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Hiltrud Lotze: Politisches Handeln braucht Gewissen Reformation und Politik – der Schwerpunkt der Lutherdekade im Jahr 2014

Hiltrud Lotze, MdB
Hiltrud Lotze, MdB

Im Jahr 2017 feiern wir das Reformationsjubiläum. Von kaum einem anderen Jubiläumsjahr kann man behaupten, dass es so gut vorbereitet wird, wie dieses. Schon 2008 wurde die sogenannte Lutherdekade feierlich eröffnet. Stellt sich die Frage: Warum gleich eine ganze Dekade für Luther und die Reformation?! Weil die Reformation eben nicht nur die Theologie und die Kirche reformiert hat. Sie wird als Zeitenwende vom Mittelalter zur Neuzeit verstanden und hat Deutschland und die Welt in vielen Einzelbereichen verändert. Um sich den Auswirkungen der Reformation unter verschiedenen Gesichtspunkten zu nähern, diese ausgiebig und auch durchaus kontrovers zu reflektieren, ist eine Dekade ein angemessener Zeitraum. Jedes Jahr dieser Lutherdekade steht unter einem bestimmten Leitmotiv. In den vergangenen Jahren wurden beispielsweise die Auswirkungen der Reformation auf den Bereich Bildung unter die Lupe genommen. Auch Reformation und Musik war bereits eines der „Jahresthemen“ in der Lutherdekade. Im Jahr 2014 hieß das Motto: Reformation und Politik.

Reformation und Politiker

Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat wurde, ausgelöst durch Luther, neu begründet. Aktuelle Konfliktlinien wie das Verhältnis zwischen Gehorsam und Gewissensfreiheit oder Obrigkeit und Mündigkeit sind mit Luthers Thesen in Frage gestellt worden und seitdem durch die Jahrhunderte hinweg immer neu austariert worden. Das gilt auch für das Verständnis der Folgen und Lehren, die wir aus der Reformation für die Politik ziehen und damit für unser Politikverständnis. Dieses schließt auch die Politiker als ihre Hauptakteure mit ein. In dem Gottesdienst, der das Themenjahr 2014 eröffnete, wurde von Regionalbischöfin Susanne Breit-Kessler und Prof. Dr. Margot Käßmann in ihrer gemeinsamen Predigt mehr Respekt für Politiker gefordert. Ob man dieser Forderung nun zustimmen möchte oder nicht, Politkern wird heutzutage vielmals Moral, Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Verantwortungsbewusstsein abgesprochen.

Reformation und Politik oder besser Reformation und Politiker, das passt für viele Menschen heutzutage kaum zusammen. Welche Auswirkungen das eher negative Bild von Politikern auf die Demokratie hat, ist eine Sache. Ich als Bundestagsabgeordnete lasse mich aber nicht in Christperson und Mandatsperson teilen. Die Prägekraft der Reformation zeigt sich für mich auch heute im politischen Alltag. Die vorderste Aufgabe von uns Bundestagsabgeordneten als gewählte Volksvertreter ist es, auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Dazu erarbeiten, diskutieren und verabschieden wir Gesetze. 

Allein das ist ein gewaltiger Fortschritt, der auch der Reformation zu verdanken ist, denn das kanonische Recht war weniger flexibel. Was leitet uns in unserer Arbeit? In meinem Handeln als Bundestagsabgeordnete bin ich laut unserem Grundgesetz nur meinem Gewissen verpflichtet. Gleichwohl ist diese Freiheit für mich auch eine Verpflichtung: Politisches Handeln braucht Gewissen. 

Gleichheit und Freiheit des Menschen

Die Freiheit des Gewissens entwickelte sich erst mit der Reformation und formt den mündigen Menschen von heute, der sich ohne Anleitung einer Autorität ein eigenes Urteil bilden kann. Die Meinung jedes einzelnen ist gleich viel wert, ob Frau oder Mann, arm oder reich. Mit dieser, meiner persönlichen Meinung, stelle ich mich dem politischen Diskurs. In meinem Wahlkreis, in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages und auch in meiner eigenen Fraktion.

Nur auf dieser Basis, der Gleichheit und der Freiheit des Menschen und seiner Meinung, konnte sich unsere Demokratie entwickeln und für mich resultiert aus dieser Freiheit auch eine Aufgabe: sich einzumischen.

Nur zu lamentieren ist für mich nicht genug. Aus den uns von der Reformation gegebenen Freiheiten entspringen auch der Wille und die Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen. Als Politikerin nehme ich diese wahr, gegenüber den Menschen, die ich vertreten darf und gegenüber mir selbst als Mensch mit Gewissen.

Tolerant sein

Noch etwas lehrt uns die Reformation: Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Sei es nun auf andere Konfessionen bezogen, oder auf andere Meinungen und Ansichten, die mir im politischen Gespräch begegnen. Nehme ich mir die Freiheit, mein eigenes Urteil zu bilden, so gestehe ich dies auch anderen zu. In der politischen Auseinandersetzung ein Grundbaustein für das Funktionieren unserer Demokratie. Natürlich ist inhaltliche Kritik an meiner Arbeit und an der Politik im Allgemeinen unbedingt angebracht. Aber pauschale Verunglimpfungen, die alle Politiker in eine Ecke stellen, sind fehl am Platze.

Viel mehr wünsche ich mir mehr Verantwortungsübernahme und Dialog in unserer Gesellschaft. Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht verdrossen abwenden, sondern sich einmischen und ihre Meinung vertreten. Mitmachen und Verantwortung leben – auch das bedeutet für mich heute Reformation und Politik.


Dieser Text erschien zum ersten Mal in Politik & Kultur - Die Zeitung des Deutschen Kulturrates 2/2015. Hiltrud Lotze ist SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Lüchow-Dannenberg-Lüneburg und stellvertretende Sprecherin der Arbeitsgruppe Kultur und Medien in der SPD-Bundestagsfraktion.