Vor 500 Jahren nahm der Buchmarkt seinen enormen Aufschwung – auch dank der Reformation. Heute kriselt es. Statt der Bücher lesen viele zumeist algorithmisch bereitgestellte Häppchen im Web. Doch noch immer steckt Luther in der deutschen Lesekultur.
Allen Krisen des Buches zum Trotz: Deutschland hat auch 2017 noch den zweitgrößten Buchmarkt der Welt, und im Jahr des 500. Reformationsjubiläums gibt es hier noch immer eine Lesekultur, die ihresgleichen sucht. Zwölf Bücher erwarb jeder Deutsche im Schnitt im vergangenen Jahr laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Die Frankfurter Buchmesse mit ihren vielen Lesungen, Preisen und Dichterpodien wird seit Dienstag (10.10.) wieder unmittelbar von dieser Lesebegeisterung zeugen. Theologen und Kulturforscher meinen, es sei kein Zufall, dass das Leseland zugleich dasjenige der Reformation ist.
Sebstbildung gehört zum lutherischen Glaubensleben
Der Protestantismus habe das „Lesen fast zu einer religiösen Tätigkeit gemacht“, sagt Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Das sei eine der „großen kulturellen Errungenschaften des Protestantismus“. Dass ein Mensch sich selber bildet, indem er sich zurückzieht, ein Buch liest, den Text auf sich wirken lässt und ihn laut Claussen „in sich hineinbildet“ – das gehört aus lutherischer Sicht zum Glaubensleben dazu wie der Kirchgang. Folgt man Claussen, so hat dieses Bildungsverständnis die Deutschen stark und letztlich konfessionsübergreifend geprägt.
Martin Luther hatte die Alphabetisierung vorangetrieben, um den Gläubigen das Lesen der Bibel zu ermöglichen. Durch die Lektüre sollten sie sich – unabhängig von kirchlichen Autoritäten – selbst ein Bild vom gnädigen Gott machen. Das war das vorderste Ziel. Die Bibel sei alles, was ein frommer Christ brauche, schrieb der Wittenberger Theologieprofessor. Deshalb bedürfe die Seele „auch keines anderen Dinges mehr, sondern sie hat in dem Wort Genüge, Speise, Freude, Frieden, Licht, Kunst, Gerechtigkeit, Wahrheit, Weisheit, Freiheit und alles Gut überschwänglich“, wie es in der Luther-Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ heißt.
Nicht möglichst viel, sondern das Richtige lesen
Der Reformator, der 1517 seine 95 Thesen zur Erneuerung der Kirche veröffentlicht und dadurch unbeabsichtigt deren Spaltung ausgelöst hatte, las selbst begeistert im „Buch der Bücher“. Er las immer wieder, hatte geradezu ekstatische Leseerlebnisse. Ihm ging es vor allem darum, nicht möglichst viel, sondern das Richtige zu lesen. Das aber mit großer Intensität.