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Sie wecken den Müntzer – Uraufführung eines Auftragswerks zur Lutherdekade

Premiere am Deutschen Nationaltheater Weimar

"Vom Lärm der Welt oder Die Offenbarung des Thomas Müntzer"
Szene aus „Vom Lärm der Welt oder Die Offenbarung des Thomas Müntzer“ am Deutschen Nationaltheater Weimar. (Bild: Matthias Horn)

Eine Frau tritt auf die Bühne und singt von ihren Hoffnungen und Ängsten für das Kind, das sie unter ihrem Herzen trägt. Sie will ihm lichter Himmel und schützende Mauer zugleich sein. Wie abwesend streicht sie dabei mit ihrer Hand über den gewölbten Bauch. Augenblicke später denken die „Dämonen der Zukunft“ über den Fortgang der Geschichte nach. „Ich weck' dann mal den Müntzer“, sagt einer.

Die jüngste Premiere im Deutschen Nationaltheater Weimar galt am Wochenende der Uraufführung eines Auftragswerkes zum Reformationsjubiläum 2017. Unter dem Titel „Vom Lärm der Welt oder Die Offenbarung des Thomas Müntzer“ inszenierte Generalintendant Hasko Weber ein Gemeinschaftswerk von Schauspiel, Musiktheater und Staatskapelle, für das der Leipziger Autor und Theologe Christian Lehnert den Text schrieb. Die Musik stammt von dem 1968 in Eisenhüttenstadt geborenen Komponisten und Musikproduzenten Sven Helbig.

Endzeitliche Unruhe

Zum Ausgangspunkt des Stücks machte Lehnert, Jahrgang 1969, den Konflikt zwischen den einstigen Weggefährten und späteren Gegnern Martin Luther und Thomas Müntzer. Dessen radikaler Einsatz für eine Gesellschaftsutopie brachte letztlich im Bauernkrieg von 1525 Tausenden aufständischen Bauern und ihm selbst den Tod. Für Lehnert stand bei der Auseinandersetzung mit Müntzer im Mittelpunkt, wie man eigentlich darauf komme, „dass Geschichte ein Ziel oder einen Sinn oder eine Kraft zur Erlösung hat“.

Im Übrigen halte er es für „erstaunlich, wie eine endzeitliche Unruhe bis heute in unserer Gesellschaft immer wieder auftaucht“, sagte Lehnert in einem Zeitungsinterview. Sein Text diskutiert diese Frage anhand von nicht weniger als 71 Quellenangaben zu Äußerungen über Revolution und Rebellion, zu sozialer Gerechtigkeit oder zu Zukunftsvisionen. Die ausgewiesenen Autoren reichen von Luther und Müntzer über Karl Marx und Friedrich Engels, Friedrich Nietzsche und Rosa Luxemburg bis hin zu dem Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg und der Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht. Zudem kommt mit dem Islamismus eine aktuelle Form der Kapitalismus-Kritik in den Blick.

Über allem leuchtet ein Neon-Kreuz

Seiner anspruchsvollen Textcollage hat Lehnert zahlreiche detaillierte Regieanweisungen beigegeben, um damit der abstrakten Diskussion zu einer emotionalen Ebene zu verhelfen. Müntzer beispielsweise hockt vor einem zerschlagenen Kruzifix und den Trümmern eines Altars, die Atmosphäre einer Messe unterstreichen Ministrantenglöckchen und Chorgesang, Müntzer und Luther begegnen sich als Marionetten eines Puppenspiels.

Die Weimarer Inszenierung indes ignoriert diese Vorgaben. Sie stellt das Geschehen stattdessen in das von einer aufsteigenden schiefen Ebene begrenzte Rund der Drehbühne, das je nach Bedarf Kirchenraum, Schlachtfeld oder Bahnhofshalle ist. Gelegentlich leuchtet über allem ein großes Neon-Kreuz. Darüber hinaus sorgen nahezu permanente Videoprojektionen für plakative Aktualisierungen – bis hin zur Krim-Annexion durch den Moskauer Kreml-Chef Wladimir Putin.

Schauspieler, Opernchor und Solisten sowie die Staatskapelle stellen sich ihrem jeweiligen Part mit hohem künstlerischen Anspruch und Einsatz. Die Behandlung des großen Themas auf einer weithin kahlen Bühne fand jedoch beim Publikum eine durchaus zwiespältige Resonanz. Manche Premierenbesucher sprachen von Agitprop auf hohem Niveau. Die Diskussion ist eröffnet.

Informationen

Autor:Thomas Bickelhaupt Quelle:epd Datum:31-03-14
Schlagworte:
Weimar, Thomas Müntzer, Bauernkrieg, Theater

Thomas Müntzer

Der Priester Thomas Müntzer distanzierte sich schon vor Martin Luther von der Kirche. Anders als Luther glaubte er jedoch an eine unmittelbar bevorstehende Herrschaft Christi auf Erden. Die notwendige "Reinigung der Kirche" wollte er mit dem Schwert durchsetzen.

Antipoden Luther – Müntzer: Uraufführung von Theaterprojekt zur Reformation in Weimar

Die Premiere "Vom Lärm der Welt oder Die Offenbarung des Thomas Müntzer" nach einem Text des Theologen und Lyrikers Christian Lehnert ist ein gemeinsames Vorhaben von Musiktheater, Schauspiel und der Staatskapelle Weimar.