Interview mit Dr. Kai Lehmann, Kurator der Ausstellung „Luther und die Hexen“

Luther und die Hexen
(Foto: Axel Bauer-Rassbach)

War Martin Luther Befürworter der Hexenverfolgungen? Hätte es mit dem Reformator Hexenverfolgungen in den protestantischen Gebieten gegeben? Kai Lehmann, Kurator der Sonderausstellung „Luther und die Hexen“ in Schmalkalden, erzählt im Interview, wie es überhaupt zu dem Wahn der Hexenverfolgung während der Reformationszeit kommen konnte und was die Ausstellung Besuchern alles zeigt.


luther2017.de: Glaubte Martin Luther an Hexen?

Kai Lehmann: Martin Luther war fest davon überzeugt, dass es Hexen gibt und dass sie durch ihre Zauberei Schäden an Mensch, Vieh und Ernte anrichten. Er forderte zur Tötung der Hexen durch das Feuer auf. Damit wollte er allerdings nicht mehr und nicht weniger, als dass ein für ihn real existierendes Verbrechen bestraft wird. Wie Mord oder Diebstahl, sollte auch das Verbrechen der Zauberei geahndet werden. Ob Paracelsus, der Erfinder der modernen Medizin, oder Melanchthon, den man schon zu Lebzeiten den Lehrer Deutschlands nannte: Seine damaligen Zeitgenossen glaubten alle an Hexen und wollten ihre Bestrafung.

Wie hat er seine Haltung zur Hexenverfolgung begründet?

Lehmann: Der eigentliche Hexenwahn, verbunden mit Massenhysterien und Massentötungen, setzte erst eine Generation nach Luthers Ableben ein. Zu seiner Zeit gab es einzelne Verfolgungen, so auch eine Verbrennung von vier angeblichen Hexen in Wittenberg. Allerdings war der Reformator zu dieser Zeit gar nicht in Wittenberg; auch äußerte er sich in keiner Weise zu diesem Vorfall. Luther selbst hatte 1526 eine aggressive Hexenpredigt gehalten. Darin hörte seine Wittenberger Gemeinde innerhalb weniger Minuten fünfmal aus seinem Mund, dass Hexen zu töten seien. Seine Meinung begründete er mit dem zweiten Buch Mose in der Bibel: „Die Zauberin sollst Du nicht am Leben lassen“. Weitere markante Sätze von ihm sind: „Sie schaden mannigfaltig. Also sollen sie getötet werden.“, oder: „Ich will der Erste sein, der Feuer an sie legt“.

Was zeigt Ihre Ausstellung „Luther und die Hexen. Hexenverfolgung im Gebiet südlich des Thüringer Waldes"?

Lehmann: Auf die Gefahr hin, dass mich manche jetzt für verrückt halten. Die Ausstellung kommt zu dem Schluss: Hätten sich protestantische Obrigkeiten an Martin Luther gehalten, wäre es zu keinen Massenverfolgungen von Hexen gekommen. Das scheint in absolutem Gegensatz zu dem zu stehen, was ich eben gesagt habe, weil Luther ja zur Tötung der Hexen aufforderte. In seiner Theologie aber baute er Hürden ein, die es gar nicht erst zum Ausbruch eines Hexenprozesses hätten kommen lassen. Er war überzeugt, dass der durch Hexen verübte Schadenszauber, nach dem sie im Namen des Teufels Schäden an Mensch, Vieh und Ernte anrichten, göttlich legitimiert ist. Gott gestehe dem Teufel einen bestimmten Machtbereich zu, indem er mit Hilfe von Dämonen und Hexen sein Unwesen treibt. Weiter sagte Luther: „Wehrt euch nicht gegen diesen Schadenszauber. Denn ihr wisst gar nicht, was Gott damit vorhat. Ihr kennt nicht den großen göttlichen Plan, der dahinter steckt.“ Dabei nennt Luther das Beispiel des alttestamentlichen Hiob, dem ein Unglückschlag nach dem anderen widerfährt; quasi ein Fall von Schadenszauber. Hiob aber wankt nicht, sondern bleibt im absoluten Gottvertrauen bestehen. Gott lohnt es ihn mit noch mehr Vieh und noch mehr Kindern.

Die einsetzenden Hexen-Massenprozesse wurden durch das perfide System der „Besagungen“ ausgelöst. Dabei wurde davon ausgegangen, dass eine unter Folter gestehende Teilnehmerin am Hexentanz auch andere gesehen und erkannt haben müsse. Meist wurden beim Verhör auch irgendwelche Namen genannt, nur um Ruhe vor den unsäglichen Schmerzen zu haben. Die „Besagung“ wirkte sich oft wie ein Dominospiel aus, da die nächste Angeklagte eine weitere Frau beschuldigte. Luther hätte es dazu vermutlich nicht kommen lassen. Zwar hielt er drei Elemente des Hexereibegriffs für existent: den „Teufelsbund“, also den Pakt mit dem Teufel, die „Teufelsbuhlschaft“, der Geschlechtsakt mit dem Teufel zur Besiegelung des Paktes, und den „Schadenszauber“. Das vierte Element aber, den „Hexensabbat“, bei dem sie zum Hexentanz fliegen, lehnte er kategorisch ab. Der Hexentanz war für ihn ein Blendwerk des Teufels, nicht aber eine reale Begebenheit. An anderer Stelle schrieb der Reformator knallhart, es sei verboten zu glauben, dass Hexen auf einem Besen oder auf einem Stecken reiten, und alle, die in der heimlichen Zunft sind, an einem Ort zusammen kommen. Jetzt kann man eins und eins zusammenzählen und behaupten, ohne Hexentanz ist eine „Besagung“ nicht möglich. Wer denkt, dass das zu einfach gedacht sei, dem halte ich dagegen: Wir besitzen in Schmalkalden eine Lutherrezeption, die mit Martin Luther argumentiert, um einem Mann das Leben zu retten.

Wie setzen Sie das Verhältnis Luthers zur Hexenthematik in der Ausstellung um?

Lehmann: Auf 600 Quadratmetern mit etwa 100 Exponaten schaffen wir es, die Besucher mit Martin Luthers Theologie und vor allem mit der damaligen Zeit vertraut zu machen. Zu sehen sind archäologische Funde aus dem 15. bis 17. Jahrhundert, etwa Amulette, Scherben, Keramiktöpfe oder Steinmurmeln sowie Kirchenbücher und einzelne Folterinstrumente. Wandtafeln, Labyrinthe und verrostetes Metall vermitteln ein beklemmendes und kaltes Gefühl, das einen bei dem Ausstellungsthema überkommt. Eine andere Inszenierung lässt den Besucher durch Fahnenmeere laufen, die von der Decke hängen. Hörstationen vermitteln Luthers Auffassung. Der Aufbau der Ausstellung unterteilt sich einerseits in Martin Luthers Haltung zur Hexerei und die der Geisteswelt des 16. und 17. Jahrhunderts und dokumentiert andererseits einen Fall, der sich tatsächlich so ereignet hat. Exemplarisch wird der Prozess gegen die wegen Hexerei angeklagte Lena Güntzlin in all seinen Phasen dargelegt. Auf großen Ausstellungstafeln werden die einzelnen Prozessstationen, Hintergründe und Begriffe erläutert und durch Exponate belegt. Zur Veranschaulichung werden alle klassischen Stufen des weltlichen Inquisitionsverfahrens durchlaufen: von der „Besagung“ über die „Geheime Zeugenvernehmung“, die „Rolle der Universität“, das „Peinliche Verhör“ und das „Geständnis“ bis zum „Endurteil“. 

Wie konnte es überhaupt im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit zu dem Wahn der Hexenverbrennung kommen?

Lehmann: Die Zeit war reif dafür! Zwei unglückselige Stränge liefen im Spätmittelalter zusammen, die bedingten, dass das Verbrechen der Hexerei von Gelehrten im wahrsten Sinne des Wortes erdacht wurde. Man bestimmte die vier bereits genannten Elemente, die erfüllt sein müssen, um als Hexe erkannt zu werden. Hinzu kamen äußere Einwirkungen: So gab es Ende des 16. Jahrhunderts einen einsetzenden Klimawandel, die sogenannte „kleine Eiszeit“. Für die landwirtschaftlich dominierte Kultur hatte das gravierende Folgen. Es gab religiöse Auseinandersetzungen und Verunsicherungen durch Reformation und Gegenreformation. Mit Rückkehr der Pest erschütterten Seuchenzüge das Reich. Eroberungs- und Religionskriege ließen die Menschen verrohen. So spielten viele Faktoren zusammen, die es zu dem Ausbrechen dieses Wahns haben kommen lassen.

Wurden in protestantischen Gebieten weniger Hexen oder Hexer verbrannt?

Lehmann: Nein! Ein Hexenprozess, egal wo dieser stattgefunden hatte, wurde ausschließlich vor weltlichen Gerichten geführt. Die Urteile hatten meist Schöffenstühle von Universitäten gefällt. Die Scheiterhaufen brannten in katholischen und in protestantischen Ländern. Ein klassisches Beispiel ist das heutige Südthüringen, wo viele Lutheraner lebten. Das Gebiet grenzt an das katholische Hochstift Bamberg und das katholische Hochstift Würzburg. Auch dort ereigneten sich rund tausend Fälle von Hexenverfolgung.

Welche Rolle spielte magisches Denken beziehungsweise der Aberglaube im frühen Protestantismus?

Lehmann: Eine sehr große Rolle. Egal welcher sozialen Schicht man damals auch angehörte, die Welt war von tiefstem Aberglauben durchdrungen. Martin Luther wollte dagegen vorgehen. Dabei ging er sogar einen Schritt weiter, weil er auch sämtliche Formen der „Weißen Magie“, etwa den Erntesegen oder den Heilzauber, kriminalisierte. Beides wollte er bestraft wissen, denn es sei nicht biblisch legitimiert.

Falls Luther in den Angeklagten keine dämonischen Wesen sehen wollte, was sah er dann in ihnen?

Lehmann: Luther hatte ein janusköpfiges Gesicht. Einerseits fordert er in seinen Predigten zur Tötung der Hexen auf, andererseits verfährt er aber relativ milde mit Einzelbeispielen. Ein Beispiel, das er mehrfach in verschiedenen Wittenberger Tischreden berichtet, ist das des Studenten Valerius Klockner. Der Student sei zu ihm gekommen, um zu gestehen, dass er ein Hexer wäre. Er habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Luther zeigte ihm die Konsequenzen auf, belehrte ihn, bekehrte ihn und holte ihn wieder in den Schoß der Kirche zurück. Die Eidesformel sprach er ihm höchstpersönlich vor. Hier verfuhr Luther nach der Devise: belehren statt verbrennen. In einem anderen Fall im Jahr 1529 in Wittenberg brach eine regelrechte Hexenhysterie aus. Martin Luther ging am 12. September desselbigen Jahres auf die Kanzel und versuchte, seine Gemeinde mit den Worten zu beschwichtigen: „Außerdem ermahne ich euch, nicht zu meinen, dass euer Unglück und eure Not von Zauberern herrührt“.


Dr. Kai Lehmann
Dr. Kai Lehmann (Foto: PR)

Dr. Kai Lehmann ist Direktor des Museums und Kurator der Ausstellung „Luther und die Hexen“ im Museum Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden. Die Ausstellung läuft bis zum 15. Januar 2013.