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Sprechende Häuser - Frühe Bekenntnisse zur Reformation in der Harzstadt Osterwieck

41 Hausinschriften nehmen Bezug auf die Reformation

Eulenspiegelhaus Osterwieck
(Foto: IMG Sachsen-Anhalt)

Die Last der Jahrhunderte drückt auf die Häuser in Osterwieck. Da krümmt sich mancher alter Balken dem Straßenpflaster entgegen. An einigen Plätzen scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Farbige Ornamente und prächtige Schnitzereien prägen viele der fast 400 Fachwerkhäuser im Zentrum der kleinen Stadt am Harzrand. In ihrer Bedeutung stehen die aus nahezu allen Stilepochen vom 15. bis zum 19. Jahrhundert stammenden Gebäude in teilweise geschlossen historischen Straßenzügen denen von Stolberg und Quedlinburg keineswegs nach.

Hausinschriften vermitteln weit mehr als Kenntnisse über Bauherren und Jahr der Fertigstellung. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts brachten die Besitzer mit der Auswahl der Sprüche auch ihre Einstellung zu einer neuen Zeit zum Ausdruck, berichtet Museumsleiterin Christine Krebs. Die Reformation hatte damals die Stadt längst erreicht. 1526 wurde dort erstmals ein Gottesdienst gefeiert, in dem die Gemeinde deutsche Kirchenlieder sang – was damals noch als Störung der Liturgie galt. Die Bürger erlebten, wie sich andere Orte im Umland, wie Magdeburg, Braunschweig, Goslar und Hornburg zum evangelischen Glauben bekannten. Das blieb nicht folgenlos, die neuen Ideen fielen auch in Osterwieck zunehmend auf fruchtbaren Boden.

Provozierendes Bekenntnis

1533 machte der Bürgermeister Michael Steggeler aus seiner Einstellung zur Reformationen keinen Hehl mehr. Dessen Haus im Hagen 24 ließ er mit der Inschrift „NACH CHRISTI GEBURT DER WENIGER 33 ALL DER UNS ERLÖSET HAT ALLZUMAL“ versehen. Zu dieser Zeit sei die Entscheidung für ein solches Zitat durchaus ein besonders provozierendes Bekenntnis gewesen, berichtet Christine Krebs. Das Wörtchen „allein“ (solus) bei der Übersetzung der Bibel hatte Luther erst kurz zuvor Auseindersetzungen beschert. Er beharrte auf dem „Allein durch die Schrift“, „Allein durch Christus“ und „Allein durch Gnade“. Nun stand da ganz öffentlich in heutiger Lesart „allein der uns erlöset hat“.

Nur ein Jahr später entstand einer der schönsten Fachwerkbauten Osterwiecks: das Eulenspiegelhaus in der Schulzenstraße 8. Herrliche geschnitzte Figuren, Putten und Tiere, ein Wappen mit Schere, ein Mann mit Becher, prägen die Fassade. Daneben findet sich bis heute als Zeugnis der damaligen Umbruchstimmung ein wichtiges Bekenntnis der Reformationszeit. „Verbum domini in eternum“ (Das Wort der Herrn in Ewigkeit) ist zu lesen.

Ein überfälliger Schritt

1534 folgte der Schritt, der für Osterwieck längst überfällig war. Die Stadt wurde evangelisch und der erste evangelische Pfarrer wurde berufen. Es scheint damals eine große Frömmigkeit geherrscht haben, die sich in der Gestaltung der Fassaden nachdrücklich zeigte. 58 der Häuser in der Stadt, 11 davon wurden erst nach 1648 errichtet, weisen Inschriften auf. 83 Zeilen davon sind durch religiöse Aussagen geprägt und gehen unter anderem auf die Psalmen zurück. 41 weitere nehmen unmittelbaren Bezug auf die Reformation.

Sprechende Häuser findet man beim Bummel durch Osterwieck allenthalben. Der Blick nach oben lohnt sich nicht allein wegen der prachtvollen Verzierungen. Die in Holz geschnitzten Buchstaben erweisen sich als wertvolle Dokumente einer spannenden Zeit. Nirgendwo sonst in Deutschland finden sich so frühe Inschriften, mit denen sich die Bürger öffentlich zu Luthers Lehre bekannten. Auch das Hauptschiff der St.Stephani-Kirche entstand erst Mitte des 16. Jahrhunderts und ist damit ein Zeugnis des frühen protestantischen Kirchenbaus.

Informationen

Autor:Klaus-Peter Voigt Quelle:IMG Sachsen-Anhalt Datum:07-05-14
Schlagworte:
Osterwieck, Fachwerk, Bekenntnis, Hausinschriften