An einem Spätsommertag des Jahres 1523 greift eine junge Dame in ihrer Schreibstube beherzt zu Federkiel und Papier. In entschlossenem Ton schreibt sie einen Brief an die gelehrten Männer der Universität Ingolstadt. Argula von Grumbach heißt sie, ist 31 Jahre alt, von adliger Herkunft, gebildet und Mutter von vier Kindern. Ihr forsches Vorgehen, mit dem sie einem bedrängten Anhänger Luthers beistehen will, bleibt nicht folgenlos. Argula von Grumbach geht als frühe protestantische Laientheologin in die Geschichte ein – aber sie opfert für ihre Überzeugungen auch viel.
Das hatte es noch nie gegeben: Eine einzelne Frau fordert mit einem Brief die gesamte Gelehrtenschar der Universität Ingolstadt heraus: Diese möge doch mit ihr, Argula von Grumbach, öffentlich die Auslegung der Heiligen Schrift disputieren. Während sich die Professorenschaft angesichts dieser Dreistigkeit die Augen reibt, weiß die Absenderin sehr genau, was sie will: nämlich mit theologischen Argumenten zu einer Lösung im Fall des jungen Lutheränhängers Arsacius Seehofer, und damit letztlich zur Sache der Reformation beitragen. Selbstbewusst schließt sie denn auch ihren Brief mit den Worten „Ich habe euch kein Frauengeschwätz geschrieben, sondern das Wort Gottes als ein Glied der christlichen Kirche.“ Nur eine einzige Bedingung stellt sie: Das Gespräch möge auf Deutsch stattfinden, denn Latein, die damals gängige Universitätssprache, beherrscht sie nicht.
Allein schon die Lektüre von Luthers Schriften steht unter Strafe
Was genau treibt Argula von Grumbach zu ihrem mutigen Brief, mit dem sie als erste Frau öffentlich für die Reformation eintritt? Kein Mann hat es bis dahin gewagt, sich offen für den 18-jährigen Magister Seehofer einzusetzen, der für die reformatorischen Ideen an seiner Universität in Ingolstadt Werbung macht. Bereits seit einem Jahr haben die bayerischen Herzöge verboten, sich dem neuen Glauben zuzuwenden. Schon allein das Lesen und Diskutieren von Luthers Schriften ist unter Strafe gestellt. Und so wird der junge Mann gezwungen, öffentlich seinen Überzeugungen abzuschwören, und in ein nahes Kloster verbannt.
Argula hört von diesen Geschehnissen, zieht nähere Erkundigungen ein – und ist empört. Denn für sie ist offenkundig: Unter Androhung von Gewalt fordern die Gelehrten einen Widerruf Seehofers und können dafür keine biblischen Zeugnisse vorbringen: „Ich finde an keinem Ort der Bibel, dass Christus noch seine Apostel oder Propheten jemanden eingekerkert, gebrannt noch gemordet haben oder das Land verboten.“
Das „Priestertum aller Getauften“ ist ihr eine Ermutigung
Und in der Bibel kennt sich Argula von Grumbach bestens aus. Schon als Zehnjährige besitzt sie eine deutsche Ausgabe, die ihr Vater ihr vermacht hat und in der sie – besonders nach seinem frühen Tod – oft liest. Die Berechtigung aber, den eigenen Bibelinterpretationen auch zu trauen und den persönlichen Gewissensentscheid daran zu binden, gewinnt sie durch Martin Luther. Der hat in seinen frühen Schriften das Prinzip "sola scriptura“ eingefordert und damit die Heilige Schrift als alleinigen Maßstab in Glaubensdingen gesetzt. Zudem ist ihr Luthers Postulat vom Priestertum aller Getauften eine persönliche Ermutigung: Wenn es nicht der priesterlichen Weihe bedarf, um die Welt im Lichte des Glaubens zu deuten, dann hat auch sie, Argula von Grumbach, das Recht dazu.