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Die Bibel als Luxusgut oder Massenware? Von der Prachtbibel zur Verteilschrift

Bibel als Buch und als Tabletausgabe
(Foto: epd-bild/Markus Niethammer)

Die Geschichte der Bibel war immer schon mit der Medienentwicklung und anderen Innovationen verbunden. Vor der Erfindung des Buchdrucks waren selbst biblische Einzelschriften nahezu unerschwinglich. Ihre Herstellung war ausgesprochen aufwendig. Dennoch verwundert es, dass das erste vollständige illustrierte Neue Testament auf Deutsch fast hundert Jahre bis zur Fertigstellung benötigte. Ludwig VII. von Bayern­-Ingolstadt hatte um 1425/30 eine Prachtbibel in Auftrag gegeben. Erst 1530 hat Pfalzgraf Ottheinrich den Maler Mathis Gerung mit der Vollendung dieses außergewöhnlichen Neuen Testamentes beauftragt, das später Ottheinrich-­Bibel genannt werden sollte.

Über die Motive damaliger Fürsten, solche Prachtschriften erstellen zu lassen, lässt sich nur spekulieren. War es die Freude am schönen Buch? War es das ehrliche Gefühl, dem Worte Gottes dienen zu wollen? Oder war es ein gutes Werk, das einen Ausgleich für ein nicht ganz so frommes Leben schaffen sollte? Auch Ottheinrichs Leben bietet für alle Interpretationen Spielraum.

Die Bibel zu den Menschen bringen

Der erste deutschsprachige Bibeldruck, noch vor Luther, war eine reine Textausgabe, die Johannes Mentelin 1466 in Straßburg herausgab. Ihr Kaufpreis entsprach dem Gegenwert von immerhin vier Ochsen. Anton Koberger aus Nürnberg legte dann 1483 die wohl schönste vorlutherische deutsche Bibel mit kolorierten Illustrationen vor. Von seiner Bibel in oberdeutscher Sprache wurden etwa 1.500 Exemplare gedruckt. Doch erst die Bibelübersetzung Martin Luthers machte die deutschsprachige Bibel zum Klassiker – und in Verbindung mit dem neu entwickelten Druckverfahren Gutenbergs damit irgendwie auch zur Massenware.

Der Reformator übersetzte aus den Ursprachen Griechisch, Hebräisch und Aramäisch und nicht aus der lateinischen Vulgata. Berühmt ist zudem sein Grundsatz aus dem „Sendbrief vom Dolmetschen“, dass man beim Übersetzen „dem Volk aufs Maul sehen“ müsse. Doch die theologischen Prinzipien sind mindestens ebenso wichtig. Im Mittelpunkt steht die reformatorische Lehre der Rechtfertigung des Sünders allein aus dem Glauben. Begriffe wie Glaube und Gnade erhalten in Luthers Übersetzung besonderes Gewicht.

In den Bibelillustrationen jener Zeit lässt sich der Umbruch von Religion, Gesellschaft und Weltbild nachvollziehen. Lucas Cranach d. Ä. gibt im Holzschnitt „Gott segnet die Schöpfung“ noch 1534 das schon damals überholte Weltbild des Mittelalters wieder: die Erde als Scheibe, ringsum von Wasser umgeben. Doch bereits in der Renaissance, im 15. und 16. Jahrhundert, ändern sich viele Sichtweisen. Im Mittelpunkt steht der Mensch als das Ebenbild Gottes. Die Natur gilt als Gleichnis für die Herrlichkeit ihres Schöpfers. Anders als im Mittelalter ist Kunst außerdem nicht mehr anonym, sondern wird zur individuellen Handschrift eines Künstlers.

Fünf Millionen Bleilettern

Dass die Lutherbibel zu einem echten Volksbuch werden konnte, ist wesentlich den Bibelgesellschaften zu verdanken. Freiherr Carl Hildebrand von Canstein ließ 1710 einen Aufruf drucken mit dem Titel „Ohnmaßgeblicher Vorschlag, wie Gottes Wort den Armen zur Erbauung um einen geringen Preis in die Hände zu bringen“. Der Adelige aus Brandenburg sammelte unter den Reichen Geld, um vollständige stehende Drucksätze für die gesamte Bibel anschaffen zu können. Dazu waren die Herstellung und der Satz von knapp fünf Millionen Bleilettern nötig. Nur so war es möglich, den Druck und die Verbreitung der Heiligen Schrift deutlich zu verbilligen.

Mit dem ersten Bibeldruck am 21. Oktober 1710 in der Druckerei des Waisenhauses der Franckeschen Anstalten begann die Arbeit der von Cansteinschen Bibelanstalt als erster Bibelgesellschaft der Welt. Allein bis zum Jahr 1800 wurden in den deutschen Ländern mehr als 2,7 Millionen Bibeln und Neue Testamente in der Übersetzung Martin Luthers gedruckt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts folgte die Gründung von Bibelgesellschaften in einer Vielzahl der deutschen Staaten auf Initiative der „Britischen und Ausländischen Bibelgesellschaft“. Alle Gesellschaften hatten das Ziel, allen Schichten die Bibel zugänglich zu machen. „Die Bibel zu den Menschen bringen“ – das ist bis heute der Leitsatz der Deutschen Bibelgesellschaft.

Als Software, App oder Audio

Heute sind in Deutschland Bibeln in vielfältigen Ausgaben zu bekommen. Es gibt sie bei der Deutschen Bibelgesellschaft und einer Reihe von anderen Verlagen. Es gibt sie mit Erläuterungen, mit Meisterwerken der Kunst, für Kinder und für die Schule, für das persönliche oder wissenschaftliche Studium, als Prachtausgabe, Standardausgabe oder als kleine Taschenbibel. Viele Ausgaben gibt es auch als Software für den Computer, als App für mobile Geräte oder als Audio zum Hören.

Ist die Arbeit der Bibelgesellschaften also abgeschlossen? Zunächst einmal muss man sich bewusst machen, wie privilegiert die Situation in Deutschland ist. Viele Sprachgruppen warten weiter auf die erste Bibel in ihrer Muttersprache. Deshalb unterstützt die Deutsche Bibelgesellschaft durch die Weltbibelhilfe die internationale Arbeit für die Übersetzung, Herstellung und Verbreitung der Bibel. Und gerade auch Bibelausgaben für Menschen mit Sehbehinderungen sind schon allein durch ihren Umfang und die Kosten für einen Braille-­Druck weiterhin vor allem „Prachtausgaben“.

Massenware im positiven Sinne

Aber auch in Deutschland muss die Bibel für jede Generation neu aufgeschlossen werden. Diesem Ziel dient zum Beispiel das Projekt BasisBibel. Hier wird erstmals eine Bibel für das neue Medienzeitalter entwickelt. Für die junge Generation ist nicht mehr das gedruckte Buch das zentrale Medium, sondern digitale Medien haben das Buch an vielen Stellen abgelöst. Deshalb ist die urtextnahe BasisBibel crossmedial und in eine klare Sprache für junge Menschen heute übersetzt.

Die Lutherbibel ist ein besonderer Schatz für die deutsche Sprache. Verschiedene Revisionen haben verhindert, dass sie zu einem unverständlichen Museum verkommt oder bibelwissenschaftlich nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. Deshalb arbeitet eine EKD-­Kommission auch aktuell an der Durchsicht der Lutherbibel. Das Ergebnis wird rechtzeitig zum Reformationsjahr 2017 vorliegen. Denn damit die Bibel Massenware im positiven Sinne bleibt, muss sie in allen klassischen und modernen Medien verfügbar sein und die Sprache der Menschen unserer Zeit sprechen.


Dr. Christoph Rösel (li.) und Ralf Thomas Müller
Dr. Christoph Rösel (li.) und Ralf Thomas Müller (Foto: Deutsche Bibelgesellschaft)

Dr. Christoph Rösel (li.) ist Generalsekretär der Deutschen Bibelgesellschaft.
Ralf Thomas Müller ist Pressebeauftragter der Deutschen Bibelgesellschaft.

Der Text ist erschienen im EKD-Magazin „Reformation – Bild und Bibel“. Das Magazin (DIN A 4) gibt es als PDF-Download oder kostenlos beim Kirchenamt der EKD (Bestelladresse: Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, E-Mail: jessica.jaworski@ekd.de).

Weitere Texte zum Themenjahr „Reformation und Politik“ sowie Materialien zum Download finden sich unter www.reformation-bild-und-bibel.de/.