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Pinsel in unterschiedlichen Größen
Pinsel in unterschiedlichen Größen (Foto: Getty Images/Tony Tailor)

Der Nürnberger Schuhmacher und Meistersinger Hans Sachs lässt 1524 in einem Gedicht eine Reihe von „Gottlosen“ über Martin Luther Klage führen: Neben der Geistlichkeit zählt er eine Vielzahl spätmittelalterlicher Handwerker auf – unter ihnen Glockengießer, Goldschläger, Illuminatoren, Maler, Goldschmiede, Bildschnitzer, Radschmiede, Glasmaler, Steinmetze, Zimmerleute, Schreiner, Paternoster und Kerzenmacher, die von Christus ein Urteil gegen Luther fordern.

Dieser würde jede Zierde und allen Schmuck in den Kirchen verachten und sie um ihre Arbeit bringen. Luther verteidigt seine Lehre, beruft sich auf das Wort Gottes und sieht die Handwerker im Dienst der Abgötterei tätig. Verständnis bringt er ihren Nöten nicht entgegen. Auch Christus spricht sich in seinem Urteil gegen die Künstler aus, wirft ihnen vor, sein Wort verachtet zu haben und allein aus Eigennutz zu handeln.

„Gottlose“ Handwerker

Hans Sachs’ Gedicht wurde auf einem Flugblatt verbreitet, das der Nürnberger Maler Sebald Beham mit einem Holzschnitt illustrierte. Er zeigt die Handwerker in Begleitung der Geistlichkeit und angeführt von einem Klageführer Luther gegenüberstehend. Ihm haben sich offenbar verarmte, in zerrissenen Kleidern auftretende Bauern angeschlossen.

Luther steht hier auf Seiten derer, die nach der Argumentation des Gedichts wegen der Verschwendungssucht der Kirche und nicht zuletzt auch aufgrund der aus Sorge um ihr Seelenheil geleisteten Stiftungen und Ablasskäufe verarmt sind. Vor den Handwerkern, die aus Eigennutz die Geistlichkeit in ihren Bestrebungen unterstützen, steht auch das Zunftzeichen der Maler.

Sebald Beham muss sich beim Entwurf des Holzschnitts in einer denkbar paradoxen Situation befunden haben, war er doch selbst als Maler einer dieser Zunft angehörenden und hier als „gottlos“ bezeichneten Handwerker. Sein eigenes Leben geriet nach 1524 gründlich aus der Bahn. Nach dem Aufenthalt von Thomas Müntzer in Nürnberg wandte er sich radikaleren Strömungen der Reformation zu und sympathisierte offenbar mit den Wiedertäufern.

Keine Finanzierung mehr für Kirchenausstattungen

Er wurde deshalb angeklagt und aus Nürnberg ausgewiesen. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1528 geriet er sehr bald erneut in Schwierigkeiten. Nun warf man ihm vor, sittlich anstößige Bilder angefertigt zu haben. Als er daraufhin Nürnberg endgültig den Rücken kehrte, wurde einer seiner wichtigsten Auftraggeber ausgerechnet Kardinal Albrecht von Brandenburg, Luthers erklärter Gegner.

Beham stellte gewiss keine Ausnahme dar, und die Klage der Künstler war zweifellos berechtigt. Viele Beispiele ähnlicher Künstlerschicksale ließen sich aufzählen: Lebenswege, die von Auswanderung, Vertreibung und Verarmung geprägt waren. Nicht wenige mussten sich einem anderen Beruf zuwenden, da ihre Kunst sie nicht mehr ernährte.

Den Künsten war im späten Mittelalter in Deutschland eine reiche Blüte beschert. Zeitgleich mit Albrecht Dürer und in seiner Nachfolge war eine Generation von herausragenden Künstlern erwachsen, die Anerkennung selbst in Italien fand, wo das nördliche Germanien traditionsgemäß eher unter dem Vorzeichen des Barbarischen gesehen wurde.

Luthers Thesen gegen den Ablass, seine Abkehr von spätmittelalterlichen Frömmigkeitspraktiken wie ebenso die Messreform hatten unbestreitbar Folgen: Für die Finanzierung der Kirchenausstattungen als das zentrale und einträglichste Betätigungsfeld der Künstler bestand zunächst keinerlei Motivation mehr. Die Stifter und Auftraggeber sahen ihr Seelenheil nicht mehr davon abhängig. Ein eigenes Selbstverständnis einer „lutherischen“ Kirche bestand aber noch nicht, sodass Bilder als identitätsstiftendes Medium eben falls keine Rolle spielten.

Neue Aufgaben in der Druckgraphik

Manch ein Künstler, insbesondere der Dürer­Schüler Hans Baldung Grien, der in Straßburg seine Werkstatt führte, hatte unter den Gelehrten und reichen Kaufleuten bereits ein weites Netzwerk an Auftraggebern gesponnen, die viel mehr an Bildern für den profanen Kontext interessiert waren, an Porträts, an Mythologien oder an gelehrten, humanistischen Bilddiskursen über christliche Themen. In seinem Fall konstatiert die kunsthistorische Forschung keinen Einbruch in der Auftragslage. Nicht zuletzt auch durch den reißenden Absatz, den seine, auf spätmittelalterliche Heiligenbilder anspielenden Lutherporträts fanden, profitierte er von der Reformation.

Eine Reihe von Künstlern verlagerte ihre Tätigkeit zunächst auf die Druckgraphik, auf die Anfertigung von Reformatorenbildnissen, Illustrationen von Bibeln, Flugschriften, Flugblättern, Gesangbüchern und neuen Andachtsbüchern. Auch Lucas Cranach der Ältere, der als Hofmaler Friedrichs des Weisen und dank seiner diversen Nebenbeschäftigungen nicht über finanzielle Schwierigkeiten klagen konnte, bediente zunehmend das für die Verbreitung der reformatorischen Lehre wichtige Medium der Druckgraphik.

Bilder für die Gemeinde und für das Gemeinwohl

Erst als sich die Lutheraner als Kirche formierten, die Confessio Augustana als Bekenntnisschrift ihnen eine erste definitorische Grundlage gab und Gottesdienstordnungen den Zeremonien Strukturen verliehen, konnten auch die Künste wieder in den Kirchen einziehen, und die Künstler hatten dort neue Aufgaben zu erfüllen. Im Zentrum stand nun eine Altartafel und fokussierte die Blicke und Handlungen der Gemeinde auf die Glaubensinhalte, häufig, wie in der Wittenberger Stadtkirche, auf die Darstellung des letzten Abendmahls Christi.

Gedächtnismale erinnerten an die Verstorbenen und führten sie der Gemeinde als Glaubensvorbilder vor. Die Emporen und Decken boten Platz für umfangreiche Bildzyklen, vielfach wurde den Gläubigen dort die Menschheitsgeschichte von der Schöpfung bis zum Anbruch des Gottesreiches vorgeführt. Kanzeln und ihre Bildprogramme gaben der Predigt einen Ort und markierten den Kirchenraum sichtbar im lutherischen Glauben. Die „neuen“ Auftraggeber und Stifter ließen die Werke nicht mehr schaffen, um Gott zu dienen und seine Gnade zu erlangen, sondern für die Gemeinde und für das Gemeinwohl.

(1) Franz-Joseph Sladeczek: „das wir entlichs verderbens und des bettelstabs sind“. Künstlerschicksale zur Zeit der Reformation, in: Macht und Ohnmacht der Bilder. Reformatorischer Bildersturm im Kontext der europäischen Geschichte, hg. von Peter Blickle u. a., München 2002, 273–304.


Susanne Wegmann
(Foto: Susanne Wegmann)

Dr. Susanne Wegmann ist Privatdozentin am Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas (Standort Kunstgeschichte) der Universität Halle-Wittenberg.

Der Text ist erschienen im EKD-Magazin „Reformation – Bild und Bibel“. Das Magazin (DIN A 4) gibt es als PDF-Download oder kostenlos beim Kirchenamt der EKD (Bestelladresse: Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, E-Mail: jessica.jaworski@ekd.de). Weitere Texte zum Themenjahr „Reformation und Politik“ sowie Materialien zum Download finden sich unter www.reformation-bild-und-bibel.de/.