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Historiker Schilling über Luther: "Ein Rebell mit großer Sprachgewalt“

Interview mit dem Historiker Heinz Schilling

Megafon
(Foto: thinkstock/getty-images/Thomas Northcut)

Luther2017: Egon Erwin Kisch, der große Reporter, nannte Martin Luther den ersten modernen Journalisten, weil er die Bibelso übersetzte und so schrieb, dass alle es lesen konnten. Stimmt das?

Heinz Schilling:Ich kann dem teilweise zustimmen, muss aber auch widersprechen. Zustimmen, weil dieser Mann ungeheuer aktuell und umfangreich produziert hat. Der hat seine Texte geradezu raus­gehauen. Die andere Seite: Luther sieht sich selbst, wie er in Worms formuliert, als „gefangen im Worte Gottes“. Er kann nicht tages­journalistisch distanziert bewerten. Dass er vorzüglich schrieb, ist keine Frage.

So fern und doch so nah. Was ist aktuell geblieben von der Haltung dieses Menschen Luther? Und wo muss man sagen: Na ja, das war vor 500 Jahren – der lebte in einer anderen Welt?

Schilling:Wenn ich verfolgt habe, wie die Parteien sich nach der Wahl um die Regierungsbildung mühten, dachte ich oft an Luther. Der war ein Mann, der die Ideologien seiner Zeit abwehrte. Leute wie Thomas Müntzer, aber auch die Mystiker hat er zurückgewiesen, weil sie ihm die Dinge zu ideologisch behandelten. Luther hätte den Parteipoli­tikern zugerufen: Hört auf mit dem ideologischen Zickzack, bohrt die dicken Bretter, so dass es für die nächsten Jahre eine vernünftige Regierung für Deutschland gibt. Die religiösen Ideologen hat er auch bei der Neukonstruktion der Kirche immer wieder gebremst mit dem Hinweis, wir müssen Geduld haben, wir müssen den Menschen die Reform so vermitteln, dass sie es verstehen.

Luther wollte eine universale Reform der Christenheit. Das ist schiefgegangen.

Schilling:In einem war Luther völlig "unmodern“. Er war überzeugt davon, dass der Teufel wirklich regierte. Außerdem war er unfähig zum Dialog. Ob das die Zwickauer Prophetenum Thomas Müntzer waren oder die Reformierten oder die der Papstkirche Treuen – Luther war nie kompromissbereit, konnte und wollte nicht hören, was Andersglaubende sagten und dachten. Er hat die Differenzierung der Welt erzwungen, konnte sich selbst aber nie als Teil derselben sehen.

Vielfalt im Nebeneinander der Glaubenden und ihrer Religionen war seine Sache nicht.

Schilling:Das darf man nicht verstecken. Andererseits: Nur sein fester Glaube an eine für ihn absolute Wahrheit hat ihn überhaupt in die Lage ­versetzt, die Reformation durchzuziehen.

Mit seiner Sprachgewalt hat er einiges zerschlagen

Die Leuenberger Konkordie, gerade 40 Jahre alt, ermöglicht es Christen mit unterschiedlichem Abendmahlsverständnis, gemeinsam am Tisch des Herrn zu sein. Für Luther denkbar?

Schilling:Nein! Das hat er nach den Marburger Gesprächen über ein gemeinsames Abendmahl sehr deutlich gemacht. Mit seiner Sprachgewalt hat er gegenüber den anderen reformatorischen Kräften vieles zerschlagen, nicht nur gegenüber der Papstkirche.

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Heinz Schilling
Heinz Schilling (Foto: PR)

Luther stellte fest, der Alltag sei der Platz, an dem sich das Christsein erweise. Bei der Arbeit, im „Beruf“ – eine Luther-Erfindung – seien die Menschen Priester.

Schilling:Das In-die-Welt-Bringen des Religiösen war eine gewaltige Leistung Luthers. Er denkt noch ganz in der Ständegesellschaft. Jeder hat seinen Platz, aber wenn er dort den Dienst für die Nächsten und für Gott leistet, dann hat er direkten Zugang zu Gott. Das ist etwas Egalitäres. Das darf nicht verloren gehen. Luther war kein Revolu­tionär, er war ein Rebell. Aber der Beginn der Gleichheit steckt in der Idee, dass alle Menschen Gott gegenüber gleich sind, unabhängig von ihrem Stand. Das muss man den Menschen heute neu bewusst machen, wenn sie sagen, die Religion habe die Emanzipation immer nur behindert oder verzögert. Nein! Durch diesen religiösen Aufbruch begann der lange Weg hin auch zur sozialen Gleichheit.

Was haben Katholiken und die katholische Kirche durch die Reformation gewonnen? Gibt es da überhaupt etwas?

Schilling:Aber natürlich. Es gab auch schon vor Luther reformorientierte Kräfte in der römischen Kirche. Aber ihre Bemühungen sind immer im Sand verlaufen. Entweder wurden die Reformer wie John Wyclif oder Jan Hus gebrandmarkt oder so geschickt integriert, in Watte gepackt, dass sie wirkungslos blieben. Nach Luther war das nicht mehr möglich. Luther war der Stachel im Fleisch dieser römischen Kirche, in der Religion zur Nebensache zu verkümmern drohte. Durch Luther kam auch die römische Kirche wieder zu einer Konzentration auf das Religiöse als existentielle Kraft.

Was ist Ihre Erwartung für das Reformationsjubiläum 2017?

Schilling:Ich habe die Sorge, dass dieses Ereignis zu einem touristischen, volksfestlichen Event verkümmern könnte. Wir sollten dieses Datum zu einer Würdigung und zu einer Neuorientierung an der reformatorischen Leistung Luthers nutzen. Voraussetzung für ein Gelingen ist aber, Luther und seine evangelische Theologienicht vorschnell auf die Interessen und Bedürfnisse der Gegenwart zu verengen, sondern zu versuchen, ihn und die Reformation aus ihrer Zeit heraus zu begreifen. Erst eine solche historische Grundlagenforschung macht den Blick frei auf seine Bedeutung für die Gegenwart und vor allem für die Zukunft christlichen Zusammenlebens in konfessioneller ­Verschiedenheit.


Heinz Schilling lehrte bis 2010 Geschichte der frühen Neuzeit an der Humboldt-Universität Berlin. Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Lutherdekade.

Das Interview ist zuerst erschienen in chrismon Spezial 2013.

Cover
Cover (Foto: PR)

Heinz Schilling lehrte bis 2010 Geschichte der frühen Neuzeit an der Humboldt-Universität Berlin. Er ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Lutherdekade.

Das Interview ist zuerst erschienen in chrismon Spezial 2013.

Informationen

Autor:Das Gespräch führte Arnd Brummer Quelle:chrismon Datum:08-11-13
Schlagworte:
Bibel, Toleranz, Ökumene, Sprache, Heinz Schilling