Beim Protestantentreffen zeigt sich Berlin mal wieder von seiner toleranten Seite: Gelassen erträgt die Stadt weiträumige Absperrungen und Völkerscharen von Kirchentagsbesuchern. Dabei hat Religions-Bashing in der Hauptstadt eine gewisse Tradition.
Um beim evangelischen Kirchentag ins interreligiöse Gespräch zu kommen, muss man an Betonbarrikaden, Absperrgittern und quergestellten Polizei-LKW vorbei. „Wir sollen hier besonders aufmerksam sein“, sagt der nette junge Polizist mit der Maschinenpistole um den Hals. „Die Leute sollen sich sicher fühlen.“
Der Initiative Lange Nacht der Religionen hat zu einer „Weißen Tafel“ auf den Berliner Gendarmenmarkt eingeladen. Bei Fladenbrot, Saft und Wasser sollen die Kirchentagsbesucher mit Vertretern anderer Religionen und Weltanschauungen ins Gespräch kommen. Berlin sei nun mal eine wahnsinnig vielfältige und bunte Stadt, auch bei den Religionen, sagt Mitorganisatorin Tabea Perger. „Überall ist in diesen Tagen evangelischer Kirchentag. Aber was gibt es noch?“ Zum Beispiel über 250 verschiedene Religionsgemeinschaften. Das wolle man den Leuten mit der Tafel und der eigens auf den Kirchentag gelegten langen Nacht der Religionen am Abend zeigen.
Brauchtum hat in Berlin eher selten christliche Ursprünge
Kirchenfeindlichkeit und Religions-Bashing haben in Berlin in eine gewisse Tradition. Dem Berliner Altbischof und früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, wird in den 1990er Jahren der Satz zugeschrieben, mit der Wiedervereinigung Berlins sei der gelebte West-Berliner Atheismus auf den verordneten in Ost-Berlin getroffen. Brauchtum hat hier eher selten christliche Ursprünge oder sie sind längst in Vergessenheit geraten. Die großen Feste heißen hier Karneval der Kulturen, Christopher-Street-Day oder 1. Mai und nicht Fastnacht, Allerheiligen oder Reformationstag.
Und so kommt es am Himmelfahrtstag in der Stadt zu interessanten Begegnungen zwischen den freundlichen, gut gelaunten Kirchentagsbesuchern erkennbar an ihren orangefarbenen Schals und Horden betrunkener Männer, die im Schlepptau eines Handwagens beladen mit Bierkisten und einem scheppernden Lautsprecher „Herrentag“ feiern, wie es im Osten der Republik bis heute heißt. Dass dieser Vater/Herrentag einen zutiefst christlichen Ursprung hat – wer will's schon wissen.