Im Ulmer Münster, der größten evangelischen Kirche Deutschlands, von der 1524 auch die Reformation in der Stadt ausging, hat ein Augenarzt auf einem Fenster eine ausgefallene Darstellung der Jünger entdeckt: Petrus etwa trägt darauf eine Brille. Auch bei anderen Aposteln diagnostiziert der Fachmann verschiedene Augenleiden.
Man muss genau hinschauen, um das Detail auf einem der Glasfenster in der Besserer-Kapelle am Ulmer Münster zu erkennen: Petrus trägt eine Brille. Im fünften Chorfenster steht der Apostel in der um 1430 von Hans Acker geschaffenen Glasmalerei am Totenbett Mariens. Die Brille ist weniger als zwei Zentimeter groß. Aber sie ist wohl die älteste bekannte Darstellung einer auf Glas gemalten Sehhilfe.
Sanierungsarbeiten ermöglichen genaue Untersuchen
Hans-Walter Roth hat sie schon vor einigen Jahren entdeckt. Aber Sanierungsarbeiten in der – um 1430 erbauten und nach einem Patriziergeschlecht in Ulm benannten – Besserer-Kapelle ermöglichten es jetzt, die Darstellung genau zu untersuchen. Und Roth entdeckte erneut Erstaunliches: Der spätmittelalterliche Glasmaler Acker stellte neben dem brillentragenden Petrus auch die Apostel, die die soeben verstorbene Maria umstehen, mit Augenkrankheiten dar.
Dass Petrus zu Lebzeiten eine Brille getragen hat, ist natürlich unrealistisch – auch wenn mehrere aus dem späten Mittelalter stammende Malereien diesen Apostel mit Lesehilfe zeigen. Der allererste Guss einer durchsichtigen Linse gelang um 1270 in Norditalien, und noch einmal zwanzig Jahre später wurden erstmals zwei Gläser mit Haltern aus Holz und Elfenbein zu einer Art Brille verbunden. Zu Petrus' Zeiten gab es noch keine Augengläser.