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Neue Gedanken voller Sprengkraft – Auf den Spuren von Jan Hus in Prag

Der Böhme Jan Hus hat grundlegende Reformen der Kirche angestoßen – 100 Jahre vor Luther. 600 Jahre nach seinem Tod auf dem Scheiterhaufen sind in Prag die Spuren seines Lebens und Denkens noch heute zu sehen.

Jan-Hus-Denkmal vor Jugendstil-Häusern in Prag, Tschechien (Foto: © epd-bild / Walter G. Allgöwer)

Ein goldener Kelch prangt hinter dem Altar an der Mauer und Pfarrer Frank Leßmann-Pfeifer weiß schon, welche Frage ihm die Besucher gleich stellen werden. „Ja, hier hängt der Kelch statt des Kreuzes“, erklärt er, „weil das Kreuz für die Tschechen ein zutiefst katholisches Symbol ist. In evangelischen Kirchen findet man nur den Kelch.“

Leßmann-Pfeifer und seine Frau sind Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Prag, die ihre Gottesdienste in einer der bedeutendsten Kirchen der Stadt feiert: St. Martin in der Mauer, ein kleines Gebäude aus dem 13. Jahrhundert, in dem sich jetzt die Besucher um Leßmann-Pfeifer scharen. Er hat sich zum Experten für die böhmische Reformation entwickelt, deren Vorkämpfer Jan Hus (um 1370-1415) war. Vor 600 Jahren, am 6. Juli 1415, wurde er in Konstanz als Ketzer verbrannt.

Erstmals Abendmahl in beiderlei Gestalt ausgeteilt

Fast jede Kirche in Prag, viele Häuser und Paläste sind eng mit der reformatorischen Epoche verbunden. Sie begann um das Jahr 1400 und prägt nach langem, oft blutigen Hin und Her von Reformation und Gegenreformation das Land bis heute.

„Hier wurde 1414 erstmals das Abendmahl in beiderlei Gestalt ausgeteilt“, erzählt Leßmann-Pfeifer der Besuchergruppe. Das heißt: in Brot und Wein. „Im Laufe des Mittelalters waren die Elemente Brot und Wein immer heiliger geworden, so dass irgendwann der Wein nur noch für den Priester reserviert war“, erklärt der Pfarrer, der ursprünglich aus Westfalen stammt.

Für Jan Hus und seine Nachfolger aber war die Austeilung des Weins für alle Gläubigen ein wichtiges Symbol: Es stand für die „Demokratisierung der Kirche“. Daraus machten sie eine der Kernforderungen ihrer Bewegung, die später in den „vier Prager Artikeln“ zusammengefasst wurden. Neben dem Laienkelch waren das: Die Messe sollte in der Landessprache gehalten werden, nicht in Latein; die Kirche sollte sich der Armut verpflichten und keine weltliche Herrschaft ausüben, und die weltliche Gerichtsbarkeit sollte auch für Priester gelten.

Die Karls-Universität in Prag. Der Aufstieg von Jan Hus begann an der Prager Karls-Universität wo er 1401 zum Dekan ernannt wurde. 1402 wurde er zum Prediger in der Prager Bethlehemskapelle ernannt – dort konnte er seine Gedanken und seine Kritik nicht mehr nur vor dem akademischen Publikum äussern, sondern auch vor dem breiten Volk. (Bild: epd-bild)

Träger der geistigen Wurzeln der Reformation

Der Aufstieg von Jan Hus begann einige hundert Meter entfernt von der Martinskirche. Dort, an der Prager Karls-Universität, lehrte er seit 1401. Es war eine aufgewühlte Zeit: In Oxford verfasste der Theologe John Wycliff Schriften, in denen er die Bibel als einzigen Maßstab für die Christen bezeichnete – eine empfindliche Einschränkung für die Macht der Kirchen.

„Diese Gedanken schwappten natürlich auch nach Prag, und Jan Hus hat sie begierig aufgenommen“, sagt Jan Lasek, Professor an der Karls-Universität. „Hus wäre ohne Wycliff nicht zu einer solchen geistigen Reife gelangt. Aber Wycliff wäre ohne Hus nicht so berühmt geworden – wenn auch erst nach seinem Tode“.

Sie haben die geistigen Wurzeln der Reformation getragen – rund 100 Jahre vor Martin Luther. „Hus wollte eine Kirche ohne Kratzer und Falten, wie er selbst sagte“, beschreibt Lasek, „deshalb wollte er Reformen auch an ihrem Kopf, nicht nur unter den Gläubigen.“

Dass die neuen Gedanken ihre Sprengkraft entwickeln konnten, dafür war eine eigentlich kleine Beförderung verantwortlich: 1402 wurde Jan Hus Prediger der Prager Bethlehemskapelle. Dort konnte er seine Gedanken und seine Kritik vor dem breiten Volk äußern, auf Tschechisch.

„Die Predigten dauerten meistens lange, durchaus auch einmal eine Stunde“, sagt Peter Moree. Der niederländische Kirchenhistoriker, der in Prag forscht, steht in der Bethlehemskapelle, die viele Theologen als Geburtsstätte der böhmischen Reformation bezeichnen. „Es war eine belehrende Predigt, das gehörte dazu. Man ging in die Bethlehemskapelle, um etwas zu lernen.“

Die Kapelle ist ein riesiger Bau mit hohen Fenstern. Einen Altar gibt es nicht, denn hier wurden keine Gottesdienste gefeiert; es ging einzig und allein um die Predigten. Die hielt Hus von einer Holzkanzel aus, und gleich angrenzend befindet sich die Kammer, in der er lebte – allerdings alles als Replik. Die ursprüngliche Kapelle gibt es nicht mehr, erst vor etwa 60 Jahren hat man sie wieder aufgebaut, um Hus zu ehren.

Schnell sprachen sich das rednerische Talent von Jan Hus und die Schärfe seiner Argumente herum. Schon bald drängten sich bis zu 3.000 Zuhörer unter der Kanzel, unter ihnen auch die böhmische Königin Sophie. In der Bethlehemskapelle schuf Hus das Fundament dafür, dass sich die Reformation zu einer regelrechten Bewegung auswuchs.

Auch nach 600 Jahren noch ein Nationalheld

Zunächst aber spitzte sich der Konflikt innerhalb der Kirche zu – und damit auch der Ton in Prag. Zum endgültigen Bruch zwischen Hus, der Kirche und der weltlichen Macht kam es 1412: „Der Papst brauchte Geld für einen Krieg, also ließ er Ablässe verkaufen“, sagt Hus-Forscher Jan Lasek. „Der böhmische König hat das erlaubt, weil er Prozente vom Erlös bekommen hat“.

Jan Hus ist dagegen öffentlich aufgetreten – und wurde endgültig aus Prag verbannt. 1414 reiste er nach Konstanz zum Konzil. Obwohl ihm freies Geleit zugesichert worden war, wurde er verhaftet und schließlich verbrannt.

Pfarrer Leßmann-Pfeifer bleibt mit seiner Besuchergruppe in der Altstadt stehen. „Normalerweise“, sagt er, „endet eine Bewegung mit dem Tod des Anführers. In Prag aber waren Hus Gedanken so weit verankert, dass der Tod zu einem Fanal wurde.“ In den Hussitenkriegen begehrten seine Anhänger ab 1419 gegen ihre Gegner auf. „Hus verkörpert in der tschechischen Geschichte den Streit für Wahrheit und moralische Glaubwürdigkeit“, würdigen ihn die Veranstalter der Prager Jubiläumsfeierlichkeiten. Jan Hus gilt den Tschechen als Held – auch heute noch, 600 Jahre nach seinem Tod.

Informationen

Autor:Kilian Kirchgeßner Quelle:epd Datum:06-07-15
Schlagworte:
Jan Hus, Prag, Konstanzer Konzil, Reformation

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