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Flugblätter und Flugschriften: Wegbereiter der Reformation

Ein einflussreicher Einblattdruck: Dürers „Rhinoceros“ von 1515. (Bild: Wikimedia Commons)

Immer wieder ist im Zusammenhang mit der Reformation die Rede davon, dass der Buchdruck diese überhaupt erst ermöglicht habe. Das stimmt vor allem mit Blick auf die Verbreitung der Lutherbibel und der dazugehörigen Schriften, wie der Große und Kleine Katechismus. Nur durch den Druck mit beweglichen Lettern und die Druckerpresse war es möglich, Bücher in höheren Auflagen zu produzieren. 

Andere wichtige Medien der Zeit waren jedoch Flugblatt und Flugschrift. Dabei ist die Flugschrift sozusagen der große Bruder des Flugblatts, umfasste sie doch mehrere Seiten. Damit ist die Flugschrift so etwas wie der Vorläufer der Zeitung. Ein wichtiger Unterschied zu unseren heutigen Flugblättern ist, dass Flugblätter in der Frühen Neuzeit nicht etwa kostenlos verteilt wurden: sie wurden verkauft. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Flugblatt etwa den Stundenlohn eines Handwerkers kostete – das entsprach etwa dem Preis von zwei Maß Bier oder einem Dutzend Eiern.

Ein Flugblatt kostete so viel wie zwei Maß Bier

Durch die kommerzielle Orientierung erklärt sich auch das typische Layout eines Flugblatts. Es musste die Aufmerksamkeit des Publikums gewinnen und vereinigte daher auf einem hochformatigen, großen Bogen ein oben platziertes Bild mit einem unten angeordneten, oft mehrspaltig gesetzten Text. Da die Blätter inhaltlich auf die allgemeinen Denkmuster des Publikums abgestimmt sein mussten, bieten sie heutigen Forschern einen guten Einblick in die Mentalität der Frühen Neuzeit.

Dieses Lutherporträt Cranachs d.Ä. fiel der kursächsischen Zensur zum Opfer und wurde seinerzeit nicht verbreitet. (Bild: Wikimedia Commons)

Angefangen beim Verleger, über Autor, Zeichner, Stecher und schließlich Drucker waren verschiedene Akteure an der Produktion der Flugblätter beteiligt. Die Autoren sind zumeist anonym, ebenso wie Zeichner und Stecher. Allerdings haben auch einige bekannte Künstler wie Dürer, Matthaeus Merian und beide Cranachs Grafiken für Flugblätter angefertigt. Die Auflagenhöhen dürften zwischen 1000 und 2000 Exemplaren gelegen haben, denn dann erreichten die Druckplatten zumeist ihre Belastungsgrenze. 

Vertrieb hauptsächlich durch Hausierer 

Vertrieben wurden Flugblätter hauptsächlich durch Hausieren und Kolportagehandel. Dabei muss man sich vorstellen, dass der Kolporteur seine Drucke an belebten Orten wie Märkten oder in Wirtshäusern ausrief oder aussang. So wurde neben dem Betrachten und Lesen auch das Hören zu einer Rezeptionsform des Flugblatts. Das war auch vor dem Hintergrund wichtig, dass die große Mehrheit der Bevölkerung nicht Lesen oder Schreiben konnte.

Inhaltlich informierten die Flugblätter über Naturereignisse, gesellschaftliche Vorkommnisse oder politische Geschehnisse. Durch die Befriedigung und Stimulation der Neugierde dürften auch Flugblätter zur Neubewertung oder Umwertung der Curiositas beigetragen haben, die die technischen und naturwissenschaftlichen Entwicklungen der Epoche begleitete. 

Ausschnitt eines Flugblatts zum Streit zwischen Lutheranern, Calvinisten und Katholiken mit dem Titel „Geistlicher Rauffhandel“. Kupferstich, 1598. (Bild: epd-bild/akg-images)

Dank ihrer Breitenwirkung lag es nahe, Flugblätter auch in politischen und konfessionellen Auseinandersetzungen zu benutzen. Eine Folge dessen war der Ausbau der Zensur, gerade in den frühen Reformationsjahren. Die Reformation nutzte zumeist die mehrblättrige Flugschrift für die Verbreitung ihrer Ideen, setzte aber auch auf Flugblätter als plakatives Instrument der Auseinandersetzung. Dabei wurde die Popularität der Flugblätter auch dadurch gefördert, dass Martin Luther und Philipp Melanchthon selbst als Verfasser auftraten. 

Kein Medienereignis ohne Reformation

Auf diesen Flugblättern ist oft eine strenge antithetische Struktur erkennbar: Neue und alte Lehre wurden direkt gegenübergestellt. Zu den Höhepunkten des Konflikts zwischen Luther und der römischen Kirche – wie dem Wormser Reichstag – erschienen besonders viele Lutherporträts auf Flugschriften und Flugblättern. Sie gaben der Reformation gleichsam ein Gesicht. Mit dem Ende des Bauernkriegs sank die Flugblattproduktion. Weder das Augsburger Interim noch das Vordringen der Osmanen – beides verstärkt Thema illustrierter Blätter – ließ sich wohl mit demselben Maß in der öffentlichen Wahrnehmung platzieren wie Luther und seine Reformideen in den 1520er Jahren.

Man kann so durchaus den Schluss ziehen, dass zwar die Reformation mit ihrer weit greifenden öffentlichen Auseinandersetzung ohne den Buchdruck nicht möglich gewesen wäre, aber eben auch die enorme Produktion von Druckschriften ohne ein inspirierendes Event nicht denkbar ist. Also: Keine Reformation ohne Buchdruck, aber auch kein Medienereignis ohne Reformation. Das bestätigt auch Kerstin te Heesen in ihrer Dissertationsschrift: „Lediglich auf Büchern basierend wären die reformatorischen Ideen nur einer gebildeten Minderheit zugänglich gewesen und hätten sich vermutlich nicht durchsetzen können. Auf der anderen Seite gab die Reformation den ,neuen’ Medien einen Anlass zur Produktion ,neuer’ Inhalte, da sie das erste Thema war, das ,aktuell’ publiziert wurde.“

Informationen

Autor:luther2017.de Quelle:Europäische Geschichte Online/Kerstin te Heesen: „Das illustrierte Flugblatt als Wissensmedium der Frühen Neuzeit"/Michael Schilling (Hg.): „Illustrierte Flugblätter der Frühen Neuzeit" Datum:24-07-17
Schlagworte:
Geschichte, Reformation, Flugblätter, Druckkunst, Auseinandersetzung

Medien

Drucksache Reformation: Der Thesenanschlag war zugleich der Auftakt einer Medienrevolution. Was als einzelner öffentlicher Aushang begann, wurde zur Flugblattwelle, zum Bücherboom, zur Bilderflut.