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Sabine Kunst: Mut und Gewissensbindung Was Martin Luthers Fähigkeit, sich trotz aller Gefahr für seine Überzeugungen, uns heute noch sagen kann

Sabine Kunst, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg. (Bild: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg)

Jedes Ding hat seine Zeit, und auch jeder Mensch hat seine Zeit. Ist das Leben vorüber, erinnern sich seine Zeitgenossen noch einige Zeit an ihn, und dann irgendwann gerät er in Vergessenheit. Andere hingegen bleiben noch Jahrhunderte lang im Gedächtnis der Nachwelt und prägen das Leben ihrer Nachfahren. Ein solcher Mensch war Martin Luther, dessen Wirken weit über seinen Tod hinaus bis heute Auswirkungen entfaltet.

Mut um für die Wahrheit einzutreten 

Für mich ist bis in die Gegenwart besonders Martin Luthers unbändige Tatkraft beeindruckend. Gerade in den ersten Jahren seines Wirkens stand er nahezu ganz für sich allein. Viele Mächtige lehnten seine Mahnungen ab. Die kirchlichen Autoritäten, denen Luther sich aufgrund seiner ganzen Prägung verpflichtet sah, und scheinbar auch die anderthalb Jahrtausende umfassende kirchliche Tradition schienen Luthers Erkenntnisse zu widerlegen. Es braucht Mut, um in dieser Lage die Selbstzweifel zu überwinden und für die Wahrheit einzutreten. Was es bedeutet, unter Gefahr nicht nur für die soziale, sondern für die physische Existenz dennoch das für Recht erkannte gegen eine scheinbar übermächtige Front von Gegnern zu vertreten, können wir uns kaum mehr vorstellen. Unser Leben ist nicht in Gefahr, wenn wir zum Mainstream konträre Auffassungen vertreten.

Gewissen als Entscheidungsgrundlage 

Luthers Mut kann nicht beschrieben werden, ohne zugleich die starke Gewissensbindung in den Blick zu nehmen, die er zur Grundlage seines Handelns gemacht hat. Er hat es sich nicht leicht gemacht, sondern lange Zeit intensiv mit sich gerungen. Nachdem ihm sein Gewissen aber die Überzeugung vermittelt hatte, dass er nicht länger schweigen durfte, ist er ihm gefolgt. Auch uns gebietet unser Gewissen, ethischen Grundsätzen zu folgen und etwa für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einzutreten. Was wir im Einzelnen damit verfolgen, müssen wir sorgfältig prüfen. Wir sollten es uns nicht zu leicht machen und vorschnellen Parolen Vertrauen schenken. Gut und böse, richtig und falsch, ethisch und verwerflich sind nicht immer leicht voneinander abzugrenzen. Es bedarf mitunter großer Unterscheidungskraft, um das Richtige vom Falschen zu trennen und den Irrtum zu vermeiden. 

Wir können mit unseren Überzeugungen gegen unsere Mitmenschen stehen und von Selbstzweifeln befallen werden. Eine aufrichtige, intensive Prüfung unseres eigenen Gewissens kann dann helfen, diese Last von uns zu nehmen. In der Bibel, im Ersten Korintherbrief heißt es: Ein jeder aber prüfe sich selbst. Es lohnt sich, das auch heute wieder ins Bewusstsein zu rufen. Wir alle sind aufgerufen, uns immer wieder selbst zu prüfen, ob wir unsere Entscheidungen aus egoistischen Motiven oder unter Bindung an Gemeinschaftswerte treffen. 

Luthers Wirken auch heute noch aktuell 

Das Wirken Martin Luthers hat ‒ ungeachtet vieler für uns nicht mehr nachvollziehbarer Positionen, wie seiner Ablehnung der jüdischen Religion und der sozialen Befreiungsbewegungen seiner Zeit ‒ auch heute noch große Aktualität. Der Reformator hat das Verständnis dafür geweckt, dass jeder einzelne Mensch ungeachtet seines Standes wertvoll ist. Jede Tätigkeit sah er als gleichwertig an und stellte fest: „darin ist die Gänsemagd dem König gleich, dass sie einen Beruf von Gott hat“.

Der Mensch hat einen Auftrag, in dieser Welt zu wirken. Der Mensch soll sich nicht zurücklehnen und sein Leben dem Schicksal überlassen, sondern er soll sich für eigene Belange und für diejenigen seiner Mitmenschen und der Gesellschaft engagieren. Nicht passive Schicksalsergebenheit, sondern aktives Engagement ist gefragt. Dies gilt heute so wie damals.


Dieser Text erschien zum ersten Mal in Politik & Kultur – Die Zeitung des Deutschen Kulturrates 03/2015. Sabine Kunst ist Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg. 

Informationen

Autor:Sabine Kunst Datum:28-07-15
Schlagworte:
Kolumne Deutscher Kulturrat, Martin Luther, Reformation, Lutherdekade

Kolumnen des Deutschen Kulturrats

Der Deutsche Kulturrat veröffentlicht in „Politik & Kultur“ regelmäßig eine Kolumne zum Reformationsjubiläum 2017.