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Bibeln waren noch im 18. Jahrhundert unhandlich und teuer. Die in schwarzes Leder gebundene Bibel des Lucas Osiander (1534-1604) etwa wiegt neuneinhalb Kilogamm. Sie gehörte Prinz Anton Günther von Anhalt-Zerbst (1653-1714), der sie am 10. Juni 1709 der Bibliothek des Waisenhauses, der ersten von August Hermann Francke gegründeten Einrichtungen, geschenkt hatte.

Der Prinz hatte die Bibel 28 Jahre besessen und benutzt, „und hatt sie mihr auch im Felde und in Braband zum taglichen gebrauche gedienet“, wie er selber bezeugte. Das scheint angesichts der Größe und des Gewichts des Buches schier unglaublich. Die unhandliche Formate der Bibeln jener Zeit standen somit dem Anliegen der Reformation, jedem Gläubigen einen direkten Zugang zur Heiligen Schrift zu ermöglichen, buchstäblich im Wege.

Die Bibel als preiswerte Druckausgabe in Millionenauflage

Mit Unterstützung des Freiherrn Carl Hildebrand von Canstein wurde 1710 in den Franckeschen Stiftungen das erste Bibelwerk der Welt gegründet: die Cansteinsche Bibelanstalt. Durch die Einführung technischer Neuerungen gelang es, die Bibel als preiswerte Druckausgabe in Millionenauflage zu verbreiten.

Jedem Haushalt war es nun möglich eine der handlichen Bibeln zu erwerben. Über die Zusammenkünfte in Konventikeln, kleinen religiösen Gruppen, unterstützen die Pietisten zudem den täglichen Gebrauch der Bibel in den Familien. Damit beförderte August Hermann Francke nicht nur die individuelle Bibellektüre im Sinne Luthers, sondern legte den Grundstein für eine Lesekultur im privaten, bürgerlichen Raum.

Öffentliche Bibliotheken als Grundlage breiter Volksbildung

Im Zuge der reformatorischen Bildungsoffensive Martin Luthers war auch die Gründung zahlreicher öffentlicher Bibliotheken angeregt worden. Diese waren oft einer lutherischen Kirchengemeinde angegliedert, öffentlich zugänglich und dienten dem Zweck der breiten Volksbildung. Die Bibliothek des Halleschen Waisenhauses war bereits 1698 als öffentlich zugängliche Büchersammlung angelegt worden, die gemäß des Franckeschen umfassenden Bildungsansatzes alle wissenschaftlichen Themengebiete der Zeit enthielt. Sie wuchs so rasch, dass sie über Jahrzehnte weit größer war als die hallesche Universitätsbibliothek.

1726 ließ August Hermann Francke ein eigenes Bibliotheksgebäude auf dem Gelände der Schulstadt errichten, das heute als ältestes erhaltenes Bibliothekszweckgebäude in Deutschland gilt. Ganz in der reformatorischen Tradition machte er die Bibliothek des Waisenhauses unentgeltlich öffentlich zugänglich.