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Erst beten, dann feten – Berlin und der Kirchentag

Besucher des Kirchentags in Berlin genießen die Sonne an der Messe. (Bild: epd-bild/Friedrich Stark)

Beim Protestantentreffen zeigt sich Berlin mal wieder von seiner toleranten Seite: Gelassen erträgt die Stadt weiträumige Absperrungen und Völkerscharen von Kirchentagsbesuchern. Dabei hat Religions-Bashing in der Hauptstadt eine gewisse Tradition. 

Um beim evangelischen Kirchentag ins interreligiöse Gespräch zu kommen, muss man an Betonbarrikaden, Absperrgittern und quergestellten Polizei-LKW vorbei. „Wir sollen hier besonders aufmerksam sein“, sagt der nette junge Polizist mit der Maschinenpistole um den Hals. „Die Leute sollen sich sicher fühlen.“

Der Initiative Lange Nacht der Religionen hat zu einer „Weißen Tafel“ auf den Berliner Gendarmenmarkt eingeladen. Bei Fladenbrot, Saft und Wasser sollen die Kirchentagsbesucher mit Vertretern anderer Religionen und Weltanschauungen ins Gespräch kommen. Berlin sei nun mal eine wahnsinnig vielfältige und bunte Stadt, auch bei den Religionen, sagt Mitorganisatorin Tabea Perger. „Überall ist in diesen Tagen evangelischer Kirchentag. Aber was gibt es noch?“ Zum Beispiel über 250 verschiedene Religionsgemeinschaften. Das wolle man den Leuten mit der Tafel und der eigens auf den Kirchentag gelegten langen Nacht der Religionen am Abend zeigen.

Brauchtum hat in Berlin eher selten christliche Ursprünge

Kirchenfeindlichkeit und Religions-Bashing haben in Berlin in eine gewisse Tradition. Dem Berliner Altbischof und früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, wird in den 1990er Jahren der Satz zugeschrieben, mit der Wiedervereinigung Berlins sei der gelebte West-Berliner Atheismus auf den verordneten in Ost-Berlin getroffen. Brauchtum hat hier eher selten christliche Ursprünge oder sie sind längst in Vergessenheit geraten. Die großen Feste heißen hier Karneval der Kulturen, Christopher-Street-Day oder 1. Mai und nicht Fastnacht, Allerheiligen oder Reformationstag.

Und so kommt es am Himmelfahrtstag in der Stadt zu interessanten Begegnungen zwischen den freundlichen, gut gelaunten Kirchentagsbesuchern erkennbar an ihren orangefarbenen Schals und Horden betrunkener Männer, die im Schlepptau eines Handwagens beladen mit Bierkisten und einem scheppernden Lautsprecher „Herrentag“ feiern, wie es im Osten der Republik bis heute heißt. Dass dieser Vater/Herrentag einen zutiefst christlichen Ursprung hat – wer will's schon wissen.

Kirchentagsteilnehmer zeigen Emojis, die beim Abend der Begegung ausgegeben wurden. (Bild: epd-bild/Thomas Lohnes)

Die etwa 140 000 Menschen mit den orangefarbenen Schals bevölkern derweil die Straßen und Plätze der City Ost und City West und besuchen die rund 2500 angebotenen Veranstaltungen. Sie bejubeln am Brandenburger Tor den Kirchentags-Gast und ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama wie einen Popstar, lauschen skeptisch der Diskussion des Berliner Bischofs Markus Dröge mit einer AfD-Politikerin in der Sophienkirche oder singen und beten in einem Open-Air-Gottesdienst an der Gedächtniskirche am Breitscheidplatz.

„Von denen will keiner mitfahren“

Für den Rikschafahrer, der neben der Kirche auf Kunden wartet, hat der Kirchentag allerdings bislang nichts gebracht. „Von denen will keiner mitfahren“, sagt er und deutet auf die Menschen mit den orangefarben Schals. Der Kirchentag prinzipiell störe ihn nicht, aber dass der Berliner Senat acht Millionen Euro dazu gegeben hat, finde er er schon „krass“. „Das kommt davon wenn Kirche und Staat nicht getrennt sind.“

Auch der Mann, der „Bodypainting“ und „Holiday Tattoos“ auf den Stufen vor der Gedächtniskirche anbietet, hat feststellen müssen, dass mit den Christen kein Geschäft zu machen ist. Im Gegenteil, sagt er. Durch die ganzen Kirchentagsveranstaltungen auf dem Breitscheidplatz blieben die anderen Touristen fern, glaubt er. Deswegen laufe das Geschäft schlechter als sonst.

Seit Jahren dabei, wegen der Menschen und des Flairs

Zehn Kilometer weiter östlich ruhen sich Manuela Niehues und Jürgen Scholz vor dem Berliner Hauptbahnhof auf Betonpollern aus. Die beiden Katholiken aus dem Emsland und der Grafschaft Bentheim sind seit Jahren auf jeden Kirchentag und jeden Katholikentag dabei, „wegen der Menschen, des Flairs und der Geselligkeit“, wie Niehues sagt.

Als besonders religiös habe er Berlin als Gastgeberstadt bislang nicht wahrgenommen, sagt Scholz. „Das ist in anderen Städten schon ganz anders.“ Die waren von den Kirchen- oder Katholikentagen viel stärker geprägt. Trotzdem gefällt es den beiden in der Hauptstadt sehr gut. Bis auf die Radfahrer, sagt Scholz. Die seien zum Teil unglaublich aggressiv.

Für Niehues und Scholz endet der Kirchentag am Samstagabend mit dem DFB-Pokal-Finale, dass sie in der Stadt feiern wollen. „Wir verfahren nach dem Motto, erst beten, dann feten“, sagt Niehues lachend.

Informationen

Autor:Markus Geiler Quelle:epd Datum:26-05-17
Schlagworte:
Berlin, Deutscher Evangelischer Kirchentag, Reaktionen, Gelassenheit

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