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Im Zug mit … Thomas Seidel

Interview mit Thomas A. Seidel auf der Zugfahrt von Erfurt nach Zürich

(© epd-bild / Martin Moxter)

Die Internationale Martin Luther Stiftung hat sich den Brückenschlag zwischen Wirtschaft, Politik und Kirche zum Ziel gesetzt. Jedes Jahr zeichnet die Stiftung eine Unternehmerpersönlichkeit aus, die in besonderem Maß gesellschaftliche Verantwortung vorlebt. In diesem Rahmen wird am Montag (17.11.14) in Zürich die LutherRose, eine Auszeichnung für gesellschaftliche Verantwortung und UnternehmerCourage, an den schweizerischen Unternehmer Dietrich Pestalozzi verliehen. Auf dem Weg dorthin trafen wir, im Zug von Erfurt nach Zürich, den Stiftungsvorstand Dr. Thomas A. Seidel. Mit dem Theologen, Historiker und Beauftragten der Thüringer Landesregierung zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums "Luther 2017" sprachen wir über moralisches Handeln, Schwarze Schafe in der Wirtschaft und die Protestantische Ethik im Alltag.

Luther2017: Herr Dr. Seidel, Was können wir heute noch von Martin Luther im Umgang mit unserem Wirtschaftssystem lernen?

Thomas Seidel: Das ist eine Frage, die fast schon ein Referat rechtfertigen würde. Ich möchte deshalb lediglich Stichworte nennen. Was sicherlich mentalitätsgeschichtlich am stärksten gewirkt hat, ist die Haltung Martin Luthers, die in seinem berühmten Auftritt „Hier stehe ich und kann nicht anders“ 1521 auf dem Reichstag zu Worms deutlich wird. Auch wenn das historisch in der Weise wahrscheinlich nicht gefallen ist, ist es bemerkenswert, dass er seinen Widerruf mit der Forderung verknüpft hat, ihm mit Vernunftgründen zu widersprechen. Hier wird eine Haltung eines Menschen deutlich, die beispielgebend ist, auch für unsere Zeit, wenn man bedenkt, dass Luther sich als Mensch des Mittelalters, als junger Mönch so couragiert vor Kaiser und Reich stellte. Das ist, um das auch gleich hinzuzufügen, der Grundimpuls gewesen für den Stifter der Internationalen Martin Luther Stiftung. Das Zweite, was man nennen kann, ist das lutherische Berufsethos, das daraus resultiert. Luther kritisierte das in seiner Zeit übertriebene Sozialprestige der Priester, der Nonnen und der Mönche. Seiner Ansicht nach ist jeder getaufte Mensch von gleicher Würde, nicht nur gegenüber Gott, sondern er hat qua Taufe eine Potentialität, die zu Priester, Nonne, Bischof, Papst machen kann. Es braucht also keine eigene Weihehandlung, die einem Menschen einen besonderen Charakter hinzufügt. So könnte man sagen, dass er in diesem Zusammenhang, die Vocatio, die Berufung, die ausschließlich für die Kleriker galt, und in einen geistlichen Stand hineinführte, säkularisierte. Jeder Mensch ist in seiner Berufung, in seinem Beruf - daher kommt übrigens das deutsche Wort Beruf - wenn er ihn ordentlich ausübt, gleich wertvoll. Es gibt keine Abstufungen in der Werthaltigkeit der Tätigkeiten. So ist etwa die Tätigkeit der Magd im Stall genauso wichtig wie die Tätigkeit des Kardinals oder Fürsten. Das lutherische Berufsethos ist etwas, das die Arbeit des einzelnen Menschen sehr hoch veranschlagt und ihm auch eine eigene Würde beimisst.

Die

(Foto: Internationale Martin Luther Stiftung)

Die LutherRose, die am Montag in Zürich verliehen wird, ist eine von mehreren Reformationspreisen, die derzeit im Rahmen der Lutherdekade vergeben werden. Was macht die LutherRose im Vergleich zu anderen Reformationspreisen, wie etwa der Martin-Luther-Medaille, so besonders?

Seidel: Das Besondere an der LutherRose ist, dass Menschen ausgezeichnet werden, die vor allem auf dem Felde der Wirtschaft oder des Unternehmertums zu Hause sind. Der Preis heißt „LutherRose für gesellschaftliche Verantwortung und Unternehmercourage“. Wir zeichnen damit Menschen aus, die sich mit ihrem Handeln in der Wirtschaft, aber auch in Gesellschaft und Kirche, in unternehmerischen und sozialen Zusammenhängen beispielgebend verhalten haben. Wir halten das für sehr wichtig, da wir möchten, dass die schwarzen Schafe in diesem Felde nicht die Oberhand haben dürfen, weder in den Medien noch in dem Bereich selbst. Von daher glauben wir, dass es gut ist, Männer und Frauen auszuzeichnen und zu würdigen, die sich auch wirklich beispielgebend ethisch verhalten haben.

Aber ist es nicht eher schwierig, in einer Zeit, in der vor allem der so genannte „Ungeist des Kapitalismus“ – wie Sie es für das Podium Ihrer Konferenz überschreiben – unsere Wahrnehmung dominiert, eine Unternehmerpersönlichkeit zu finden, die in besonderem Maß gesellschaftliche Verantwortung vorlebt?

Seidel: Ich hatte ja erwähnt, dass es im Bereich der Wirtschaft immer auch schwarze Schafe, gibt, die ihrer Verantwortung nicht in ethisch-verantwortlicher Weise nachkommen. Aber, und das darf man auch nicht vergessen, das Bruttosozialprodukt in Deutschland wird von etwa 80% der Klein- und Mittelständischen Unternehmen erzeugt. Diese machen in aller Regel ihre Arbeit auch ordentlich. Was immer wieder ausschlägt, ist ja das zu Recht zu kritisierende Fehlverhalten, größerer Unternehmen, insbesondere aus dem Bereich der Finanzwirtschaft, die mitunter auch schon fast wieder wie große Bürokratien geführt werden. Die bisherigen Preisträger sind vor allem Menschen, die in kleineren unternehmerischen Zusammenhängen tätig sind. Dort gibt es eine Übersicht und einen gewissen Direktkontakt zwischen den Unternehmern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Welche Rolle nimmt die „protestantische Ethik“ in Ihrem persönlichen alltäglichen Umfeld ein?

Seidel: Für mich persönlich ist es zuerst mein Glaube, in diesem Fall mein evangelischer Glaube, der grundlegend ist für mein Handeln. Ich beginne meinen Tageslauf mit einer Morgenmediation, einem Morgengebet, mit der Besinnung auf Gott und auf das, was die Bibel für diesen neuen Tag an Anregungen bereithält. Aus dieser Besinnung erwächst für mich dann auch – hoffentlich – eine Achtsamkeit gegenüber dem, was ich an diesem Tag tue, wem ich begegne und wie ich mich mit meinen Tagesgefährten verständige. Ganz im Sinne Martin Luthers verstehe ich unser Leben nicht als ein Fertigsein, sondern einen ständigen Prozess, als ein Üben. So versuche ich die Übung der Achtsamkeit jeden Tag aufs Neue, um aus der existenziellen Geborgenheit Gottes dann auch ethisch verantwortungsvoll zu handeln.

Was wird Ihr nächstes zentrales Projekt im Rahmen der Lutherdekade sein?

Seidel: Mit Blick auf die Internationale Martin Luther Stiftung werden wir, nach der Konferenz in Zürich, die nächste Tagung in der Reihe „Reformation heute“ vorzubereiten. Diese wird im kommenden Jahr in Wittenberg stattfinden. Abgesehen von der Lutherkonferenz im November 2015 in Berlin, die sich unter der Überschrift „Credo und Kredit“ um die Rolle des Geldes in Wirtschaft und Gesellschaft drehen wird, bereiten wir uns außerdem wieder auf unsere „Jugend unternimmt summer school“ vor. Und wir arbeiten gemeinsam mit Partner aus der Verlagsbranche an einem neuen Text-Bild-Band, der in einer sehr persönlichen, achtsamen Weise der Frage nachgeht: Was ist das eigentlich: „evangelisch“? Sie sehen: Es gibt genug zu tun.