Zeitgleich mit der Einführung der Reformation in der Landgrafschaft Hessen wurde im Mai 1527 durch Landgraf Philipp die Marburger Universität in erster Linie zur Ausbildung der nun in großer Zahl benötigten loyalen Theologen, Beamten, Juristen und Ärzte gegründet. Sie stellte damit den Prototypen für eine zukünftige protestantische Universität dar, ihre Organisation musste ebenso wie das Konzept ihrer baulichen Ausgestaltung von den landgräflichen Räten völlig neu entwickelt werden. Zur Ausstattung seiner neuen Universität stellte Philipp sukzessive die Einkünfte von mehreren der nun aufgelösten hessischen Klöster zur Verfügung, wobei deren Verwaltungsstrukturen im Prinzip erhalten blieben, diese nun aber die Einkünfte an die Universität zu liefern hatten.
Reformation und Bildung – Die Bauten der Marburger Universität
Eine Universität zur Ausbildung neuer Theologen
In der Stadt Marburg selbst wurden auch die Gebäude der dortigen drei Klöster an die Universität übergeben, nämlich die Klöster der Dominikaner in der Süd-Ostecke der Stadt, der Franziskaner (Barfüßer) in der Süd-Westecke und das Kloster der Brüder vom gemeinsamen Leben („Kugelherren“) nördlich darüber. Der neu gegründeten Universität mit anfangs 11 Professoren und etwa 200 Studenten stand damit bereits ein Raumangebot zur Verfügung, das im Prinzip bis in das 19. Jahrhundert ausreichend sein sollte. Auch die baulichen Anpassungen blieben anfangs gering und erfolgten erst sukzessive über einen längeren Zeitraum.
Erstes und immer wichtigstes Universitätsgebäude war das nun als „Collegium Lani“ bezeichnete ehemalige Dominikanerkloster, in dem sich über Jahrhunderte neben den Juristen und dem Paedagogium (Lateinschule) auch die Aula und die Verwaltung der Universität befanden. Erst durch den Bau, den Carl Schäfer in zwei Bauabschnitten zwischen 1873 und 1891 errichtete, wurde das ehemalige Klostergebäude durch einen neogotischen Neubau in Form der heute sog. „Alten Universität“ abgelöst. Das Konzept Schäfers für das Auditoriengebäude (1. Bauabschnitt) und das Aulagebäude (2. Bauabschnitt) sah im Grundriss eine „archäologische Rekonstruktion“ des vorher hier vorhandenen Klosters vor, war dagegen aber im Aufgehenden nach z.T. französischen Vorbildern weitaus prächtiger als das spätmittelalterliche Vorbild gestaltet.
Lediglich die spätgotische, um 1300 im Chorbereich und um 1420 mit dem asymmetrischen Langhaus fertiggestellte Klosterkirche und ein angrenzendes Joch der Gebäude auf der Ostseite des Kreuzganges blieben erhalten. Allerdings hat Schäfer den Vorgängerbau so gut zeichnerisch dokumentiert, dass zusammen mit den erhaltenen Fotografien des Abbruches der Klostergebäude eine Rekonstruktion der Baugeschichte möglich ist. Dabei zeigt sich, dass der Kernbereich des Klosters aus der Zeit um 1300 in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts deutlich erweitert wurde, während man noch 1521 weitere Bauten errichtete; die Zeit der Nutzung durch die Universität hatte sich dagegen in etwa 350 Jahren im Wesentlichen nur in Veränderungen im Inneren niedergeschlagen.
Ordensniederlassung Vorläufer der Universität
Im Mai 1528 wurde im ehemaligen Franziskanerkloster aus der Zeit um 1235 mit seinem zusätzlichen zweiten Südflügel ein weiteres Universitätsgebäude eingerichtet, das als „Collegium pomerii“ vor allem die Medizinische und die Artistenfakultät mit ihren beiden Hörsälen und die Bibliothek – basierend auf den Klosterbibliotheken – im Südflügel aufnahm. Die lange Zeit funktionslose Kirche ist 1730/31 durch eine Reithalle auf gleichem Grundriß ersetzt worden, 1811 hat man den für die Stipendiaten genutzten, inzwischen baufälligen Westflügel und den Kreuzgang abgerissen und schließlich 1825 den weiterhin als Bibliothek genutzten Südflügel mit einer klassizistischen Hoffassade umgebaut. Bis dahin war bis auf die Kirche auch dieses ehemalige Kloster zumindest in den Umfassungsmauern noch weitgehend im mittelalterlichen Zustand erhalten geblieben. Auch hier reicht die Überlieferung durch ältere Pläne und Ansichten, um den mittelalterlichen Baubestand weitgehend zu rekonstruieren.
Das Marburger „Fraterhaus zum Löwenbach“ der Brüder vom gemeinsamen Leben (Kugelherren) war erst 1476 als jüngste Ordensniederlassung der Stadt gegründet worden. Die vor allem mit Lehre und Ausbildung befaßten Kugelherren können als direkte Vorläufer der Universität gelten. Das bis heute erhaltene ehemalige Wohngebäude des Klosters im Süden stammt von 1491 mit einer westlichen Erweiterung aus dem Jahre 1506. Die heutige Kirche, ab 1492 im Bau und um 1520 vollendet, ersetzte einen einfachen Vorgängerbau, Verbindungsbauten zwischen Wohnbau und Kloster bildeten zusammen mit diesen den Kreuzgang. 1533 kam auch das Fraterhaus an die Universität, die hier nach verschiedenen Zwischenlösungen 1546 die den Theologen vorbehaltene Stipendiatenanstalt (seit 1560 im Collegium pomerii) und die theologische Fakultät situierte. In diesem Zusammenhang sind hier dann zusätzliche „Stuben und Kammern“ eingerichtet worden. Die Universität nutzte das Gebäude bis 1853 und dann wieder ab den 1930er Jahren. Es kann heute als das besterhaltene der ehemaligen Klostergebäude gelten, denn die saalartigen Strukturen in den beiden unteren Geschossen sind erhalten und lediglich teilweise durch jüngere Leichtbauwände verbaut. Im 1. Obergeschoß sind nach Westen wahrscheinlich auch noch einige der ursprünglichen Zellen erhalten.
Marburger Modell als Vorbild für Wittenberg
Das bauliche Prinzip der 1527 neugegründeten Universität beruhte also ausschließlich aus der Weiternutzung der ehemaligen Klosterbauten, anfangs teilweise noch ohne jede größere Anpassung an die neue Nutzung. Dies lag einerseits an den anfangs recht beschränkten Geldmitteln der Universität vor der Konsolidierung der ehemaligen Klostereinkünfte, aber auch daran, dass das Raumangebot eines spätmittelalterlichen Klosters sehr gut zu den Zwecken einer kleinen Universität mit ihren Kollegien passte: hier gab es passende Räume für Vorlesungen, Speisesäle und Wohnmöglichkeiten. Zugleich wurde so sichtbar an die Bildungsfunktion der mittelalterlichen Klöster einerseits und die klosterähnlich organisierten Kollegien und Bursen der bestehenden Universitäten anderseits mit neuen Inhalten angeknüpft, ein wichtiger Aspekt für die Marburger Neugründung, die noch keine Anerkennung durch kaiserliche Privilegierung besaß. Direkte Anregung für diese Nutzung der ehemaligen Klöster dürfte der Vorschlag von Luther in der Kastenordnung von 1523 gewesen sein, aus den Klöstern der Bettelorden Schulen zu machen. Die nach der Homberger Synode im Herbst 1526 unter Leitung von Lambert von Avignon ausgearbeitete neue Kirchenordnung sah dann u.a. die Auflösung der Klöster und die Gründung einer Universität vor. Luther lehnte diese Kirchenordnung als zu weitgehend ab und hat sich in der Folgezeit auch nicht mit der neugegründeten Universität befasst; aus dem Kreis der führenden Reformatoren war es vor allem Melanchthon, auf den konkrete Anregungen zur Ausgestaltung zurückgingen, während die Umsetzung in der Hand der engeren Berater des Landgrafen blieb.
Zu den baulichen Verhältnissen der Marburger Universitätsgründung gibt es nun eine interessante Parallele im unmittelbaren Umfeld Luthers. Dem Reformator war in Wittenberg 1524 durch den Kurfürsten das inzwischen leerstehende, seit 1504 errichtete Augustinerkloster als Wohnhaus überwiesen worden. Schon zu Luthers Lebzeiten waren in dem weitläufigen Komplex Wohnstuben für Studenten vermietet gewesen. Nachdem nach Luthers Tod in Wittenberg der Plan zur Gründung einer sächsischen Stipendiatenanstalt entstanden war, konnte die Leucorea 1564 das ehemalige Kloster von seinen Erben kaufen. Dadurch wurde der Bau Teil der Universität, die hier im 2. OG, erreichbar durch einen neu vorgebauten Treppenturm, die Stipendiatenwohnungen einrichtete, darunter – unter Schonung der ehemaligen Wohnräume Luthers – Hörsäle, Räume für die Universitätsverwaltung und Wohnungen für deren Bedienstete. Damit war bald nach 1564 auch in Wittenberg das Marburger Modell zur Umnutzung der Bettelsordensklöster für Zwecke der Universität umgesetzt worden.
Ulrich Klein ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Kultur- und Denkmalpflege – Hessischer Heimatbund und Mitbegründer des „Freien Instituts für Bauforschung und Dokumentation e.V.“ (IBD). Seit 1988 ist Schriftführer im Vorstand des internationalen „Arbeitskreises für Hausforschung e.V.“ (AHF), Mitherausgeber des „Jahrbuchs für Hausforschung“ und der „Berichte zur Haus- und Bauforschung“.
Der Text ist zuerst in der Ausgabe 2-3/2010 des Hessischer Heimatbunds e.V. erschienen und wurde Luther2017.de mit freundlicher Genehmigung des Autoren zu Verfügung gestellt. Das Heft (76 Seiten, 6€ zzgl. Versandkosten) ist eine Koproduktion der Gesellschaft für Kultur- und Denkmalpflege – Hessischer Heimatbund e.V. und dem Heimatbund Thüringen e.V. und ist zu beziehen über: info@hessische-heimat.de
Autor:Ulrich Klein
Quelle:Hessischer Heimatbund e.V.
Datum:05-02-16
Schlagworte:
Reformation in Hessen, Universität Marburg, Landgraf Philipp
Marburg
Auf dem Marburger Schloss fand 1529 die wohl bedeutendste Theologenversammlung der Reformationszeit statt.
Bildung
Bildung für alle – so könnte man den Anspruch von Philipp Melanchthon, dem „Lehrer der Deutschen“, zusammenfassen. Der Reformator war davon überzeugt, dass jeder die Bibel selbst lesen und sich mit seinem Glauben auseinandersetzen sollte, um ein mündiger Christ zu werden.