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Gedächtnis der Protestanten – In Gotha wird ein Schatz der Reformationsgeschichte gehoben

Sammlung handschriftlicher Bestände zur Reformationsgeschichte wird erschlossen

Seite aus dem "Gothaer Stundenbuch“
(Foto: epd-bild/Forschungsbibliothek Gotha)

Mitunter ist Heiligabend schon im Herbst. Im Herzogtum Sachsen-Weimar etwa stand am Beginn des 200. Reformationsjubiläums von 1717 ein „Heiliger Abend mit Lobgesang“. Der eigentliche Reformationstag am 31. Oktober galt als 1. Feiertag, gefolgt von zwei weiteren. Mit dem viertägigen Fest gab sich das kleine Fürstentum in Deutschlands Mitte einmal mehr als protestantisches Musterland – ganz im Sinne des streng lutherischen Herzogs Wilhelm Ernst (1662-1728).

Die Weimarer Feierlichkeiten sind ausführlich beschrieben in dem Band „Hilaria Evangelica“, mit dem der Gothaer Theologe und Bibliothekar der fürstlichen Bibliothek, Ernst Salomon Cyprian (1673-1745), Nachrichten vom damaligen Jubiläum aus ganz Europa dokumentierte. Das Konvolut von 1719 mit 2.000 Folioseiten und dem Untertitel „Theologisch-Historischer Bericht vom Andern Evangelischen Jubelfest“ gilt in den Beständen der Gothaer Forschungsbibliothek zur Reformationsgeschichte als ein Schlüsselwerk.

Projekt „Studienstätte Protestantismus“

„Das Buch ist ein wichtiger Teil der protestantischen Erinnerungskultur“, sagt Sascha Salatowsky, Mitarbeiter im Projekt „Studienstätte Protestantismus“ an der Bibliothek auf Schloss Friedenstein in Gotha, die zur Erfurter Universitätsbibliothek gehört. Für die drei Bücher der „Hilaria“ habe Cyprian mit Persönlichkeiten in ganz Europa korrespondiert und auf diese Weise Programme und Jubelschriften aus nahezu allen Regionen und Universitäten zusammengetragen. „Das Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg verstand sich seit Herzog Ernst dem Frommen als Sachwalter des Luthertums. Cyprian wollte gegen das Vergessen anschreiben und lebendig halten, was die Reformation bewirkt hat“, erläutert der Wissenschaftler.

Der Gothaer Theologe und Bibliothekar der fürstlichen Bibliothek, Ernst Salomon
Der Gothaer Theologe und Bibliothekar
der fürstlichen Bibliothek, Ernst Salomon
Cyprian
(Foto: Wikimedia Commons)

Cyprian selbst formulierte als Anliegen in seinem Vorwort, die „hin und her zerstreute Kirche“ solle 200 Jahre nach der Reformation „aus diesem Wercke sich selbst besser erkennen“. Seine Sammlung von öffentlichen Anordnungen und Gebeten, von Lesungs- und Predigttexten bis hin zu Festberichten zum Teil im akademischen Latein und einer Aufstellung von Jubiläumsmünzen reichen vom lutherischen Königreich Dänemark über die sachsen-ernestinischen Herzogtümer in Mitteldeutschland und ihre Universitäten bis ins lutherische Ausland unter anderem mit Ungarn, Österreich, Schlesien oder England.

„Mit orthodoxem Herzblut geschrieben“

Dagegen gab es aus Bremen oder Schweden nichts zu berichten, wie Cyprian 1718 erfuhr. Vor dem Hintergrund der beginnenden Aufklärung im 18. Jahrhundert habe der orthodoxe Lutheraner einen Beitrag zur Einheit der Protestanten leisten wollen, sagt Salatowsky. „Cyprian war eine Übergangsfigur zwischen Spätorthodoxie und Frühaufklärung.“ Seine „Hilaria“ seien sozusagen „mit orthodoxem Herzblut geschrieben“.

Zudem habe er mit seinen zahlreichen Erwerbungen und seiner umfangreichen Korrespondenz Gotha zu einem wichtigen Zentrum der Reformationsgeschichtsschreibung gemacht. Die handschriftlichen Bestände zur Reformationsgeschichte seien durch gezielte Sammlungstätigkeit der Gothaer Herzöge über Jahrhunderte auf mehr als 16.000 Einzelstücke und über 7.000 Tischreden Martin Luthers angewachsen, jedoch lange Zeit von der Forschung nur wenig beachtet worden. Das änderte sich in den vergangenen Jahren mit gezielten Forschungen zur Kulturgeschichte des Protestantismus.

„Thüringen ist für die Reformation ein wichtiger Erinnerungsraum“

Nachdem mit Förderung durch die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) zunächst die Bestände des 16. und 17. Jahrhunderts wissenschaftlich erschlossen wurden, geht es nunmehr in einem dritten DFG-Projekt um die Erfassung des Cyprian-Nachlasses mit etwa 7.300 Einzeldokumenten. Darunter sind allein knapp 4.000 Dokumente von Cyprians Korrespondenz. Die Bestandsaufnahme des Fundus zur Geschichte der protestantischen Bewegungen soll bis zum Reformationsjubiläum in drei Jahren dokumentiert sein.

„Thüringen ist für die Reformation ein wichtiger Erinnerungsraum", sagt Salatowsky. Martin Luther könne man zwar „nicht nach Gotha ziehen“. Doch seine Auswirkungen seien in der einstigen Residenz deutlich ablesbar: „Das ist eine Geschichte, die man gar nicht oft genug erzählen kann.“ Die Forschungsbibliothek Gotha arbeitet deshalb in der Studienstätte zum Protestantismus schon jetzt an entsprechenden Veranstaltungen für die Jahre bis 2017.

Informationen

Autor:Thomas Bickelhaupt Quelle:epd Datum:24-07-14
Schlagworte:
Erfurt, Forschung, Gotha, DFG, Gothaer Forschungsbibliothek

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