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Kirchengemeinde in der Reformationsstadt Homberg von Gundula Kühneweg

Einmal im Monat – immer am ersten Samstag, von 14 bis 17 Uhr – wird auf dem Homberger Marktplatz  „öffentlich“ gehäkelt. Bis September 2016 soll ein wolliges Lutherplakat entstehen.

Zwischen drei und fünf Menschen bilden an
den Samstagen den „harten Kern“ der Häkelnden.

„Ihr seid verrückt“, ließen uns ein paar Leute wissen, als die Häkelei im März begann. Tja, wie hätten wir darauf antworten sollen außer mit freundlich-zuversichtlichem Lächeln?

„Was macht ihr da?“ Mit dieser Frage wagen sich mitunter Touristen heran, die in Homberg einen Zwischenstop einlegen, um Altstadt, Reformationskirche und Burg anzuschauen. Wenn sie uns, die einmal im Monat „öffentlich“ häkeln, am Rand des Marktplatzes entdecken, treibt die Neugierde sie heran. Oft entwickeln sich sehr nette Gespräche, manchmal kommt das Angebot, „mal eben ein Quadrat mitzuhäkeln“. Gerne doch. Es sollen sich möglichst viele Menschen an diesem Projekt beteiligen.

Beim Blick auf bereits Zusammengehäkeltes beschäftigte am vergangenen Samstag gleich mehrere Passanten eine neue Doppel-Frage: „Wo und wie wollt ihr dieses Teil befestigen?“ Das Wo? belastet uns nicht (wird – noch – nicht verraten). Das Wie? beginnt uns Kopfzerbrechen zu bereiten. Der „Teppich“ wird nämlich nicht nur groß, er wird außerordentlich schwer. Wie auch nicht, der Reformator hat ja richtig Gewicht – bis heute. 

Das Zwischenergebnis kann sich sehen lassen ...

(Foto: privat)

„Hattet ihr Winterpause?“, traute sich dieser Tage jemand zu fragen? Als Antwort erklang fröhliches Gelächter, ehe von Häkelaktionen während des Winterhalbjahres berichtet wurde. Seniorenkreise hatten eingeladen. Aufregende, immer anregende Begegnungen. „Legen Sie uns ein Muster auf den Tisch, den Rest kriegen wir hin“, sagten etwa zwei ältere Damen in einer gewissen „Wettkampfhaltung" dem „Jungspund" Benny gegenüber. Und tatsächlich: Da gingen Könnerinnen ans Werk, hatten ihren Spaß dabei – und gaben ein bisschen an. „Das Muster ist einfach.“ Lobesworte kamen den Damen jedoch über die Lippen, als ihnen Luther „vorgelegt“ wurde, jedenfalls das, was Lotti aus vielen Einzelquadraten bereits zusammengenäht hatte. Kein Wort mehr von „einfach“, nur sichtbare Freude, am „Lutherplakat“ mitzumachen. Das Foto belegt‘s. Luther vermag offensichtlich Konfessionen, Geschlechter und Generationen zusammenzubringen – wer hätte das gedacht …

Luther und der Endspurt

Häkeln der Quadrate (Bild: privat)

Frühlingssonnen-Samstag: Benny und Lotti praktizieren bei angenehmen 18° Celsius „Freiland-Häkeln“ am Rande des Marktplatzes. Selbst Luther liegt „lang ausgestreckt“ in der Sonne. Nicht ganz vollständig, aber unverwechselbar. Leider kommt sonst niemand mehr, jedenfalls kein Helferlein. Dafür die anderen. Die Sonne lockt sie raus. Homberger „Urgesteine“, sozusagen auf Kontrollgang über Hombergs „gute Stube“. Wie eine Baustelle begutachten sie das Lutherbild, fachsimpeln, zollen Anerkennung. Allerdings sind sie allesamt bekennende „Grobmotoriker“, die freundliche Einladung, den Einsatz der Häkelnadel zu üben, lässt sie erschauern. Etliche unbekannte Menschen nähern sich, Gäste auf der Durchreise. Auch sie frei und interessiert genug, nicht nur das Häkelwerk zu betrachten, sondern sich zu informieren und (mit Erlaubnis) zu fotografieren.

Ein Kind rückt geradeheraus mit seinen Fragen: „Wie viele Teile sind das? Wie lange sitzt ihr schon hier?“ Benny turnt der Schalk im Nacken: Weit über 2000 Quadrate seien fertig, antwortet er korrekt, doch dann: „Wir sitzen hier seit 13 Monaten.“ Am 1. April wär’s dem Jungen vielleicht aufgegangen, aber heute am 2. April darf man ja eigentlich niemanden mehr in den April schicken. Deshalb erkundigt sich der 10-Jährige besorgt: „Seid ihr da nicht verhungert und verdurstet?“ Wieder einmal, es scheint zum Projekt zu gehören, ansteckendes Gelächter. Schnell gibt Benny den Blick (und den Zugriff) frei auf die selbst gebackenen Cookies. Klarer Fall: verhungern unmöglich.

Das fast fertige Lutherplakat (Bild: privat)

Ein Wort zu unseren beiden „Häkelakrobaten“. Weiterhin wird viel und herzlich gelacht. Ihre Körpersprache verrät’s trotzdem – auf Nordhessisch: „S’schigged awwer bahle.“ Wie viele Quadrate sind noch zu häkeln? 246. Also bitte, weniger als 10% der Gesamtmenge. Ein Klacks. Das schafft ihr! Beim Treffen am Mittwoch gibt’s bestimmt wieder Hilfe.

Der liegende Luther in der Stadtkirche

„Sie dürfen Ihr Projekt zur Probe in der Kirche auslegen“, erklärte die geschäftsführende Pfarrerin. Das taten wir, zogen mit Handkarre in die Kirche, schleppten etwas, das nach einer überdimensionierten Decke aussah, in den Altarraum und begannen „Luther“ auszurollen. „Hier ist ein Loch; hier auch.“ „Da drüben haben sich Nähte geöffnet.“ Lottis scharfem Kontrollblick entging nichts. Entschlossen griff sie zu Nadel und Faden, um die Fehler zu beheben. Drei Fremde gesellten sich zu uns, erahnten das Maß an Arbeit und baten Benny, seine Hände zu zeigen. Er tat es bereitwillig. Die Besucher sagten nichts, strahlten allerdings leichte Verwirrung aus und verabschiedeten sich bald. Wieder einmal schien die Vorstellung der Leute nicht mit der Wirklichkeit zu harmonieren. Sichtbar: 26 qm handgemachter „Teppich“. Tausende aneinander genähte Quadrate. Monatelange Häkelarbeit – und nicht die kleinste Schwiele an der Hand. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Kann es doch, jedenfalls wenn ein paar Menschen so verrückt und so geübt sind wie Lotti und Benny, die in jeder freien Minute mit der Häkelnadel wirbelten – und weil sich ca. 100 weitere Menschen fanden, die Spaß am gelegentlichen Mittun hatten. Die Gemeinschaft macht’s und die Ausdauer. Ja – auch Lob und Anerkennung, die oft zu hören und gute Motivation waren. 

Luther in der Kirche liegend
„Luther in der Kirche liegend“ – Benjamin Altmann und Lotti Schreiber nehmen noch einmal letzte Anpassungsarbeiten vor (Bild: privat)

„Luther“ in der Homberger Stadtkirche. Nun also doch. Damals, im September 1529, als Luther – auf dem Weg nach Marburg – von Melsungen kommend über Homberg das Kloster Spieskappel besuchte, könnte er um die Stadt der hessischen Reformation einen Bogen gemacht haben. Reden wir nicht drüber … Jetzt entkommt „Luther“ uns nicht mehr. Obwohl: Die Kirche musste das Häkelwerk wieder verlassen, vorerst jedenfalls. Ein paar Reparaturen und weiteres Vernähen stehen an – und Versuche, das „Lutherbild“ an angemessenem Ort sicher zu platzieren. Diese letzte und vermutlich kniffeligste Aufgabe werden wir auch noch lösen. Versprochen.

Nachdem Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mit Interesse und/oder Neugierde unser Projekt begleitet haben, wofür wir danken, muss es jetzt nicht vorbei sein. (M)ein Vorschlag: Besuchen Sie uns. Homberg ist ein schönes altes Städtchen und Ausgangspunkt der Reformation in Hessen – mit Auswirkungen über Landes- und Bundesgrenzen hinaus. Sollten Sie konfirmiert worden sein, dann hat z.B. auch das wenig mit Luthers 95 Thesen zu tun, doch eine Menge mit den Folgen der Synode von 1526 in Homberg … (Ein einziges Mal darf das erwähnt werden, nicht wahr?!) Außerdem und weil ich gerade dabei bin, ordentlich anzugeben: Wie über Noahs Arche stand während unserer Projektarbeit auch über Homberg (Efze) der „leuchtende Bogen“ als Hoffnungszeichen (jedenfalls an einem besonderen Tag). Sehen Sie selbst:

Regenbogen über Homberg
Regenbogen über Homberg (Efze)(Bild: privat)
Der fertige „Luther"