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Reformation und Säkularisierung

In drei Tagungen widmet sich der Wissenschaftliche Beirat „Reformationsjubiläum 2017“ zentralen Wirkungsfeldern der Reformation. Den Auftakt machte eine kontroverse Diskussion über die Säkularisierung.

Wenige historische Ereignisse haben nachhaltig so viel verändert wie die Reformation. Sie hatte tiefgreifende Auswirkungen auf sehr viele Bereiche des Lebens und hinterließ weltweit Spuren, die auch 500 Jahre danach noch sichtbar sind. Zusammen mit Renaissance und Humanismus hat die Reformation entscheidend zur Ausbildung einer säkularen Moderne beigetragen. Unter dem Titel „Reformation und Säkularisierung. Zur Kontroverse um die Genese der Moderne aus dem Geist der Reformation“ beleuchtete am Wochenende (27.-28.11.15) eine hochkarätig besetzte Fachtagung die Folgen der Reformation für unsere Gesellschaft

Brad Gregory

Vom Prozess einer Verlustgeschichte

In der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin ging es um die Frage, welche Rolle die Reformation bei der Entstehung der säkularen Moderne spielte, wie die Säkularisierung den Blick auf die Reformation veränderte und welche Antworten reformatorische Theologie auf Probleme der säkularen Gesellschaften der Gegenwart zu geben vermag.

Zu Beginn der Tagung stand eine große Kontroverse: Dr. Brad Gregory, von der Universität Notre Dame, beschrieb in drei großen Epochenbildern – europäisches Spätmittelalter, goldenes Zeitalter der Niederlande, Gegenwart der USA – den Prozess einer Verlustgeschichte: „Disembedding Christianity“. Gregory hatte bereits zuvor in seinem besonders in den USA breit rezipierten Werk „The unintended Reformation“ die negativen Folgen der Reformation entfaltet: In der von Hyperkonsumismus geprägten Beliebigkeitskultur der Gegenwart sieht er eine Konsequenz der durch die Reformation angestoßenen Säkularisierung. Demgegenüber verteidigte Prof. Dr. Dorothea Wendebourg Luthers Modell der Trennung von Glauben und Welt. Ihrer Ansicht nach sei „Disembedding Christianity“ nicht die unbeabsichtigte Folge, sondern geradezu das Programm der Reformatoren, allen voran Luthers gewesen und habe den Weg in eine (positiv verstandene) säkulare, plurale Welt geöffnet. 

Prof. Dr. Volker Gerhardt von der Humboldt-Universität hingegen relativierte die Bedeutung der Reformation für den Prozess der Säkularisierung. Von epochaler Bedeutung sei jedoch Luthers bis heute lebenspraktisch wirksamer exemplarischer Akt der Befreiung des Glaubens aus den politischen Zwängen institutioneller Kirchlichkeit. Gerade in den Grenzsituationen des Lebens, etwa in der Einsamkeit des Sterbens, erweise sich Luthers Glaubensgewissheit auch für aufgeklärte, moderne Menschen bis heute als lebenspraktisch wirksam, so Gerhardt. 

Prof. Dr. Dorothea Wendebourg, stellvertretende Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats „Reformationsjubiläum 2017“

Sternstunde akademischer Debattenkultur 

Im zweiten Panel der Tagung untersuchte der Theologe Prof. Dr. Albrecht Beutel, Professor für Kirchengeschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, die Historisierung reformatorischer Basisimpulse. Am Beispiel verschiedener Vertreter der Aufklärung zeichnete er nach, wie sich das Interesse an der Reformation von Luthers Lehre hin zu seiner Person und vom Buchstaben hin zum Geist wendete.

Prof. Dr. Eilert Herms entfaltete in seinem Beitrag ein Epochenbild der Moderne. Nach Ansicht des Tübinger Systematikers habe das historische Erbe der Reformation seine Bedeutung nicht verloren. Schließlich gehe es auch im säkularen Staat um eine Ordnung des Gemeinwesens nach Maßgabe der Grundbedingungen des Menschseins. Im Anschluss an die Grundanliegen reformatorischer Theologie lassen sich diese in der Achtung der vorgegebenen, unantastbaren Menschenwürde, im radikalen Eintreten gegen Gesinnungszwang und im Auftrag zum Dienst an der Welt bestimmen.

Prof. Dr. Risto Saarinen aus Helsinki diskutierte schließlich unter Rückgriff auf aktuelle Modelle einer „Politik der Anerkennung“ und einer „Anerkennungskultur“ die Relevanz und Geltung der „theologischen Denkfigur“ der Rechtfertigung des Sünders durch Gott, die im Zentrum der reformatorischen Theologie steht, für säkulare Gesellschaften.

Die breit angelegte Schlussdiskussion am Samstag (28.11.15) war eine Sternstunde akademischer Debattenkultur und des gemeinsamen Ringens um die Wirkungsgeschichte der Reformation aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts. Auf die nächste Tagung des Wissenschaftlichen Beirats im Februar in Berlin darf man nach diesem fulminanten Auftakt gespannt sein. Unter dem Titel „Reformation und Recht“ werden dann die Kulturwirkungen der Reformation untersucht.

Informationen

Autor:luther2017.de Datum:01-12-15
Schlagworte:
Wissenschaftlicher Beirat, Reformation, Säkularisierung, Martin Luther, Tagung, Reformationsjubiläum, Berlin

Reformation und Recht

In Berlin fand eine Tagung des Wissenschaftlichen Beirats für das Reformationsjubiläum 2017 statt, welche die Folgen der Reformation für unsere Gesellschaft in den Blick nahm.

Reformationsjubiläum erinnert an Wurzeln der Gesellschaft

„Die Reformation hat eine gewaltige Signatur hinterlassen“, erklärte der frühere Verfassungsrichter und Vorsitzender des Beirats, Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, im voll besetzten Senatssaal der altehrwürdigen Humboldt-Universität.