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Peter Tauber: Von der Wartburg in die Moderne Zur weltgeschichtlichen Bedeutung der Reformation

(Foto: dpa/Tobias Koch)

Fünfhundert Jahre Reformation sind ein guter Anlass, daran zu erinnern, was das Wirken Martin Luthers bedeutet. Die Reformation ist von epochaler religionshistorischer Bedeutung. Aber sie hatte auch Auswirkungen weit über die Sphäre des Religiösen hinaus. Die Reformation ist von weltgeschichtlicher Bedeutung. Und sie war eine Zeitwende.

Die Wartburg – Auf den Spuren Luthers

Die Beschäftigung mit Martin Luther war daher für mich als Protestant nicht nur aus theologischen Gründen naheliegend. Seine Übersetzung der Bibel, seine Darstellung als zugleich lebensbejahenden und prinzipienfesten Mann hat mich begeistert. Ebenso faszinierte mich als historisch interessierter Mensch die prägende Persönlichkeit Martin Luthers für die Entwicklung unserer Nation.

Insofern habe ich meine Besuche in Mitteldeutschland immer wieder genutzt, auf Luthers Spuren zu wandeln. Mehrfach war ich auf der Wartburg, das erste Mal bereits als Schüler noch zu Zeiten der DDR. Es gibt vermutlich kein einzelnes Ereignis, dass das Wirken Luthers in der Öffentlichkeit stärker symbolisiert als der Anschlag seiner 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg am 31. Oktober 1517. Wenigstens ebenso hat mich persönlich aber sein ungeheures Wirken in der Wartburg beeindruckt, wo er in nur elf Wochen das Neue Testament in die deutsche Sprache übersetzte und damit einen zuvor unvorstellbaren theologischen und gesellschaftlichen Erneuerungsprozess auslöste.

Imponiert hat mir seine Arbeit in der Wartburg in zweierlei Weise. Zum einen vollbrachte Martin Luther mit der Bibelübersetzung eine theologisch-akademische Leistung, die man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Zum anderen aber gelang ihm dies in dem Wissen, mit seinem Tun gegen die Interessen der Katholischen Kirche zu verstoßen, der er schließlich noch immer angehörte und die er zu erneuern trachtete. Es gab zwar schon Übersetzungen der Bibel in das Deutsche – aber in einer für das „gemeine“ Volk letztlich doch weithin unverständlichen Diktion. Luther entriss mit seiner Bibelübersetzung, die er für das einfache Volk schrieb, der katholischen Geistlichkeit die Herrschaft über das Wort. Er trug damit dazu bei, die Gläubigen zu mündigen Bürgern zu machen.

Der Beitrag Luthers zur Moderne

Die Leistung Luthers und die darauf beruhende Reformation haben einen umfassenden Aufbruch in Gang gebracht, der Deutschland und viele andere Länder bis heute prägt. Es hat mich immer fasziniert, dass es nicht zuletzt der kleine Mönch Luther war, der mit seiner Übersetzung, dem so genannten „Septembertestament“, maßgeblich dazu beitrug, eine einheitliche deutsche Schriftsprache zu entwickeln. Luther hatte dem Volk auf das Maul geschaut – und im Volk wirkte die Lektüre der lutherschen Übersetzung auch im sprachlichen Sinne stilbildend. Luthers Bibelübersetzung hat damit entscheidend dazu beigetragen, den deutschen Flickenteppich der Kleinstaaten zu überwinden und ein einheitliches deutsches Nationalgefühl entstehen zu lassen. Dies war keine bewusst beabsichtigte, aber dennoch tiefgreifende Nebenwirkung der Übersetzungsarbeit Luthers.

Der Beitrag zur Nationenbildung Deutschlands war gewissermaßen ein zufälliger Nebeneffekt der Tatsache, dass Luther das Lesen der Schrift einer breiten Bevölkerung ermöglichte. Jedoch war es sein erklärtes Ziel, dass Bildung allen zugänglich sein sollte, nicht nur dem Klerus. Seine Schrift „An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen“ legt hiervon Zeugnis ab. Sicherlich müssen die Forderungen Luthers im zeithistorischen Kontext gesehen werden. Dennoch erschienen sie mir bereits als Schüler, der sich nach seinem Besuch in der Wartburg intensiver mit dem Wirken Luthers beschäftigte, sehr aktuell – und dies gilt bis heute.

Über Sprache und Bildung löste die Reformation eine gesellschaftliche Dynamik aus, die zu mehr politischer Teilhalbe der Menschen an ihrem Gemeinwesen führte. Dies galt für den Adel, die Bauern, aber vor allem für die Bürger in den Städten. Luther wollte den mündigen Christen. Zugleich aber emanzipierten sich Untertanen und wurden mehr und mehr zu Bürgern.

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Auch dies ist eine „Hinterlassenschaft“ Luthers, an die heute wieder stärker erinnert werden sollte. Die Freiheit, die wir heute genießen, ist ohne das Wirken Luthers nicht vorstellbar. Doch Luther plädierte auch an die Verantwortung des Einzelnen für das Ganze. Jede Gesellschaft lebt von der Partizipation, vom Mitmachen. Auch hieran zu erinnern, ist das Reformationsjubiläum ein guter Anlass. 


Dieser Text erschien zum ersten Mal in Politik & Kultur - Die Zeitung des Deutschen Kulturrates 06/2014Peter Tauber, MdB, ist Generalsekretär der CDU Deutschlands.