Brauch und Traditionen: Was wäre Weihnachten ohne…? von Kathrin Althans

Weihnachtsbräuche sind durch konfessionelle Strategien geprägt

(Bild: condesign)

In den Stollen gehört Butter und die Geschenke gehören unter den Baum? Kein anderes Fest im Jahr kennt so viele Bräuche und Traditionen, die alle Jahre wiederkehren – und scheinbar schon immer so galten. Dabei sind viele erst durch den Wandel rund um die Reformation entstanden – und wurden ursprünglich als strategisches Manöver gegen die Altgläubigen in Szene gesetzt. Heute sind Butterstollen und Tannenbaum, Weihnachts-Hits und Geschenke aus der Adventszeit kaum noch wegzudenken. Wir versuchen es dennoch und fragen uns:

Was wäre Weihnachten ohne...

… Butterbriefe

So viel ist gewiss: Das wohl älteste Weihnachtsgebäck fände sich heute kaum noch auf bunten Tellern, wenn es keine Butterbriefe gegeben hätte. Als der Advent noch nicht den kulinarischen Anlauf auf die Festtage bedeutete, sondern Fastenzeit, waren tierische Produkte wie Eier, Butter und Milch Tabu auf dem Speisezettel. Entsprechend karg fiel das Stollen-Rezept damals aus: Nur Wasser, Mehl, Hefe und das Rüböl genannte pflanzliche Rapsöl durften verbacken werden.

Das Ergebnis schmeckte so eigenwillig, dass die beiden sächsischen Fürsten Ernst und sein Bruder Herzog Albrecht gesundheitliche Schäden aufgrund des verwendeten Rüböls befürchteten. So argumentierten sie zumindest, als sie Papst Innozenz VIII. 1480 um eine Ausnahme beim Adventsfasten baten: um die Erlaubnis von Butter im Stollenteig. Der sogenannte Butterbrief, den der Papst daraufhin nach Sachsen schickte, sicherte den Fürsten zu „daß ihr, eure Weiber, Söhne und Töchter und all eure wahren Diener und Hausgesinde der Butter anstatt des Öles ohne einige Pön (Geldbuße) frei und ziemlich gebrauchen möget“. Teuer bezahlen ließ sich der Papst derlei Sondergenehmigungen dennoch: Fürs Stollenbacken waren fortan Abgaben zu entrichten, die in den Bau von Kirchen oder auch Brücken flossen. So verfügt ein päpstliches Dekret von 1491, dass für das Stollenbacken der zwanzigste Teil eines Goldguldens zugunsten des Freiburger Dombaus zu zahlen wäre. Dennoch wurden bald auch jenseits des Fürstenhofes mehr und mehr Butterstollen in der Adventszeit gebacken.

Es war also ein klassischer Ablasshandel, der den Christstollen zu dem machte, was er heute ist: ein reichhaltiges Hefegebäck mit viel Butter. In den 95 Thesen Martin Luthers, mit denen er sich 1517 gegen das Ablasswesen wandte, fand diese Regelung zwar keine Erwähnung. Der Reformator hatte, das ist belegt, nichts gegen die Fastentraditionen: „Fasten und leiblich sich bereiten ist wohl eine feine äußerliche Zucht“ schrieb er. Der ehemalige Augustinermönch fürchtete aber auch nicht um seine Seele, wenn er sich nicht daran hielt. Genussmensch, der er war, wird der Reformator einen echten Butterstollen wohl nicht verschmäht haben – und das auch ohne Zahlungen für päpstliche Kirchbauten.

Heutzutage muss der Stollen – nach deutschem Lebensmittelrecht – auf zehn Kilogramm Mehl mindestens drei Kilogramm Butter enthalten. Auch der Gehalt an Trockenfrüchten, mit denen die ehemalige Fastenspeise nach und nach angereichert wurde, ist hier geregelt. Ob dies nun als eine katholisch oder protestantisch ausgelegte Rezeptur zu interpretieren ist, sei dahingestellt.

(Bild: PublicDomainPictures)

…. Coversongs

Wenn zum Schluss der Christvesper an Heiligabend das finale „O du fröhliche“ erklingt, erinnert das mitunter an Stadiongesänge. So viel Temperament ist selten im sonntäglichen Gottesdienst! Das liegt nicht nur an der Popularität des Weihnachtsfestes an sich und der Weihnachtslieder im Besonderen. Das liegt auch in der Natur dieser Lieder, die sich schon früh an gängige Gesänge – Ohrwürmer und Gassenhauer – anlehnten und dadurch in aller Munde waren. So hat Martin Luther für „Vom Himmel hoch da komm ich her“, eines der bekanntesten Weihnachtslieder, ein weltliches Kranzlied gecovert. Sogenannte Kranzlieder wurden von Jugendlichen zu Singspielen gesungen. Vergleichbar wäre es also, wenn man heute Weihnachtslieder auf populäre Karaoke-Hits dichten würde. Was ja mitunter passiert: Weihnachtliche Motive sind immer wieder beliebter Stoff für Pop-Songs, die in allen Tonlagen und Stilrichtungen aufs Fest einstimmen – und in den Charts punkten.

In der Musik erreicht eine Botschaft die Köpfe der Menschen über das Herz, das hat Martin Luther klar erkannt. Christus steige in unvergleichlicher Kraft in die Tiefen des singenden Herzens hinein und aus den Tiefen der singenden Herzen wieder empor, so hat er das beschrieben. Darum hat Luther viele seiner Anliegen in Lieder gegossen – teils mit rumpeligen Reimen, aber mit eingängigen Melodien. Wenn die dann noch ein musikalisches Genie wie Johann Sebastian Bach akustisch vergoldete, waren Schlager geboren: In drei Chorälen coverte Bach das Luther’sche vom Himmel hoch in seinem Weihnachtsoratorium.

Andersherum gibt es unter den Christmas-Pop-Songs schon wieder Klassiker, die selbst wieder eine Adaption für den Gottesdienst-Gebrauch verdienten. Wie wäre es zum Beispiel, „Last Christmas“ der Popband Wham mit einem biblischen Text zu interpretieren? Ein Erfolgsrezept, wie es schon seit Jahrhunderten funktioniert: Ohne Cover-Songs wäre Weihnachten viel leiser, aber auch nur halb so leidenschaftlich.

(Foto: PIX1861)

... Geschenke-Rausch

Der Wunsch ergeht wohl alle Jahre wieder: Wie schön wäre der Advent, ohne den Geschenke-Stress! Jede zweite Weihnachtspredigt spielt auf die Strapazen an und holt die Zuhörer mental da ab, wo sie bis vor wenigen Stunden noch mit hängender Zunge unterwegs waren: auf dem Zielsprint des Geschenke-Marathons. Was wäre der Advent ohne den Geschenke-Hype, der sich jährlich in neue Höhen schraubt? Historisch betrachtet: eine Fastenzeit, ruhig und besinnlich, mit feierlichen Gottesdiensten und Essen an den Festtagen. Und am 6. Dezember ein Fest zu Ehren des Heiligen Nikolaus – denn an diesem Datum gab es früher die Geschenke.

Die Bescherung zum Weihnachtsfest hat erst Martin Luther ersonnen, der den Fokus vom verehrten Heiligen, den Bischof Nikolaus von Myra, auf die Geburt Jesu, das Christkind, verlagern wollte. Er inszenierte daher das Christkind als Heils- und Gabenbringer und beschenkte seine Kinder zum Weihnachtsfest mit Honigkuchen und Spielzeug. In der Buchhaltung des Lutherschen Haushalts fand man darüber hinaus auch Rechnungen für Geschenke zum Nikolaus-Tag und zu Neujahr. Insgesamt drei Anlässe nutzte der Reformator zum Schenken und war damit ein echter Vorreiter.

Und auch die Idee eines Adventskalenders, der heute den vorweihnachtlichen Geschenke-Reigen eröffnet, stammt aus einem protestantischen Haushalt. Der Münchner Verleger Gerhard Langbrachte den ersten gedruckten Adventskalender heraus. Den Prototypen dafür aber hatte seine Mutter entwickelt, die 24 Kekse auf einen Karton genäht hatte, um ihrem Sohn die Adventszeit zu versüßen.

Die Langstrecken-Bescherung zum Advent ist also ein protestantisches Konzept, das schon zu Luthers Zeiten von Händlern dankbar aufgegriffen wurde. Wenn aber heute das geschäftige Shoppen und ausufernde Schenken droht, die Weihnachtsbotschaft zu übertönen, dann ist das sicher nicht im Sinne der Erfinder. Denn Geschenke verstand Luther als Abglanz der Botschaft, die die Christen zu Weihnachten erreicht, nicht als deren Inhalt oder Ersatz. Da doch „kein weltliches Geschenk so stark ist, dass es das Herz zufrieden stellen könnte, Geld und Gut tuns nicht, Wollust auch nicht. Aber wer an das (Weihnachtswunder) glaubt, der muss sich von Herzensgrund freuen“, so schrieb der Reformator.

(Bild: rabunzel)

... Tannenbaum

Ein Zustand ohne Tannenbaum ist historisch schwer auszumachen. Von Rom bis zur Nordseeküste – in fast allen Kulturen kennt man seit jeher den grünen Baum als Symbol für Lebenskraft, Glück und Wohlergehen. Schon im Mittelalter war es Brauch, zu öffentlichen Festen ganze Bäume zu schmücken. Heute noch bekannt sind der Maibaum oder der Richtbaum aus dieser Tradition. Längst nicht so lang und weit verbreitet aber ist der Baum als Weihnachtsschmuck. Festlich erleuchtet, traditionell mit echten Kerzen, weniger feuergefährlich mit elektrischem Licht, sorgt er für den weihnachtlichen Glanz im Haus, aber auch auf öffentlichen Plätzen, Straßen, in Büros oder als Miniatur im LKW-Cockpit oder auf dem Baukran. In Weihnachtsstuben sorgen die immergrünen Nadelbäume zudem für den typischen Duft.

Nun wäre es sicher unzutreffend, den Christbaum als eine Erfindung der Protestanten zu bezeichnen. Aber zur Beliebtheit und Verbreitung der aufgeputzten Tanne haben sie sicher beigetragen. Sie propagierten den Weihnachtsschmuck aus dem Wald als Alternative zu Krippenfiguren, mit denen man in katholischer Tradition die Räume schmückte. Noch im 17. Jahrhundert belegen nur vereinzelte Quellen den Brauch, mit einem bunt garnierten, immergrünen Baum die Geburt Christi zu feiern. Der Prediger am Straßburger Münster, Johann Conrad Dannauer, summierte ihn damals „unter anderen Lappalien, damit man die alte Weihnachtszeit oft mehr als mit Gottes Wort begehet. Wo die Gewohnheit herkommt, weiß ich nicht; ist ein Kinderspiel“, bemerkte er abfällig.

Später jedoch outete sich auch Friedrich Schiller als Fan. 1789 schreibt er an seine Frau Charlotte, dass er Weihnachten nach Weimar komme und hofft: „Ihr werdet mir hoffentlich einen grünen Baum im Zimmer aufrichten.“ Die evangelische Kirche, die die Sitte zunächst als heidnischen Brauch abgelehnt hatte, machte sich den Weihnachtsbaum dann mehr und mehr zu eigen. Damit schlug er endgültig Wurzeln in der christlichen Tradition – und das nach und nach weltweit. Heute ist er aus den Bildern von Weihnachten nicht mehr wegzudenken. Die Frage muss daher offen bleiben: Was wäre Weihnachten ohne Tannenbaum?