Tischreden zur Zukunft von Kirche und Religion nach dem Vorbild im Hause Luther von Renate Haller, epd

Wirsingkohl und orange Rosen
(Foto: Luther 2017)

Sie wollte ein Summen hören, ein Summen, das von einem regen Austausch kündet. Christl Maier, Alttestamentlerin an der Universität Marburg, gehört zum Kreis der Frauen, die zum Marburger Frauenmahl eingeladen haben. Rund 150 Frauen aus Kirche, Politik und Gesellschaft trafen sich am Vorabend des Reformationstages im Fürstensaal des Marburger Landgrafenschlosses, um bei einem festlichen Mahl über die Zukunft von Kirche und Religion zu sprechen.

„Priestertum aller Gläubigen“ als Modell für einen neuen demokratischer Prozess

Wer hinhörte, konnte das von Maier erhoffte Summen deutlich vernehmen. In Tischgruppen, dekoriert mit Kohl und Rosen, saßen die Frauen zusammen, hörten zehn Tischreden und kamen über deren Inhalte ins Gespräch. Anknüpfend an das von Martin Luther geforderte „Priestertum aller Gläubigen“ solle ein neuer demokratischer Prozess der Meinungsbildung in Gang gesetzt werden, sagte die Marburger Theologieprofessorin Ulrike Wagner-Rau.

Bislang kämen Frauen in der Lutherdekade kaum vor, kritisierte Andrea Wöllenstein von der Frauenarbeit der kurhessischen Landeskirche. Mit dem Frauenmahl solle sich dies ändern. Der Marburger „Prototyp“ hat bereits Nachahmer gefunden und wurde zeitgleich in Berlin veranstaltet. Noch in diesem Jahr treffen sich Frauen an acht weiteren Tafeln in ganz Deutschland.

Unter dem hohen Gewölbe des Fürstensaals im Marburger Schloss saßen im Jahr 1529 die Reformatoren zusammen und debattierten über das Abendmahl. Die Thematik der heutigen Frauen war an diesem historischen Ort weiter gefasst. Die Grünen-Politikerin Brigitte Lösch, Vizepräsidentin des Landtags von Baden-Württemberg, forderte dazu auf, der Kirchen- und Religionsverdrossenheit etwas entgegenzusetzen, indem Kirchenvertreter die Gemeinderäume verlassen: „Ran an die Leute, nur so kann man die Menschen erreichen!“

„Grenzgänger sind Schlüsselfiguren für den Dialog“

Elke Eisenschmidt, Mathematikerin und Mitglied im Rat der EKD, fragte, ob Christen von Nicht-Christen verstanden würden. Begriffe wie „Gnade, Rechtfertigung und göttliches Erlösungshandeln“ wirkten wie ein Geheimcode, der nicht allzu weit verbreitet sei. Schlüsselfiguren für den Dialog von Glaubenden und Konfessionslosen sind nach ihrem Verständnis „Grenzgänger“, die in beiden Welten zu Hause sind. „Ich glaube, dass wir als Kirche bisher noch zu selten nach solchen Menschen suchen und sie noch zu selten zu Wort kommen lassen“, sagte sie.

Das Jahr 2011 werde auch als Jahr in die Geschichtsbücher eingehen, in dem es hoffähig wurde, „das zielgenaue Töten von Diktatoren mehrheitlich zu beklatschen“ merkte Ines Pohl an, Chefredakteurin der Berliner „tageszeitung“. Christsein müsse auch bedeuten, nein zu sagen zu Kriegen, „zu Diskriminierung und brüllenden Ungerechtigkeiten im eigenen Land“, forderte die Journalistin. Wolle die Kirche eine gestaltende Kraft sein, müssten deren Vertreter glaubwürdig Gleichberechtigung und Inklusion leben, aber auch Verantwortung übernehmen für Unzulänglichkeiten der eigenen Institutionen.

Den Wahrheitsanspruch der Religionen überdenken

Hamideh Mohagheghi, Lehrbeauftragte für Islamische Theologie in Paderborn und Mitglied der Deutschen Islamkonferenz, forderte die Vertreter aller Religionen auf, den Wahrheitsanspruch der Religionen zu überdenken. Wenn Religionen die Zukunft mitgestalten wollten, müssten sie „interkulturell, interreligiös, friedlich und tolerant“ zusammenleben. Im Koran sei Vielfalt ausdrücklich vorgesehen.

Vielfalt erhoffen sich die Veranstalterinnen auch für die Frauenmahle. Sie hoffe auf eine breite Bewegung auf verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen, sagte Ulrike Wagner-Rau. Neben den Tischrednerinnen waren alle Beteiligten aufgefordert, eine Stellungnahme im Fürstensaal auszuhängen. Gesammelt werden die Voten auf einer Internetplattform.

Entwickelt hat das Frauenmahl ein Kreis von Frauen der Theologischen Fakultät Marburg, des Frauenstudien- und -bildungszentrums der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Frauenarbeit der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck.


Die Reden und Voten des Marburger Frauenmahls werden auf www.frauenmahl.de zu lesen sein. Dort finden sich auch praktische Anregungen und Kontaktadressen für alle, die selbst ein Frauenmahl planen wollen.