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Irmgard Schwaetzer: Frauen ins Pfarramt

Die Rolle von Laien im Allgemeinen und von Frauen im Besonderen in der Geschichte der Evangelischen Kirche

Irmgard Schwaetzer (Bild: Norbert Neetz)

Evangelisch zu sein war für mich immer damit verbunden, dass Frauen Pfarrerin sein können. Da ich in einer Gegend aufgewachsen bin, die sehr stark vom Katholizismus geprägt war, machte das einen wirklichen Unterschied aus. Dieser Unterschied wurde noch dadurch unterstrichen, dass in unserer
Gemeinde eine Frau als Vikarin tätig war. Sie trug einen Talar und war genauso klug                                                                            wie unserer Pfarrer.

„Priestertum aller Getauften“

In dieser Erinnerung an meine jugendliche Lebenswelt wird auch heute noch für mich die grundlegende Veränderung deutlich, die die Reformatoren mit ihren Glaubenseinsichten gebracht haben: Es gibt etwas, dass vor Gott den Menschen die gleichen Rechte gibt und das keine Hierarchie bestehen lässt. Martin Luther formuliert diese Grundeinsicht der Reformatoren so: „Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt auszuüben.“ So schreibt der Reformator 1520 in seiner Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“. Und er erklärt kurz und bündig, dass „wir alle gleichmäßig Priester sind“.

Diese Erkenntnis des „Priestertums aller Getauften“ hat zunächst die Kirche grundlegend verändert. Das lässt sich besonders deutlich an der verstärkten Mitwirkung von Laien, und besonders der Frauen ablesen: Auffallend viele beteiligten sich an der Neugestaltung von Lehre und Leben in der Kirche. Das besondere an der Reformation ist daher auch, dass mit einem Mal Laien als Autoren zahlreich in Erscheinung treten. Frauen mischen sich in die Diskussionen der Zeit ein: Argula von Grumbach, Katharina Schütz-Zell oder Ursula Weyda beziehen als reformatorische Publizistinnen und Flugschriftenautorinnen Stellung. Über 5000 Flugschriftendrucke mit rund 1000 Exemplaren pro Auflage sind für die wenigen Jahre zwischen 1521 und 1525 erfasst!

Gemeinschaft im Glauben

Die Theologie vom Priestertum aller Getauften hat erhebliche Folgen für die Selbstverantwortung des Einzelnen. Vielfältige Laienbewegungen haben in den letzten Jahrhunderten diese veränderte Sichtweise auf die Beziehung zwischen Gott und den Menschen zur Geltung gebracht. Hier seien nur einige aktuelle Beispiele genannt: der Deutsche Evangelische Kirchentag, die Evangelische Frauenarbeit, das Evangelische Männerwerk, die evangelischen Akademien, evangelische Ordensgemeinschaften von Frauen und Männern. Darin eröffnen sich Möglichkeiten, Gemeinschaft im Glauben zu pflegen und die vielfältigen Gaben der einzelnen Christen einzubringen.

Eine Konsequenz dieses Kirchenverständnisses ist auch, dass die Gemeindeglieder Kirchenvorstände und Synoden wählen. Die 1. Synode, allerdings in der reformierten Tradition Johannes Calvins wurde bereits 1571 nach Emden einberufen. Der programmatische erste Satz der Kirchenordnung, die dort erarbeitet und verabschiedet wurde, lautet: „Keine Gemeinde soll über andere Gemeinden, kein Pastor über andere Pastoren, kein Ältester über andere Älteste, kein Diakon über andere Diakone den Vorrang oder die Herrschaft beanspruchen, sondern sie sollen lieber dem geringsten Verdacht und jeder Gelegenheit aus dem Wege gehen.“ Heute sind die Kirchenvorstände und Synoden, mehrheitlich von Laien besetzt, ganz selbstverständlich Teil der Kirchenleitungen.

Auch in der evangelischen Kirche ein langer Weg

Aber noch einmal zurück zu den Frauen: So einfach war die Beteiligung der Frauen am Pfarrdienst dann auch in der evangelischen Kirche nicht. Wir hatten bei unserer Vikarin Konfirmandenunterricht. Und dann tauchte auch dort das große ABER auf: Konfirmieren durfte sie uns damals – in den 1950er Jahren des vorigen Jahrhunderts – noch nicht, das war wiederum dem Pfarrer vorbehalten. Und es sollte weitere zehn Jahre, in manchen Landeskirchen sogar 20 Jahre dauern, bis die Ordination, die Zulassung von Frauen zum Pfarramt tatsächlich umgesetzt wurde. Heute ist die Ausübung des Pfarramtes durch Frauen ein Markenzeichen der evangelischen Kirche, so sehen es zumindest die Befragten der Versammlung Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, die 2014 veröffentlicht worden ist.

2017 – mehr als nur ein Kirchenfest

Das Auftreten von Laien und besonders von Frauen im öffentlichen Raum, die Wertschätzung der unterschied­lichen Begabungen und Fähigkeiten, die Übernahme von Verantwortung in der Kirche musste und muss Auswirkungen auf die Entwicklung demokratischer Ideen und Konzepte in der Folge der Reformation haben. Es war und ist völlig undenkbar, dass Menschen, die in ihrem Verhältnis zu Gott, aber auch in der Struktur der Kirche immer stärker aus der Unmündigkeit in die Mündigkeit hineinwuchsen, sich diese auch erkämpften, nicht auch bei der Regelung weltlicher Dinge ein Mitspracherecht haben wollten.

So ist es nicht nur verständlich, sondern sogar selbstverständlich, dass 2017 das Gedenken an den Beginn der Reformation vor 500 Jahren nicht nur von der evangelischen Kirche in internationaler und ökumenischer Gemeinschaft gefeiert wird. Schon jetzt finden viele von der Bundesregierung und den Bundesländern unterstützte Initiativen und Veranstaltungen statt, die die Auswirkungen der Reformation auf die Entwicklung von Bildung und Medien, Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten zum Thema haben. Und so ist es nur konsequent, dass der 31. Oktober 2017 ein allgemeiner Feiertag werden wird.


Dieser Text erschien zum ersten Mal in Politik & Kultur 05/2015. Irmgard Schwaetzer ist Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland