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Tore der Freiheit – Zur „Weltausstellung Reformation“ 2017 in Wittenberg

Tor der Freiheit
Zum Reformationsjubiläum 2017 bekommt Wittenberg sieben „Tore der Freiheit“ (Bild: pixabay)

Martin Luther war sehr auf seine Region und die Wahrnehmung seines Kontextes beschränkt oder, wie sein Biograf Heinz Schilling (2012) schreibt, „von den neuen Welten seltsam unberührt“. Die Botschaft aber von der Freiheit eines Christenmenschen, von der Bildung, die für alle gilt, von der Ermutigung, eigenständig den Glauben zu bekennen und in persönlicher Verantwortung in der Welt umzusetzen, sie ging in alle Welt.

Reformation – ein ständiger Prozess

Vom 20. Mai bis zum 10. September 2017 wird in Wittenberg eine „Weltausstellung Reformation“ stattfinden. Bewusst hat die Projektleitung entschieden, nicht von „der“ Reformation zu sprechen. Es soll Raum sein für unterschiedliche Zugänge zu Reformation in Kirchen, in Religionen, aber auch in Staat und Gesellschaft. Klar ist: Reformation ist kein abgeschlossener Vorgang, sondern ein fortdauernder Prozess. Und Reformation ist kein rein protestantischer Fortgang, vielmehr haben sich alle immer wieder erneuert. Die römisch-katholische Kirche etwa ist heute deutlich verändert gegenüber der Zeit der Auseinandersetzung Martin Luthers mit ihr, hat sie doch schon beim Trienter Konzil den Ablass gegen Geld abgeschafft und mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Messe in der Volkssprache eingeführt. Und auch die Kirche der Reformation hat immer wieder Reformen gebraucht, beispielsweise mit Blick auf ihr Verhältnis zum Judentum oder zur Frage des manchmal notwendigen Widerstandes gegen die Obrigkeit. Auch Gesellschaft und Staat sind immer wieder reformbedürftig.

In dieser Weite haben wir der Weltausstellung den Titel „Tore der Freiheit“ gegeben. Wer den Ring um den Stadtkern von Wittenberg anschaut, wem erste Bilder vor dem inneren Auge entstehen, wie Menschen 2017 in diese Stadt kommen, um Teil der Reformationserfahrung zu werden, dem kommt schnell das Thema Tore in den Sinn. Sieben Zugänge wird es zur Innenstadt geben. Es sind die Tore, durch die Menschen gehen werden, um nach Wittenberg zu kommen – nein, mit der Heiligen Stadt Jerusalem soll das nicht verglichen werden. Es geht darum, an diesen Ort zu kommen, der einen so besonderen Klang hat. Hier, in dieser kleinen Stadt, wurden vor 500 Jahren Gedanken entwickelt, die so viel Kraft entfalten konnten, dass sie die Welt veränderten. In diesen Toren sind sie sich täglich begegnet, die Protagonisten: Philipp und Katharina, Martin und Elisabeth. Es ist der Ort, aus dessen Tore die Botschaft von der Freiheit eines Christenmenschen herausging, aus dessen Tore die Kunde kam, dass niemand Ablass gegen Geld kaufen muss, sondern Gott uns aus Gnade allein Lebenssinn zusagt. Von hier aus gingen die Schriften Luthers in alle Welt.

Machet die Tore weit

Und es gibt die Tore real in der Stadt: Zu den Cranach-Höfen, zum Gefängnis, das Ort von Kunst und Kultur werden soll … Tore spielen schon im alten Israel eine große Rolle. Sie schützen die Stadt (5. Mose 3,5), die Tore der Feinde zu besitzen, bedeutet große Macht (1. Mose 22,17). Tore der Freiheit gibt es also ebenso wie Tore der Deutungshoheit. Vor dem Tor der Stadt versammeln sich die Menschen (1. Mose 23,10), im Tor wird Recht gesprochen (5. Mose 16,18; 17,8). Deshalb gibt es auch die Tore der Gerechtigkeit: „Tut mir auf die Tore der Gerechtigkeit, dass ich durch sie einziehe und dem HERRN danke“ (Psalm 118,19). 

Es wird gemahnt, Recht zu sprechen in den Toren: „Das ist‘s aber, was ihr tun sollt: Rede einer mit dem andern Wahrheit und richtet recht, schafft Frieden in euren Toren.“ (Sach 8,16) Tore der Gerechtigkeit sind demnach ein Thema. Als die Tore Jerusalems vom Feuer zerstört werden, ist das ein Erlebnis tiefster Erschütterung (Neh 2,3), schutzlos sind nun die Menschen dem Feind ausgeliefert. Nun geht es darum, Wache zu halten an den Toren, um die Menschen zu schützen; Torhüter zu sein, war ein bedeutungsvoller Beruf (Neh 12,25). Tore der Wachsamkeit werden gebraucht.

Entwurf für „Tor der Freiheit“
Ein Entwurf des Studierendenwettbewerbs (Bild: Christian-Ditsch.de/epd-bild)

Und es gibt den Lobgesang, die Tore zu öffnen: „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!“ (Psalm 24,7) Geöffnete Tore zum Glauben, ja Tore zum Gottesdienst brauchen wir, gerade in säkularer Zeit. Es sind Tore der Sehnsucht nach Gott. Sehr schön beschreibt das der Prophet Jesaja nach der Zerstörung Jerusalems: „O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen. Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden!“ (Jes 62, 6f). Diese Hoffnung auf Gott, auf die Gegenwart Gottes, ist durchaus eine Sehnsucht von Menschen heute – es braucht Tore der Sehnsucht nach Gott.

Offene Tore als Vision von friedvoller Zukunft

Du kannst aber auch eingeschlossen sein in den Toren einer Stadt wie David (1. Sam 23,7), das darf nicht unterschätzt werden. Verschlossene Tore engen die Freiheit ein, sie machen Angst und erzeugen Unrecht. Offene Tore aber sind eine Vision von friedvoller Zukunft: „Deine Tore sollen stets offen stehen und weder Tag noch Nacht zugeschlossen werden, dass der Reichtum der Völker zu dir gebracht und ihre Könige herzugeführt werden“ (Jes 60,11).

Die Tore Jerusalems werden nach den 12 Stämmen Israels benannt, je drei Tore pro Himmelsrichtung. Nein, 12 Tore werden es nicht sein, und Wittenberg ist auch nicht das himmlische Jerusalem. Aber wir können den Toren Namen geben. Geplant ist ein Tor der Jugend. Und natürlich wird es ein Tor der Ökumene und des Dialogs der Religionen geben, aber ebenso ein Tor der Spiritualität und eines der Kunst und Kultur. Und auch die Fragen der Welt sollen Raum finden in den Toren von Gerechtigkeit, Frieden und Schöpfungsbewahrung sowie im Tor der Globalisierung. 

Ich wünsche mir, dass Wittenberg zum Erlebnisraum wird, in dem wir diskutieren und tanzen, staunen und ringen, nachdenken und schweigen. Wenn sich zeigt, dass wir Reformation in weitem, offenem Raum und in internationalem wie ökumenischem Horizont wahrgenommen haben als Aufbruch in das 21. Jahrhundert, wäre das Ziel erreicht.


Margot Käßmann
Margot Käßmann
(Bild: epd-bild)

Professorin Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann ist Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum 2017. 

Der Text ist erschienen im EKD-Magazin „Reformation und die Eine Welt“. Das Magazin (DIN A 4) gibt es als PDF-Download oder kostenlos beim Kirchenamt der EKD (Bestelladresse: Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, E-Mail: jessica.jaworski@ekd.de). Weitere Texte zum Themenjahr „Reformation und die Eine Welt" sowie Materialien zum Download finden sich unter www.reformation-und-die-eine-welt.de/das-themenjahr/

Informationen

Autor:Margot Käßmann Quelle:EKD Datum:08-01-16
Schlagworte:
Margot Käßmann, Weltausstellung Reformation, Tore der Freiheit, Reformationsjubiläum, Wittenberg

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