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Thesentür und Luthergrab Die Schlosskirche bereitet sich auf den Reformationstourismus vor

Der enge und hohe Innenraum der Wittenberger Schlosskirche ist eine Herausforderung für die Schlosskirchenführer. (Bild: Jens Schlüter/epd-bild)

Rund 80 Prozent der Sachsen-Anhalter sind konfessionslos. Dabei entstand genau dort vor 500 Jahren die evangelische Kirche. Zum Jubiläum 2017 sollen nur noch Fachkräfte durch das Geburtshaus der Reformation in Wittenberg führen.

Die Strahlen der Mittagssonne brechen sich im bunten Glas und zeichnen grüne, gelbe, rote Tupfen auf Gesichter aus Stein: Nikolaus von Amsdorf, Urban Rieger, Georg Spalatin. Keine Namen, die jeder gleich mit der Reformation verbindet. In der Schlosskirche in Wittenberg stehen sie ausnahmsweise nicht im Schatten Martin Luthers, des verehrten und vielvermarkteten Reformators, der dort 1517 seine 95 Thesen angeschlagen haben soll.

Zu Füßen der Standbilder drängen sich Besuchergruppen um Kunst und Grab und Thesentür. „Ihr seid eine achte Klasse von 20 Schülern ohne religiösen Hintergrund“, sagt dort ein Mann: „Mein Gegenstand ist das himmlische Gewölbe, der Ansatz ist baugeschichtlich.“ Anja Häse blickt auf die Zeitanzeige ihres Smartphones und nickt ihm zu. Fünf Minuten laufen ab jetzt im pädagogischen Seminar in der vorerst letzten Ausbildungsklasse zum Schlosskirchenführer.

33 Stunden Unterricht und eine Abschlussprüfung führen zum Zertifikat

Vier Gruppen mit bis zu 25 Teilnehmern haben Häse und ihre Dozentenkollegen seit April 2016 bereits geschult. Sie selbst führt Besucher durch die Dresdner Frauenkirche und steht dem Bundesverband für Kirchenpädagogik vor. Die Teilnehmer machen sich Notizen zum Vortrag des Redners: Werden Symbole erklärt, wird die Zielgruppe angesprochen, ein geistlicher Zugang ermöglicht? Später werten sie ihre Beobachtungen in einem Nebengebäude aus. In der Schlosskirche ist es dafür zu unruhig, zu laut inmitten von Liedgesang, Plaudereien und Auslösergeklicke der fotografierenden Besucher.

33 Stunden Unterricht und eine Abschlussprüfung liegen auf dem Weg zum zertifizierten Schlosskirchenführer. Dabei geht es um die Geschichte der Reformation und des Kirchengebäudes, um Theologie und die Kunst des Erzählens. Vor allem soll dem Gast aber eines gezeigt werden: „Auch wenn sie durch die Reformatorenfiguren, Wappen und Bronzemedaillons so wirken mag, die Schlosskirche ist ein Gotteshaus, kein reformatorisches Museum“, sagt Sonja Dreyer, Projektleiterin der Ausbildung. Anfang 2016 holte die Wittenbergstiftung sie dafür in die Stadt. Hier sitzt sie, die Schlosskirche im Rücken und das Lutherdenkmal im Augenwinkel, in der Geschäftsstelle der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Zunächst große Vorbehalte gegenüber der Ausbildung

Der Schwerpunkt der EKD bei der Ausbildung der Kirchenführer sei nicht historischer, sondern theologischer Art. Einen Altar zu zeigen, ohne über seinen Sinn und Zweck zu sprechen, reiche da eben nicht aus, sagt die 27-Jährige: „Und wir haben den Anspruch, den Gästen ein geistliches Erlebnis zu eröffnen.“ Die Kirche kennt ihre Mitgliederstatistik im „Ursprungsland der Reformation“ gut, ihr gehören dort nicht mehr viele Menschen an. Viele Interessenten hätten zunächst große Vorbehalte gegenüber der Ausbildung gehabt, sagt Dreyer. Die Prägung in der DDR, ein fehlender Bezug zur Kirche, Berührungsängste sind unter den Gründen.

Die Rückmeldungen seien allerdings überwiegend positiv. „Einer der Teilnehmer lässt sich tatsächlich in der Osternacht taufen“, erzählt Dreyer. Zwar nicht nur wegen des Kurses, aber der sei daran nicht unschuldig gewesen. Zweimal am Tag gibt es in der Schlosskirche eine öffentliche Führung. Unter den von der EKD Zertifizierten sind sowohl professionelle Fremdenführer als auch Neulinge aus allen Branchen, vom Malermeister bis zum Rentner.

In der Praxis müssten sie auf drei Dinge achten, sagt Sonja Dreyer. Die Kirche sei eng und hoch. Man müsse deshalb ein Gespür für geschmeidige Bewegungen mit mehreren Gruppen und eine angemessene Lautstärke der Stimme entwickeln. Punkt zwei: „Die Thesentür und das Luthergrab treiben die Touristen fast wallfahrtsartig in die Schlosskirche“, sagt Dreyer: „Die müssen abgehakt werden.“ Und dennoch müsse der Besucher zu guter Letzt auch verstehen, „dass Reformation nicht nur Luther und das Jubiläum 2017 kein Lutherjubiläum ist, sondern ein ökumenisches Christusfest“.

Informationen

Autor:Christina Özlem Geisler Quelle:epd Datum:27-03-17
Schlagworte:
Reformationsjubiläum, Wittenberg, Reformation, Ursprungsland, Schlosskirchenführer

Schlosskirche Wittenberg

Seine berühmten 95 Thesen soll der Reformator Martin Luther am 31. Oktober des Jahres 1517 an die Tür des Haupteingangs der Schlosskirche in Wittenberg geschlagen haben.

Lutherstadt Wittenberg

Auch wenn der Thesenanschlag historisch nicht sicher belegt ist, knüpft sich an dieses Bild der Ruf Wittenbergs.