versagt. Um dies zu ändern, geht er auf die Straße, dorthin, wo nach seiner Erfahrung über Kultur offener und direkter diskutiert wird als in Galerien und Museen. Im Interview erzählt der Künstler wie er mit seinem „Lutherbotschafter“ die Schwere in Glaubensfragen auf eine leichtere Ebene heben will, und warum Kritik ihn freut.

Kein anderer Installationskünstler hat so viele Tiere mit einer bestimmten Symbolik auf die Straße und in die Landschaft gestellt wie Sie. Nun kommt mit Luther eine Figur von großer historischer Bedeutung, ein Weltbeweger seiner Zeit. Wie kam es dazu?

Hörl: Ich bin selbst nicht darauf gekommen. Ich wurde gefragt, ob ich mir vorstellen könne, mich mit Luther zu beschäftigen. Du setzt dich mit Leben und Wirkung dieses Mannes auseinander und erlebst plötzlich einen Zeitraffer. Du stellst fest, welch brisante inhaltliche Idee daraus resultiert. Luther war alles andere als ein Heiliger. Er war ein Mensch, der sich nicht als Heiliger verstanden hat, letztendlich die Welt aber mehr verändert hat als alle Heiligen zusammen. Luther hat versucht, etwas Kleinformatiges in der Kirche zu verändern, und daraus ist ein unglaubliches Format geworden. (Was sich daraus entwickelte, hat für mich im künstlerischen Sinn sehr viel mit Serie und Reihung zu tun.) Und für mich ist die entscheidende Frage: Wie entsteht daraus eine künstlerische Konzeption, die sich glaubwürdig damit auseinandersetzt?

Ihre Lutherfigur ist eine verkleinerte Kopie des Denkmals von Johann Gottfried Schadow. Mit der Verkleinerung und der Vervielfältigung hat Luther manches von seinem Nimbus und das Kunstwerk von seiner „Aura“ verloren. Ist dies beabsichtigt?

Hörl: Es gibt einen großen Irrtum in unserer Gesellschaft, was die Bedeutung des Originals angeht. Das sind Wertvorstellungen des 19. Jahrhunderts, als das Bürgertum anfing sich zu nobilitieren und alles dem Adel abguckte. Man machte genau dieselben Fehler, wollte etwas Einzigartiges haben, ein Gemälde mit einer Aura, was nur einer besitzt, was einen hervorhebt. Luther war eigentlich der Antipode eines solchen Denkens. Was Luther umtrieb, hatte mit auratischen Dingen nichts zu tun, ganz im Gegenteil. Er wollte die Christenheit aufklären, und Aufklärung ist das absolute Gegenteil von auratischen Verhältnissen. Wir können also die Aura Luthers gar nicht zerstören, weil er diese Aura nie hatte.

Sie produzieren die Lutherfigur in Serie und machen ihn damit, so die Kritiker, zur „Massenware“.

Hörl: Jeder Mensch hat im Lauf der Zeit gelernt, mit Produkten aus serieller Fertigung zu leben. Das fing damit an, dass seriell Backsteine gebrannt wurden, um damit Häuser zu bauen. in der Kunst wurde dies relativ spät erkannt. Erst durch den Paradigmenwechsel, den Marcel Duchamp vorgenommen hat, hat sich die Welt der Kunst geöffnet, wurde akzeptiert, dass auch ein Alltagsgegenstand unter künstlerischen Gesichtspunkten zu betrachten ist. Es erklärt sich nicht, warum ein Auflagenobjekt, das gut gemacht ist, nur einen geringen Wert haben soll. Die Entwicklung des Paperback fand ich eine tolle Idee. Auf einmal konnten sich alle Taschenbücher leisten. Dennoch gab es viele Leute, die es bedauerten, dass Bücher immer billiger wurden. Da muss ich als Künstler aber gar nicht argumentieren. Ich bin nicht der Erfüllungsgehilfe irgendwelcher Interessen, sondern handele nach einer bestimmten Idee, mit der ich Denkweisen und Wertvorstellungen in Frage stelle. Und da sehe ich schon eine Nähe zu Luther. Das entwickelt sich zu einer seriellen Konzeption und die will ich so breit wie möglich unter die Leute bringen.

Ihre Objekte werden aus Kunststoff gefertigt – ein Begriff mit doppelter Bedeutung: „Kunst“ und „Stoff“. Dennoch wird das Material meist als „billiges Plastik“ verstanden.

Hörl: Das Vorurteil, dass ein Kunststoff weniger wert ist als ein Granit, ist nicht haltbar. Es ist eine der intelligentesten Menschheitsleistungen, dass wir diese Stoffe entwickelt haben. Früher hatten Künstler keinen Kunststoff und haben eine Figur aus Stein schlagen müssen. Damals ist niemand davon ausgegangen, dass Marmor besonders wertvoll sei. Es gab nur die Möglichkeit, eine Skulptur aus Holz zu schnitzen oder eben aus Marmor zu schlagen.

Geht es Ihnen auch darum, einen modernen, zeitgemäßen Zugang zu finden?

Hörl: Ja. Wie bringt man eine Gesellschaft im 21. Jahrhundert mit ihren veränderten Wertvorstellungen dazu, sich mit so etwas wie der Reformation auseinanderzusetzen? Dazu sollen die Lutherfiguren einen Beitrag leisten. Sie sollen Denkanstöße geben, die wie Staffelhölzer übergeben und weitergetragen werden können.

Alle Ihre Aktionen haben über das Künstlerische, Konzeptionelle hinaus eine heitere Note. Funktioniert das auch mit Luther?

Hörl: Die größte Professionalität eines Künstlers zeigt sich darin, schwere Dinge ganz leicht zu zeigen. Da fängt eine Arbeit an, Wirkung zu zeigen, sie verstört nicht, sondern wird angenommen. Wenn man so arbeitet wie ich, lernst du im Laufe der Zeit, dich nicht mehr so wichtig zu nehmen. Du bist lmpulsgeber, du merkst, wie die Gesellschaft Dinge selbst entwickelt, selbst entwirft, selbst beteiligt ist und dass du nur ein Teil davon bist. Eine Idee wird für mich tragfähig, wenn ich merke, ich habe der Gesellschaft etwas zu geben, was ihr Interesse weckt, was als kollektive Idee wirkt. Auch die Lutherfigur soll als Botschafter ein Anstoß sein. lch sehe in der Figur eine adäquate Form, die Schwere in Glaubensfragen auf eine leichtere Ebene zu heben, um sich so ohne Vorurteile damit auseinanderzusetzen.

Hören Sie aus Kritikerkreisen den Vorwurf, der Hörl macht es sich zu einfach?

Hörl: Ja, aber Kritik ist ein Teil des Spiels. Dadurch entsteht ja wieder etwas Neues. Ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich es schätzen gelernt habe, so viele Gegner zu haben, nachdem mir jemand sagte, dass man die sich hart erarbeiten muss. Dass ich auch für „Krethi und Plethi“ arbeite, hat man mir sehr übel genommen. Aber nur wer harmloses Zeug macht, hat keine Gegner.

Sieht man Sie als Spielverderber?

Hörl: Ich bin ein Spielverderber, weil ich auf eine gewisse Art und Weise das Establishment unterlaufe. Ich kann mit meinen Ideen nach Washington, Sydney oder Lissabon gehen. Wenn ich darüber nachgedacht habe, mit wem ich es zu tun habe – ich muss die Menschen mögen, sonst funktioniert es nicht –, sind die total begeistert von den Projekten. Die spüren, hier kommt einer, der versucht, mit ihnen zu arbeiten, der nimmt sie ernst. Wir haben nicht nur eine Globalisierung, wir haben Teil an der Globalisierung. Das muss die Idee von Kunst verändern.

Alle Ihre Installationen haben einen Anfang und ein gesetztes Ende. Was bleibt?

Hörl: Das Grundvertrauen muss man haben, dass man etwas zu sagen hat, dass etwas bleibt. Sonst würde mir die Energie fehlen, es zu machen. Aber es ist auch eine Erleichterung, wenn eine Arbeit abgebaut wird – ich kann wieder neu anfangen. Ich beschäftige mich schon lange mit der Idee des Verschwindens in der Kunst – Platz frei machen für neue Denkformen. Ich habe mich von dem Gedanken verabschiedet, Werke für die Ewigkeit zu schaffen. Ich habe nur das kleine Zeitfenster, um der Gesellschaft, in der ich lebe und der ich verbunden bin, etwas zu sagen. Mit ihr kann ich kommunizieren. Die Generation, die nach uns kommt, betrachtet meine Arbeit vermutlich als Antiquität.


Das Interview ist erschienen in dem Buch „Hier stehe ich ...“ – Ein Kunstprojekt in der Lutherdekade von Ottmar Hörl. 

Herausgegeben von: Stiftung Christliche Kunst, Kunstverein Wittenberg e.V., Geschäftsstelle der Evangelischen Kirche in Deutschland "Luther 2017 – 500 Jahre Reformation",                     Zahna: Fläming Verlag 2010, 12,80 Euro