Skip to main content

Johann Tetzel: Bad Guy oder Organisationstalent?

Interview mit Hartmut Kühne, dem Organisator der Tagung „Tetzel – Ablass – Fegefeuer“

Dr. Hartmut Kühne
Dr. Hartmut Kühne in der Jüterboger Nikolaikirche (Foto: Sebastian Köpcke)

„Wenn die Münze im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“ – Dieser berühmte Slogan wird heute dem findigen Dominikanermönchen Johann Tetzel zugeschrieben. Er gilt als der bekannteste Ablassprediger der Geschichte und steht sinnbildlich für eine verdorbene Kirche im ausgehenden Mittelalter. Aus der Geschichte der Reformation ist er kaum wegzudenken, soll doch sein Wirken der Auslöser für Luthers 95 Thesen gewesen sein. Dabei verbrachte Tetzel nur wenig Zeit im Umkreis Wittenbergs.

In Jüterbog widmet sich am Wochenende (29.-30.4.) die Tagung „Tetzel – Ablass – Fegefeuer“, welche auf die Ausstellung zum Reformationsjubiläum 2017 vorbereitet, der Wahrheit und den Legenden rund um die Person Tetzel. Ziel ist es, ein differenziertes Bild des Ablasspredigers zu zeichnen und den Menschen Johann Tetzel freizulegen. Im Interview mit luther2017.de sprach Dr. Hartmut Kühne, Organisator der Tagung, über das Bild Tetzels in der Geschichte, dessen Organisationstalent und zeigt, wer eigentlich zur Rechenschaft gezogen werden sollte. 

luther2017.de: Johann Tetzel ist wohl der bekannteste Ablassprediger der Geschichte dessen Wirken augenscheinlich der Auslöser für Luthers 95 Thesen war. Doch wer war Johann Tetzel eigentlich?

Hartmut Kühne: Johann Tetzel war ein Dominikanermönch und in vielen Dingen ist er Luther eigentlich ziemlich ähnlich gewesen. Er ist zwar etwa 20 Jahre älter, kam aber aus ähnlichen Verhältnissen wie der spätere Reformator. Sein Vater war ein erfolgreicher Fuhrunternehmer, der seinen Sohn auf die Universität nach Leipzig schickte. Dort muss irgendetwas passiert sein, das ihn bewogen hat in den Orden einzutreten und keinen weltlichen Beruf zu ergreifen. Stattdessen hat er den Weg einer Universitätskarriere eingeschlagen. Er hat studiert und er hat – ähnlich wie das bei Luther der Fall war – aufgrund von Querelen das Kloster gewechselt. Er ging von Leipzig nach Schlesien und wurde dort in Glogau Vorsteher des Klosters. 

Bekannt wurde er dadurch, dass er im Auftrag  des Deutschen Ordens einen Ablass verkündete. Diesen hatte sich der Deutsche Orden besorgt, um gegen die damals heranrückenden russischen Großfürsten seine Rüstung zu finanzieren. Vor dem Hintergrund der damaligen Bedrohungslage hatte der Orden den Papst gebeten, einen Ablass auszuschreiben, dessen Vertrieb wiederum u.a. von Johann Tetzel sehr erfolgreich organisiert wurde. Wir wissen heute gar nicht so genau, ob er selbst in diesem Zusammenhang viel gepredigt hat, aber er war offensichtlich ein Organisationstalent. 

Doch ab 1510 verschwindet er plötzlich für sechs Jahre ganz aus dem Blickfeld, ehe er – etwas zu seinem Pech muss man sagen – in den Diensten von Albrecht von Brandenburg, des Kardinals von Mainz, trat. Dieser ließ in seinen Territorien auch den Petersablass verkünden, dessen Ertrag unter anderem für den Bau des Petersdoms in Rom verwendet wurde. In diesem Zusammenhang war Tetzel tätig und ist dadurch Auslöser der Ablassthesen von Luther geworden. Er ist jedoch auch ziemlich schnell von der historischen Bühne abgetreten und bereits 1519 gestorben. Luther hat sich zu jener Zeit noch recht milde über ihn geäußert. Erst an seinem Lebensende, in den frühen 1540 Jahren, hat Luther dann ein ziemlich vernichtendes Urteil über Tetzel gefällt. Von daher muss man sich auch im Nachhinein fragen, ob dieses Urteil durch die Geschichte gedeckt ist. Fest steht, dass das Bild von Tetzel so nachhaltig beschädigt wurde. 

Johann Tetzel
Der katholischer Theologe und Ablassprediger Johann Tetzel (um 1465 - 1519). Lithographie von R. Weibezahl (um 1832) „Tezel, der Ablasskämer" (Bild: © epd-bild / akg-images)

luther2017.de: So hat also erst das Urteil Martin Luthers Johann Tetzel auf die Bühne der Weltgeschichte geholt?

Hartmut Kühne: Ich denke, ohne das Auftreten Luthers wäre Tetzel eine relativ harmlose historische Gestalt geblieben. Er war sicherlich ein wichtiger und prominenter Mann im Dominikanerorden, zumindest innerhalb des mitteldeutschen Raumes. Aber diese Bedeutung, die man ihm heute zumisst, hat er eigentlich erst post mortem erhalten, indem Luther ihn sehr viel später zum Urheber des  Ablassstreites machte. Und damit ist er in die protestantische Erinnerungskultur als der Erzbösewicht eingegangen oder sozusagen als der „Bad Guy“ in diesem historischen Stück.

luther2017.de: Stammt der bekannte Slogan „Wenn die Münze im Kasten klingt, die Seele aus dem Feuer springt“ von Tetzel?

Hartmut Kühne: Für diesen Satz gibt es keinen Beleg. Man hat ihn Tetzel zwar sehr früh zugesprochen, aber der Hintergrund der ganzen Geschichte ist eben die Ablasslehre, die Raimund Peraudi, ein französischer Kardinal im 15. Jahrhundert entwickelt hatte. Dessen Innovation  war es gewesen, den Ablass auch für bereits Verstorbene gelten zu lassen. Hinter dem bekannten Satz steht letztendlich die Idee, dass Verstorbene, die ihre Sünden bereut und gebeichtet haben, im Stand der Gnade seien, sich also nicht in der Hölle befinden, sondern im Fegefeuer. Wenn man nun für diese einen Ablass erwirbt, muss man selbst keine Sünde bereuen oder beichten, man tut  dies ja für die Toten. Doch sollten die Toten ohne Reue und Beichte als Totsünder verstorben sein, sind sie in der Hölle, so kann man nichts mehr für sie machen. Es geht also bei diesem Satz inhaltlich um die Toten, für die man nun Ablässe erwerben kann. Peraudi hat diesen Grundsatz durchgesetzt und sich dafür auch eine päpstliche Bestätigung besorgt. Das ist der Hintergrund für diese Form des Ablasses, die jedoch immer wieder aus dem Zusammenhang gerissen und auf andere Verhältnisse übertragen wird, so als ob es den Ablass gratis, ohne Reue und Beichte geben könne. 

Derartige Dinge werden dann immer wieder Tetzel zugeschreiben, obwohl sie inhaltlich gar nicht von ihm stammen, sondern bereits seit der Mitte des 15. Jahrhunderts durch die großen Ablasskampagnen in Mode kamen. Er hat sie nur mitgetragen. Ich denke, ein großer Erfinder war er gar nicht, sondern mehr ein solider Organisator. Übrigens ist Raimund Peraudi, der eigentliche Vordenker und Organisator der großen Ablasskampagnen, als äußerst frommer und integrer Mann in Erinnerung geblieben.  

Tetzelkasten
Der Tetzelkasten in Jüterbog (Bild: Stadt Jüterbog)

luther2017.de: Wie kommt es, dass das alles auf Tetzel als Person projiziert wird? 

Hartmut Kühne: Luther hat nach einer gut belegten Überlieferung dem sterbenden Tetzel einen Trostbrief geschrieben und versichert, dass er nicht der alleinige Urheber des Ablassstreites gewesen sei. Und Tetzel taucht in den von Luther gedruckten Schriften auch lange Zeit gar nicht auf. Aber in einer späten Äußerung aus dem Jahr 1541, in einer sehr polemischen Flugschrift, schreibt er sehr vernichtende und auch gehässige Dinge über ihn, die so nicht zutreffen können. Fast gleichzeitig verfasste der Reformator Myconius einen Lebensbericht, in dem er sich auch über Tetzel auslässt. Diese beiden Texte sind schließlich die Hauptquellen für das Bild Tetzels, das dann im frühen 17. Jahrhundert entsteht.  

Im Jahr  1617 wurde in den lutherischen Gebieten das erste Reformationsjubiläum gefeiert. Zu dem Jubiläum wurden Predigten gehalten, Flugblätter gedruckt und verteilt, aber auch Theaterstücke geschrieben und aufgeführt. In diesen Stücken taucht Tetzel neben dem Papst als Hauptgegner Luthers, als Erzbösewicht auf. Aufbauend auf Luther und Myconius entwickelte sich bei dem  Reformationsjubiläum 1617 jenes Tetzelbild, das wir bis heute in unseren Köpfen haben. Es war  die Geburtsstunde dieser Geschichtskonstruktion und es wäre gut bei dem gegenwärtigen Jubiläum, vierhundert Jahre später, damit aufzuräumen.

luther2017.de: Am Wochenende findet in Jüterbog die Tagung „Tetzel – Ablass – Fegefeuer“ statt. Was ist das erklärte Ziel dieser Tagung?

Hartmut Kühne: Die einzige wissenschaftlich ernstzunehmende biografische Darstellung Johann Tetzels ist vor über 100 Jahren erscheinen, nämlich 1899. Seitdem ist an Forschungen zu Tetzel relativ wenig passiert. Ein Ziel der Tagung war es deshalb, die neuere Forschung zu Tetzel zusammenzufassen und auch einiges an neuen Forschungen anzuregen, so dass wir Tetzel einerseits in den Kontext seiner Zeit stellen, um ihn angemessen beurteilen zu können. Andererseits sollen aber auch ganz bestimmte Phasen seines Lebens erhellt werden. Wir haben ja die seltsame Situation, dass man Tetzel immer mit dem Petersablass verbindet. Das ist aber eine ganz kurze Phase seines Lebens. Den eigentlichen Erfolg als Ablasskommissar hatte er mit dem Livlandablass, für den er rund sieben Jahre in  Mitteldeutschland aber auch bis nach Straßburg, Köln und Maastricht unterwegs war. Diese viel intensivere Zeit seines Lebens ist heute gar nicht mehr präsent. Und wir werden eine ganze Reihe von Beiträgen haben, die uns vorstellen, wie er z.B. als Ablasskommissar etwa in Görlitz bzw. dem Oberlausitzer Sechsstädtebund, in  Sachsen und z.B. in Annaberg gewirkt hat. Wichtig ist also eine historisch angemessenere Darstellung seiner Person aber auch das Verständnis für den Kontext, in dem er sich bewegte. Es  ist eben das erste Mal, dass sich Forscher verschiedener Disziplinen – Historiker, Germanisten, Kirchenhistoriker und auch die Kunstgeschichte – in dieser umfassenden Weise mit der Person Tetzel beschäftigen.

Informationen

Autor:Das Gespräch führte Michael Achhammer Datum:28-04-16
Schlagworte:
Johann Tetzel, Ablassprediger, Ablass, Kirche im Mittelalter, Kirche,

Ablassbriefe – mit Vollkasko ins Jenseits

Um ihren wachsenden Geldbedarf decken zu können, entwickelte die Kirche eines der einfallsreichsten Finanzierungsmodelle der Geschichte – das Geschäft mit dem Ablass. Zahlen musste jeder, der das Fegefeuer vermeiden wollte. Und wer ganz auf Nummer sicher gehen wollte, der konnte auch gleich noch seine verstorbenen Verwandten und Freunde freikaufen. Möglich machte das der Ablass, eine Art Versicherungs-Police, mit der sich die Menschen für ein paar Münzen gegen die Qualen des Fegefeuers absichern konnten.

Jüterbog

Die Stadt Jüterbog ist eine der ältesten Städte Brandenburgs und entwickelte sich im Mittelalter zu einer bedeutenden Handelsstadt