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Protestlieder und Psalmgesänge – Luther als Musiker Der Reformator übte sich im Gesang und Lautenspiel, dichtete und komponierte

Das Singen war schon früh ein Markenzeichen der Lutherischen – und eine der schärfsten Waffen der Reformation. Luther selbst dichtete und komponierte eingängige Strophen, die die Protestanten als Protestlieder schmetterten. Der deutsche Reformator war ein begabter Musiker, der den Wohlklang von Stimmen und Instrumenten liebte. Sein musikalisches Wirken hat bestimmt auch der Gesangs- und Orchesterkultur in Deutschland Auftrieb gegeben.

Anders als die Schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin hat sich Martin Luther nie kritisch über die Musik geäußert. In seinen Tischreden preist er „die Musica“ als ein „herrlich und göttlich Geschenck und Gabe“, die den Menschen „fröhlich mache“. Eine Gabe, die der Teufel „nicht gerne erharret“.

Luthers hohe Wertschätzung der Musik dürfte nicht unwesentlich zur Musikkultur in Deutschland beigetragen haben – in evangelischen wie katholischen Kreisen. Musizieren an Schulen gilt hierzulande als pädagogisch wertvoll. Manche Familien pflegen die Tradition der Hauskonzerte. Der Maler Gustav Spangenberg prägte um 1875 mit seinem Historienbild „Luther im Kreise seiner Familie musizierend“ die damals gängige Vorstellung von der lutherischen Urzelle der Hausmusik. Vielleicht hatte Luther auch einen Anteil daran, dass gerade Deutschland viele bedeutende Komponisten hervorgebracht hat.

Als Chorsänger von Tür zu Tür

Seine Liebe zur Musik hat Martin Luther genau da entwickelt, wo dieser Tage das Themenjahr der Lutherdekade „Reformation und Musik“ eröffnet wird: in Eisenach. Hier, in der Heimatstadt seiner Eltern, besuchte Luther ab 1497 vier Jahre lang die Lateinschule. Er lernte Musiktheorie und sang im Chorus Musicus der Georgenkirche. Dort ist das Chorgestühl, auf dem der 14-jährige Martin vermutlich damals saß, noch heute zu besichtigen.

Luther als Kurrende-Sänger im Hause Cotta (Gemälde).
(Foto: Wikimedia-Commons/Prof.Weiß)

Auch sang Luther in der Eisenacher Kurrende, einem Schüler-Chor, der gegen Bezahlung auch zu Festen und Anlässen sang. Mit anderen Kurrendesängern zog er durch die Stadt, um sich vor den Türen der reichen Patrizier „Parteken“ (gemeint sind Partikel: das zum Leben Notwendige) zu erbetteln. „Partekenhengste“, so hat Luther umherziehende Kurrendesänger später in einer Tischrede genannt.

Zudem gehörte er zum Schülerkreis um die ihm wohlgesonnene Patrizierfamilie Cotta, wo man in geselliger Runde einfache Lieder und mehrstimmige Motetten sang. Später studierte Luther an der Erfurter Universität neben Theologie auch Musik und Kontrapunkt, eine Sanges- und Kompositionstechnik. Er spielte die Laute und musizierte so gut, dass ihn damals ein Kommilitone als „musicus et philosophus eruditus“, als gelehrten Musiker und Philosophen pries.

„Allein der Chor der Pfaffen singt“

Später, als ihn die 95 Thesen, diverse Disputationen und ein mutiger Auftritt vor dem Kaiser in Worms berühmt gemacht hatten, führte Luther in seiner Universitätsstadt Wittenberg deutschsprachigen Gemeindegesang im Gottesdienst ein.

In seiner Schrift „Formula missae“ (1523) klagte er, dass „allein der Chor der Pfaffen und Schüler singt und antwortet, wenn der Bischof das Brot segnet oder Messe hält.“ Um die frühchristliche Praxis des Gemeindegesanges wieder zu beleben, forderte er "deutsche Gesänge, die das Volk unter der Messe singe“ – an denen es jedoch noch fehlte.

In Wittenberg konnte Luther seine Forderungen durchsetzen. Schon in der Deutschen Messe von 1526, dem Wittenberger deutschsprachigen Gottesdienst, stehen deutschsprachige Lieder ganz am Anfang und nach der Epistellesung. Auf das Evangelium folgt Luthers Glaubenslied „Wir glauben all an einen Gott“. Auch im Rahmen der Abendmahlsliturgie werden Gemeindeliedstrophen gesungen. Schon bald hielt man in eigenen Gesangbüchern die gedruckten Lieder fest – ebenso Gebete, liturgische Gebräuche sowie erklärende und reflektierende Texte.

Wirkungsvolle Propaganda für die Sache der Reformation

Doch nicht Luthers liturgischer Reform ist es zu verdanken, dass das Singen zum Markenzeichen der Protestanten wurde. Sein erstes damals bekanntes Lied schrieb Luther aus Empörung über die Verbrennung von reformatorisch gesinnten Augustinermönchen am 1. Juli 1523 in Brüssel. Luther war schockiert über die harte Konsequenz, die seine Anhänger traf und kommentierte das grausige Geschehen musikalisch. Im Stil der fahrenden Sänger zeichnete er die Gequälten wie Helden. Sein Lied machte auf Flugblättern die Runde:

Mit Freuden sie sich gaben drein,

mit Gottes Lob und Singen.

Der Mut ward den Sophisten klein

für diesen neuen Dingen,

da sich Gott ließ so merken.

Die Liedverse waren eingängig und leicht auswendig zu lernen. Sie erwiesen sich als wirkungsvolle Propaganda für die Sache der Reformation.

Verkündigung der „guten Mär“

Noch im selben Jahr schrieb Luther weitere Lieder. Sie verkündigen das Programm der Reformation. Wie in Fortführung seiner Vorrede zum Neuen Testament Deutsch (1522), in der er das Wort Evangelium als „gute Botschaft“ erklärt, als „gute Mär, … davon man singet, saget und fröhlich ist“, dichtete er

Nun freut euch lieben Christeng’mein

Und lasst uns fröhlich springen,

dass wir getrost und all in ein

mit Lust und Liebe singen.

Das Lied erscheint Ende 1523 im Nürnberger „Achtliederbuch“, der ersten reformatorischen Liedsammlung. Darin enthalten: „Etliche christliche Lieder, Lobgesänge und Psalmen, dem reinen Wort Gottes gemäß aus der Heiligen Schrift, durch mancherlei Hochgelehrte gemacht, in der Kirche zu singen wie es denn zum Teil bereits zu Wittenberg in Übung ist.“ Vier der acht Lieder stammen von Luther, drei vom damals in Mähren tätigen Reformator Paul Speratus, eines ist anonym.

Singen zum Trost und zum Trotz

Luther scheint Geschmack am Lieddichten gefunden zu haben. 24 Lieder dichtete er in den nun folgenden zwölf Monaten, darunter das bekannte Psalmlied „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ (nach Psalm 131). Die heute bekannte Melodie des Liedes stammt übrigens auch von Luther. Sie bezeugt sein musikalisches Gespür und seine künstlerische Begabung. Mit dem zweiten Wort „ tiefer“ fällt die Melodie eine Quinte abwärts, um dann mit dem Wort „Not“ auf einen klagenden Halbton oberhalb des Ausgangstons anzusteigen. Alle 24 Lieder dieses Jahres erscheinen in Johann Walters Chorgesangbuch von 1524, für Schulkantoreien kunstvoll mehrstimmig gesetzt.

Das bekannteste Reformationslied „Ein feste Burg ist unser Gott“ entstand vergleichsweise spät – um das Jahr 1529, vielleicht sogar im Umfeld des Speyrer Reichstages, bei dem die lutherisch gesinnten Stände unter Protest die Versammlung verließen – daher die Bezeichnung „Protestanten“. Diese Vertonung von Psalm 46 ist ein Trostlied, eine Selbstvergewisserung der Protestanten: Christus behält das Feld, Gottes Wort stürzt den Teufel – und das Reich Gottes bleibt für die Rechtgläubigen reserviert.

Die Altgläubigen nieder gesungen

Eigentlich war „Ein feste Burg“ nicht als Reformationsgedenklied gedacht, Luther ordnete es im Kirchenjahr der vorösterlichen Fastenzeit zu. Doch schon bald wurde es als Protestlied angestimmt. Zumindest ist überliefert, eine Schweinfurter Gemeinde habe 1532 mit „Ein feste Burg“ während einer Messe einen altgläubigen Priester niedergesungen. Mehr noch, die Jugend habe das Lied auf den Straßen Schweinfurts geschmettert, bald darauf habe man in der Stadt die Reformation eingeführt.

Als Protestsongs sollen auch andere lutherische Lieder gedient haben. Andernorts wurde ein altgläubiger Prediger mit Luthers Lied „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ überstimmt. Göttinger Handwerker mischten eine Fronleichnamsprozession mit „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ und anderen deutschen Psalmvertonungen auf – bis man die „Kyrie-eleis“ Gesänge nicht mehr hörte. Im Gasteiner Tal (Salzburger Land) soll die Bevölkerung auf ähnliche Weise Beerdigungsfeiern gestört haben.

Das Singen war eine der schärfsten Waffen der Reformation. In der Bischofsstadt Hildesheim wurde es daher auf der Straße verboten – erstmals 1524 und noch einmal 1531. In Braunschweig wurden 1526 Schustergesellen beim Priester angezeigt, weil sie bei sich die evangelischen Lieder sangen. Bis heute wird mitunter singend protestiert: Bei Blockaden vor dem Atomwaffenstützpunkt in Mutlangen, bei Demos vorm Atommüllendlager in Gorleben und während der friedlichen Revolution in der DDR 1989 wurde viel gesungen – auch evangelische Lieder wie „Komm, Herr, segne uns, dass wir uns nicht trennen“.

"Ein feste Burg ist unser Gott" im Klugschen Gesangbuch (1533)
(Foto: Wikimedia Commons)

Noch heute ist Luther der am stärksten vertretene Lieddichter in evangelischen Gesangbüchern

Eines von Luthers bekanntesten Liedern gilt seit seiner ersten Veröffentlichung 1535 als Kinderlied: „Vom Himmel hoch, da komm ich her.“ Wie ein fahrender Sänger auf dem Marktplatz – so präsentiert sich der Verkündigungsengel, der die „neue Mär“ singend verbreitet. Tatsächlich nutzte Luther hier eine weltliche Vorlage, und änderte sie kaum:

Ich kumm aus fremden Landen her

und bring euch viel der neuen Mär.

Der neuen Mär bring ich so viel,

mehr dann ich euch hie sagen will.

1539 fügte Luther seine eigene Melodie hinzu. Sie bewegt sich innerhalb einer Oktave vom höchsten bis zum tiefsten Ton. Damit beschreibt das heute als Weihnachtslied bekannte Lied die Bewegung der Engel vom Himmel zur Erde

Als Luther 1546 starb, hatte er im Jahr zuvor noch das bis dahin umfangreichste lutherische Gesangbuch mit einer Vorrede versehen: das Babstsche Gesangbuch. Bis ins 18. Jahrhundert orientieren sich lutherische Gesangbuchausgaben an dieser Sammlung. Und noch heute ist Luther der am stärksten vertretene Lieddichter in evangelischen Gesangbüchern.


Burkhard Weitz
(Foto: chrismon.de)

Burkhard Weitz ist Redakteur des evangelischen Magazins „chrismon“. Außerdem ist er Portalleiter von zivil.de, der Website für evangelische Freiwilligendienste. Er studierte Theologie und Religionswissenschaften in Bielefeld, Hamburg, Amsterdam (Niederlande) und Philadelphia (USA). Er ist ausgebildeter Pastor und Journalist.