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Das Recht auf Luthers Seite – Warum die Reformation in Deutschland erst im 16. Jahrhundert stattfinden konnte

Mit der Reformation verbinden die meisten den Streit um Fragen des Glaubens und der Macht. Die Bedeutung des Rechts wird dabei unterschätzt, meint der Jura-Professor Martin Heckel. Erst die Reichsreform habe die Erneuerung möglich gemacht.

(Bild: Ajel)

Dreißig Jahre früher – und es hätte keine Reformation in Deutschland gegeben. Erst der „Ewige Landfriede“ von 1495, der das Gewaltmonopol dem Staat überschrieb und Fehden zwischen regionalen Herrschern an das Reichsgericht verwies, gab den Fürsten die notwendige Eigenständigkeit, mit der der sächsische Kurfürst Friedrich den geächteten Martin Luther schützen konnte. Davon ist der Tübinger Rechtsprofessor Martin Heckel überzeugt. Der 86-jährige, vielfach ausgezeichnete Staats- und Kirchenjurist vollendet in diesen Tagen eine 700-seitige Studie über rechtliche Voraussetzungen und Konsequenzen der Reformation.

Vom Reichstag auf die Wartburg

Als Luthers Lehren 1521 auf dem Wormser Reichstag verworfen und er selbst für vogelfrei erklärt wurde, brachte ihn Soldaten des Kurfürsten heimlich in Sicherheit auf die Wartburg. Luther hatte schon zuvor appelliert, dass ein Konzil über seine Sache entscheiden sollte. Dahinter steckte einerseits die Überzeugung, dass ein solches Gremium fairer mit seiner Kritik am Ablasshandel umgehen würde als macht- und geldgierige Regenten. Es war aber auch juristisch ein kluger Schachzug, denn dieser Appell konnte aufschiebende Wirkung haben. Das heißt: So lange nicht endgültig über Luthers Thesen entschieden war, durfte der Bann an ihm nicht vollstreckt werden.

Dabei mussten die Luther-freundlichen Fürsten allerdings darauf achten, dem katholischen Kaiser keinen anderen Vorwand für ein militärisches Eingreifen zu liefern. Deshalb war es so wichtig, Aufruhr in den eigenen Landen massiv zu bekämpfen, denn Unruhen hätten kaiserliche Gewalt gerechtfertigt. Das dürfte auch Luthers Schriften gegen kämpfende Bauern angefeuert haben, wobei er ohnehin ein Verfechter des Obrigkeitsgehorsams war und es ablehnte, dass gesellschaftliche Gruppen ihre Interessen mit Waffengewalt vertreten konnten.

Rechtsfolgen der Reformation reichen bis in die Gegenwart

Martin Heckel warnt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) davor, die Reformation zuerst als Folge von Machtkämpfen oder sozialen Konflikten zu betrachten. Er ist er davon überzeugt, dass man die Theologie in dieser geschichtlichen Phase nicht überschätzen kann. „Das Zeitalter war gläubig! Es gab keine frömmere Epoche in Deutschland als die Zeit vor und während der Reformation“, sagt er. Den Menschen sei es um das Heil und die Wahrheit gegangen – dafür hätten sogar Fürsten ihr Leben riskiert, als sie die evangelische Sache unterstützten.

Die Rechtsfolgen der Reformation zeigen nach Ansicht des Wissenschaftlers Wirkung bis in die Gegenwart. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 überließ es den Landesfürsten, zu welcher Konfession sie sich zählen wollen. Dem mussten dann die Untertanen folgen – oder gehen. Was heute wie ein Kompromiss in einer unfriedlichen Zeit wirkt, hatte nach Heckels Überzeugung in der damaligen Zeit eine enorme Sprengkraft. So sei der Papst mit dieser Regelung heftig brüskiert worden, gab es doch auf einmal Fürstentümer, in denen er keinerlei Autorität mehr besaß.

„Kirche hat auch keine Privilegien“ 

Auch der Umgang mit kirchlichen Gütern wurde zum Rechtsproblem. Die Protestanten hielten nichts vom klösterlichen Leben und betrachteten die Mönchsgemeinschaften als nutzlos. Also funktionierten sie in den evangelischen Landesteilen Klöster in Schulen um und bezahlten mit Erträgen aus kirchlichen Ländereien Pfarrer und Sozialeinrichtungen. Das betrachtete man nicht als Zweckentfremdung des Besitzes der katholischen Kirche, es war vielmehr nach dem Selbstverständnis der Reformatoren Teil der Erneuerung der einen Kirche. An ein Nebeneinander von evangelischer und katholischer Konfession auf demselben Herrschaftsgebiet wurde damals noch nicht gedacht. Der Weg zur Ökumene dauerte Jahrhunderte.

Und was denkt der Jurist Martin Heckel über das heutige Verhältnis von Kirche und Staat? Der Professor lobt die Regelung in Deutschland überschwänglich. Grundgesetz und Staatskirchenverträge der Länder beschreiben eine „religionsfreundliche“ Trennung von Staat und Kirche vor, sagt er. Keiner werde zu Glaubensdingen gezwungen, jeder könne den Glauben in großer Freiheit leben. Die Kirche hat aus seiner Sicht auch keine Privilegien, sie nutze lediglich die Regelungen, die der Staat allen Religionsgemeinschaften anbietet. Heckel geht davon aus, dass sich die verschiedenen Strömungen im Islam in Deutschland in den nächsten Jahren enger verbinden werden, um einen ähnlichen Status wie die Kirchen bekommen zu können.

Informationen

Autor:Marcus Mockler Quelle:epd Datum:18-08-15
Schlagworte:
Reformation, Kirche, Recht, Martin Luther,

Reformation ...

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