Skip to main content

Von Anfang an war die Reformation politisch. Ohne den Schutz der zum neuen Glauben übergetretenen Landesfürsten wäre die Reformation schon im Keim erstickt. Dies galt auch umgekehrt: Landesfürsten, Stände und Städte haben die Reformation für ihre ureigensten politischen Interessen genutzt. Die Reformation hat aber auch den Charakter und die Aufgabe der Politik auf eine dramatisch grundsätzliche Weise neu bestimmt. Die tieferen kulturellen Auswirkungen wurden hart erkämpft und führen ins Heute. Das Verständnis von Bildung als staatlicher Aufgabe, eine Neubewertung der Rechtsstellung der Frau und die Sozialgesetzgebung sind selbstverständlich gelebtes Allgemeingut geworden.  

Staatsmacht und Gottesherrschaft, Obrigkeit und Mündigkeit, Gehorsam und Gewissensfreiheit – für diese Größen und Werte ringt man seither in Kirche und Gesellschaft immer wieder um das richtige Verhältnis. Das Themenjahr „Reformation und Politik“ beleuchtete in einem umfassenden Programm das rege Wechselspiel, das die Reformation von Beginn an mit der Politik eingegangen war.

Eröffnung des Themenjahres 

Welcher Ort könnte für die Eröffnung des Themenjahres „Reformation und Politik“ also passender sein als Augsburg? Sie ist die einzige katholische Stadt unter den fast drei Dutzend größeren Lutherorten in Deutschland. Hier legten die Protestanten den Kaiserlichen ihr Glaubensbekenntnis, die „Confessio Augustana“ vor; hier wurde der Religionsfrieden von 1555 unterzeichnet, der den Fürsten eines Landes dazu berechtigte, die Religion für dessen Bewohner frei zu wählen. 

Um an diese Meilensteine der Reformation zu erinnern, wurde am 31. Oktober 2013 in der Augsburger Sankt-Anna-Kirche und im Goldenen Saal des Rathauses das Themenjahr „Reformation und Politik“ mit Festgottesdienst und anschließendem Festakt eröffnet. Es bot viele Anlässe, sich bei Ausstellungen, Diskussionsrunden, Konferenzen und Konzerten mit der Verbindung von Staat und Religion zu beschäftigen.

Sonderausstellungen: Von Altenburg nach Rochlitz 

Wie sehr Politik und Reformation miteinander verwoben waren, machte die Sonderausstellung „Georg Spalatin – Steuermann der Reformation“ deutlich. Der aus Franken stammende Theologe Spalatin war ein enger Berater Friedrichs des Weisen und sorgte dafür, dass Luther den Rückhalt des mächtigen sächsischen Kurfürsten nicht verlor. Im ostthüringischen Altenburg, dem letzten Wohnort Spalatins (1484-1546), befasste sich deshalb vom 18. Mai bis 2. November eine große Ausstellung im Residenzschloss mit dem Theologen, Strategen und Lutherfreund. Die Sonderschau umfasste rund 300 historische Dokumente und Objekte, darunter drei der fertiggestellten Bände der unvollendet gebliebenen Chronik des kurfürstlich-sächsischen Hauses. Aufgrund des großen Besucherinteresses wurde die Ausstellung in neuer Auflage fortgeführt und ist noch bis Ende 2017 zu sehen.

Die Geschichte der Reformation in Deutschland wird vor allem als eine von Männern dominierte Geschichte wahrgenommen. Doch die Sonderausstellung „Eine STARKE FRAUENgeschichte – 500 Jahre Reformation“ hat das Bild von der Reformation als eines rein männlich geprägten Ereignisses verändert. Vom 1. Mai bis 31. Oktober 2014 holte die Schau auf Schloss Rochlitz in Sachsen Elisabeth von Rochlitz und andere starke Frauen der Reformationszeit aus der Vergessenheit. Dabei setzten die Organisatoren auf moderne Präsentationen. Kurze Filme, Rauminstallationen, interaktive Medien, Grafiken und Illustrationen zeigten den Besuchern das weibliche Gesicht der Reformation.

Vom Glanz Sachsens ins bildungsorientierte Pfarrhaus

Ganz Leipzig stand vom 27. bis 29. Juni 2014 im Zeichen des sächsischen Landeskirchentages, verbunden mit einem evangelischen Chorfest unter dem Leitwort „Hier stehe ich". Damit erinnerte die Stadt an die Einführung der Reformation von 475 Jahren in Leipzig, die fundamentale Veränderungen im kirchlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereich mit sich brachte. Aspekte dieser Epoche waren auch Teil einer Ausstellung die auf Schloss Doberlug stattfand: unter dem Titel „Preußen und Sachsen. Szenen einer Nachbarschaft ... Wo Preußen Sachsen küsst“ wurde die wechselhafte Geschichte dieser beiden Staaten gezeigt. 

Als Hort von Bildung und Kultur hatte das evangelische Pfarrhaus über Jahrhunderte hinweg eine besondere Bedeutung für die deutsche Kultur. Es war ein Identität stiftendes Zentrum des Protestantismus. Dass diese historische Rolle sich gewandelt hat, verdeutlichte die Sonderausstellung „Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses“, des Deutschen Historischen Museums in Berlin. Vier Monate lang konnten mehr als 44.000 Interessierte in der Schau die Anfänge, Entwicklung und Veränderungen des evangelischen Pfarrhauses entdecken.

Ein kritischer Blick in die Geschichte

Im Themenjahr „Reformation und Politik“ wurde vor allem in engagierter und vielfältiger Weise diskutiert. Welche Impulse gibt die Reformation für die moderne Gesellschaft? Welche Auswirkungen hat die Reformation? Braucht Politik christliche Werte? Wer bestimmt unseren Wertekanon? Und wem gehört eigentlich Luther? Das waren die zentralen Fragen der vielen Symposien, Diskussionen und Tagungen, welche 2014 die Folgen und Bedeutung der Reformation für Politik und Gesellschaft in den Blick nahmen.

Streitlust, historische Kompetenz und ein kritischer Blick auf die Geschichte – das zeichnete die bundesweiten Beiträge zum Themenjahr aus. In Nürnberg arbeitete die Tagung „Staat in Deutschland und Evangelische Kirche“ den Einfluss der Reformation auf die Politik in Deutschland heraus. Sie bildete damit den Auftakt für weitere bayerische Veranstaltungen zu dem Thema. In Berlin diskutierten unter dem Titel „Reformation und Politik – Europäische Wege von der Vormoderne bis heute“ hochkarätige Referenten aus Politik und Wissenschaft über die Veränderungen, die durch die Reformation in Gang gesetzt worden sind. In Düsseldorf holten die Teilnehmer der Tagung „Reformation und Politik“ Bruchstellen Deutscher Geschichte im Blick des Protestantismus ins Heute. In Leipzig wiederum diskutierte man – ganz im Sinne der Leipziger Disputation – über das Verhältnis von Religion und Politik in der heutigen Zeit. Titel: „Ich stehe hier und kann auch anders. Macht. Religion. Politik.“

Wem gehört Luther?

„Ein Luther an dem sich die Geister nicht scheiden, ist nicht Luther“. Das Symposium „Wem gehört Luther?“ in Berlin beleuchtete verschiedene Facetten des Reformators. Namhafte Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen und Konfessionen widmeten sich am 23. Oktober der Person Martin Luthers und der Bedeutung der Reformation aus Sicht der großen in Deutschland vertretenen Religionsgemeinschaften. Luther in der Politik, Luther in der Gesellschaft, Luther im Christentum, Luther in Judentum und Islam. Zuhörer waren Studenten, Parlamentarier, Vertreter der evangelischen Kirchen und interessierte Laien.  

Zu den unverzichtbaren Aufgaben des Reformationsjubiläums gehört die Auseinandersetzung mit den Schattenseiten der Reformation. Ein brisantes Thema war 2014 die Rezeption von Luthers „Judenschriften“ in der Neuzeit. Die antijudaistische Haltung des Reformators und seine explizit judenfeindlichen Aussagen stellen für die evangelische Kirche ein schwieriges Erbe dar. Mit Blick auf das bevorstehende Reformationsjubiläum hat sich diese Diskussion ausgeweitet. In verschiedenen Debatten, Aufsätzen und Büchern wurde die Haltung Martin Luthers zum Judentum untersucht. Der Wissenschaftliche Beirat der Lutherdekade war vonseiten der Politik um eine Orientierungshilfe zu diesem Thema gebeten worden und erarbeitete die Broschüre „Die Reformation und die Juden. Eine Orientierung“. 

Jour fixe mit Luther

Fünf Jahre nach Beginn der Lutherdekade zog die Staatliche Geschäftsstelle „Luther 2017“ eine erste Zwischenbilanz. Ein „Jour fixe mit Luther“ in Berlin gab Antworten auf die Frage, welche Bedeutung das Reformationsjubiläum für Kirche, Politik und Gesellschaft haben wird. Bei der Veranstaltung wurde auch eine Reihe beeindruckender Projekte aus sieben Bundesländern vorgestellt, die im Vorfeld des Großereignisses staatliche Unterstützung erhalten. Von „Predigern und Bürgern“ über den Lutherweg durch Hessen bis hin zu dem Internetportal „Reformation in Rheinland-Pfalz“ deckte das Themenjahr ein breites Spektrum ab. Fazit: der „Jour fixe mit Luther“ stellte auf beeindruckende Weise die bisherigen Ergebnisse der Lutherdekade vor – und machte Lust auf mehr.


Das Programmheft zum Themenjahr steht auf der Seite als PDF-Download zur Verfügung.

Das Jahrbuch der Lutherdekade 2014 – Reformation und Politik gibt es auf dieser Seite als PDF-Download.