Eine junge Adlige trat als erste Frau öffentlich für die Reformation ein

Argula von Grumbach
(Foto: Wikimedia Commons/Paulae)

An einem Spätsommertag des Jahres 1523 greift eine junge Dame in ihrer Schreibstube beherzt zu Federkiel und Papier. In entschlossenem Ton schreibt sie einen Brief an die gelehrten Männer der Universität Ingolstadt. Argula von Grumbach heißt sie, ist 31 Jahre alt, von adliger Herkunft, gebildet und Mutter von vier Kindern. Ihr forsches Vorgehen, mit dem sie einem bedrängten Anhänger Luthers beistehen will, bleibt nicht folgenlos. Argula von Grumbach geht als frühe protestantische Laientheologin in die Geschichte ein – aber sie opfert für ihre Überzeugungen auch viel.

Das hatte es noch nie gegeben: Eine einzelne Frau fordert mit einem Brief die gesamte Gelehrtenschar der Universität Ingolstadt heraus: Diese möge doch mit ihr, Argula von Grumbach, öffentlich die Auslegung der Heiligen Schrift disputieren. Während sich die Professorenschaft angesichts dieser Dreistigkeit die Augen reibt, weiß die Absenderin sehr genau, was sie will: nämlich mit theologischen Argumenten zu einer Lösung im Fall des jungen Lutheränhängers Arsacius Seehofer, und damit letztlich zur Sache der Reformation beitragen. Selbstbewusst schließt sie denn auch ihren Brief mit den Worten „Ich habe euch kein Frauengeschwätz geschrieben, sondern das Wort Gottes als ein Glied der christlichen Kirche.“ Nur eine einzige Bedingung stellt sie: Das Gespräch möge auf Deutsch stattfinden, denn Latein, die damals gängige Universitätssprache, beherrscht sie nicht.

Allein schon die Lektüre von Luthers Schriften steht unter Strafe

Was genau treibt Argula von Grumbach zu ihrem mutigen Brief, mit dem sie als erste Frau öffentlich für die Reformation eintritt? Kein Mann hat es bis dahin gewagt, sich offen für den 18-jährigen Magister Seehofer einzusetzen, der für die reformatorischen Ideen an seiner Universität in Ingolstadt Werbung macht. Bereits seit einem Jahr haben die bayerischen Herzöge verboten, sich dem neuen Glauben zuzuwenden. Schon allein das Lesen und Diskutieren von Luthers Schriften ist unter Strafe gestellt. Und so wird der junge Mann gezwungen, öffentlich seinen Überzeugungen abzuschwören, und in ein nahes Kloster verbannt.

Argula hört von diesen Geschehnissen, zieht nähere Erkundigungen ein – und ist empört. Denn für sie ist offenkundig: Unter Androhung von Gewalt fordern die Gelehrten einen Widerruf Seehofers und können dafür keine biblischen Zeugnisse vorbringen: „Ich finde an keinem Ort der Bibel, dass Christus noch seine Apostel oder Propheten jemanden eingekerkert, gebrannt noch gemordet haben oder das Land verboten.“

Das „Priestertum aller Getauften“ ist ihr eine Ermutigung

Und in der Bibel kennt sich Argula von Grumbach bestens aus. Schon als Zehnjährige besitzt sie eine deutsche Ausgabe, die ihr Vater ihr vermacht hat und in der sie – besonders nach seinem frühen Tod – oft liest. Die Berechtigung aber, den eigenen Bibelinterpretationen auch zu trauen und den persönlichen Gewissensentscheid daran zu binden, gewinnt sie durch Martin Luther. Der hat in seinen frühen Schriften das Prinzip "sola scriptura“ eingefordert und damit die Heilige Schrift als alleinigen Maßstab in Glaubensdingen gesetzt. Zudem ist ihr Luthers Postulat vom Priestertum aller Getauften eine persönliche Ermutigung: Wenn es nicht der priesterlichen Weihe bedarf, um die Welt im Lichte des Glaubens zu deuten, dann hat auch sie, Argula von Grumbach, das Recht dazu.

 

Deckblatt der ersten Flugschrift von Argula von Grumbach
(Foto: heiligenlexikon.de (gemeinfrei))

Sie erinnert daran, dass Jesus ausführlich mit Frauen diskutierte und gelehrte Gespräche mit ihnen führte. Als exzellente Kennerin der biblischen Worte kennt sie auch die weiblichen Gottesbilder, die sich an etlichen Stellen im Alten und Neuen Testament finden. Für sie ist klar: Sowohl Männer als auch Frauen sind berufen, für ihren Glauben öffentlich einzutreten und ein Bekenntnis zu Jesus Christus abzulegen. Und so fährt sie glaubensfest fort: „Auch wenn es dazu kommen sollte, wovor Gott sei, dass Luther widerruft, so soll es mir nichts zu schaffen machen. Ich baue nicht auf sein, mein oder sonst eines Menschen Verstand, sondern allein auf den wahren Felsen Christus selber.“

Argula von Grumbachs Schriften – verbreitet und gelesen wie sonst nur Luther

Zur Diskussion mit den Universitätsgelehrten aber kommt es nie. Noch nicht einmal eines Antwortbriefes aus Ingolstadt wird sie für wert geachtet. Aber ihre Schrift wird von evangelischer Seite gedruckt und veröffentlicht, innerhalb von zwei Monaten erlebt sie 13 Auflagen. Eine solche Verbreitung hat zu dieser Zeit nur Martin Luther mit seinen Schriften aufzuweisen.

Was sich wie eine Erfolgsgeschichte anhört, ist für die Adelstochter selber aber eine bittere Zerreißprobe mit ihrer Familie. Denn Argula ist mit einem gläubigen Katholiken verheiratet, dem aus fränkischem Adel stammenden Friedrich von Grumbach. Er teilt ihre Ansichten in keinster Weise. Zur Zeit ihres öffentlichen Auftretens ist sie bereits seit neun Jahren mit ihm verheiratet, drei Söhne und eine Tochter hat das Paar bis dahin. Seit 1515 ist Friedrich von Grumbach gut bezahlter Pfleger von Dietfurt, ein herzoglicher Statthalter mit besonderen Vollmachten also, und steht damit im Dienst der bayerischen Herzöge. Diese aber haben im Jahre 1522 verfügt, dass es ihren Untertanen streng verboten sei, Lehren und Schriften Luthers anzunehmen oder über deren Inhalt zu diskutieren. Nun setzt sich Argula von Grumbach nicht nur über dieses Verbot hinweg, sondern nimmt in ihrem Brief an die Universität von Ingolstadt sogar noch öffentlich einen Anhänger der Reformation in Schutz. 

Der katholische Ehemann „tut leider viel zu viel dazu, dass er Christus in mir verfolgt.“

An jenem Spätsommertag im Jahr 1523 schreibt sie übrigens noch einen zweiten Brief: der Adressat ist Landesherr Wilhelm IV. von Bayern. Den Herzog, den sie noch aus ihren Kindertagen am Münchener Hof persönlich kennt, will sie von den Vorfällen in Ingolstadt unterrichten und legt deswegen eine Kopie ihres Schreibens an die Universität bei. Dieser Brief wird später als ein Reformationsmanifest im großen Stil gelesen, denn unter anderem befasst sich die Autorin mit dem Gehorsam eines Christenmenschen gegenüber der Obrigkeit.

Aber auch Herzog Wilhelm von Bayern befindet Argula keiner Antwort für würdig. Stattdessen entlässt er ihren Mann umgehend aus dem Dienst, da er seine Frau nicht am Schreiben solcher Briefe gehindert hat. So verliert Friedrich von Grumbach seine gut dotierte Stellung und die Familie gerät in finanzielle Schwierigkeiten. Da Friedrich bis zu seinem Tod 1529 ein gläubiger Katholik bleibt, ist das eheliche Verhältnis wohl zerrüttet. Argula schreibt über ihren Mann: „Er tut leider viel zu viel dazu, dass er Christus in mir verfolgt.“

Doch trotz dieser familiären Spannungen schreibt sie wenige Wochen später erneut einen Sendbrief, diesmal an den Rat der Stadt Ingolstadt, in dem sie auf die vielen Anhängerinnen der Reformation in der Stadt anspielt und auch ihren eigenen Tod nicht fürchtet: „Ja, wenn ich allein sterbe, so werden doch hundert Frauen wider sie schreiben. Denn ihrer sind viele, die belesener und geschickter sind als ich.“

Nach einem produktiven Jahr verstummt

Weitere Schriften folgen, alle innerhalb eines Jahres verfasst. Nach 1524 meldet sich Argula von Grumbach nie wieder öffentlich zu Wort. Und so liegt viel bittere Wahrheit in dem Deckblatt der ersten gedruckten Flugschrift von Argula von Grumbach, eben jenem Schreiben an die Universität von Ingolstadt: Eine einzelne Frau steht mit der Bibel in der Hand der Anzahl der männlichen Ingolstädter Gelehrten allein gegenüber.

Jedoch hat die bayerische Landeskirche vor einiger Zeit eine Stiftung nach der beherzten Anhängerin der Reformation benannt. Ziel dieser Argula von Grumbach-Stiftung ist es, die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Landeskirche zu fördern sowie die Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen im gesellschaftlichen und kirchlichen Kontext zu unterstützen – eine späte Würdigung einer mutigen Frau.