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Im Zug mit … Michael Diener

Interview mit dem Präses des Gnadauer Verbandes und Vorsitzenden der Deutschen Evangelischen Allianz

Michael Diener
Dr. Michael Diener ist Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz und seit November 2015 auch Mitglied des Rates der EKD (Bild: epd-bild)

Mit Michael Diener im Zug von Frankfurt am Main nach Kassel zu sitzen, ist schon etwas Besonderes. Der Theologe und Chef der deutschen Evangelikalen und Pietisten ist seit November 2015 Mitglied des Rates der EKD und dafür angetreten, das Reformationsjubiläum aktiv mitzugestalten. Das Reformationsjubiläum bedeute ihm „keine Last, sondern Lust“. Auch die missionarische Arbeit möchte er ernst nehmen. Da sitzt einem im Abteil aber auch ein Mensch gegenüber, der gerade erst durch ein aufsehenerregendes Interview in der „Welt“ eine Grundsatzdiskussion innerhalb der Kirche über Glaube und den Zeitgeist neu entfacht hat. Ein Gespräch über Grundfragen des Lebens, den Glauben in der heutigen Gesellschaft und die Tragfähigkeit des Reformationsjubiläums. 

luther2017.de: Herr Diener, warum sollte man heute noch, 500 Jahre später, die Reformation feiern?

Michael Diener: Weil das Anliegen der Reformation heute genauso aktuell ist, wie vor 500 Jahren. Es geht um die Menschen zu allen Zeiten bewegenden Fragen: Wie ist das mit Mensch und Gott? Wer ist Gott? In der Reformation ist unübertroffen deutlich geworden, dass Gott uns Menschen sucht und uns den Weg zu ihm öffnet. Das halte ich für eine zeitlos wichtige Botschaft. 

Als Präses des Gnadauer Verbandes sind Sie ein Vertreter des Pietismus. Der Pietismus war ja die größte Erneuerungsbewegung seit der Reformation in der Kirche der Reformation. Was können wir heute noch von ihm lernen?

Diener: Ich glaube, dass der Pietismus in all den Jahren einige Grundeinsichten wachgehalten hat, die auch für die Kirche von heute von großer Bedeutung sind. Ich nenne mal die große Wertschätzung der Heiligen Schrift. Wir sind immer noch die Bewegung, die nicht nur in Gottesdiensten, sondern auch in Hauskreisen, in Bibelgesprächskreisen, an Bibelschulen, in ehren- und hauptamtlichen Ausbildungsstätten immer wieder die Bibel in den Mittelpunkt stellt.

Ein zweites Anliegen: Wir waren als Pietisten immer diejenigen, die wollten, dass auch andere von der Hoffnung erfahren, die in uns ist. Im Kern ist es das, was man eine Zeit lang in der Kirche eher abwertend als „Mission“ oder „Missionierung“ bezeichnet hat. Es war uns immer ein Herzensanliegen, auf eine die Menschen ernstnehmende und wertschätzende Weise die Botschaft von der Liebe Gottes weiterzugeben. Auch das hat der Pietismus durch die Zeiten festgehalten und in die Kirche eingebracht.

Ich könnte als drittes auch nennen, dass wir immer auch eine Bewegung der Ehrenamtlichkeit gewesen sind. Noch stärker als in den evangelischen Landeskirchen wird unsere Arbeit von Menschen getragen, die sich ehrenamtlich einbringen. Das gilt letztlich auch für die ganzen Finanzierungsfragen. Gemeinschaftsbewegung heute lebt durchweg aus den Spenden, die sie erhalten. Es gibt ja auch Zuschüsse, für die wir sehr dankbar sind, aber die Spendenfinanzierung ist das ausschlaggebende. 

Aber wie erreicht man in der heutigen Zeit, in der sich die Gesellschaft eher von Kirchenthemen abwendet, mit Frömmigkeit noch die Menschen?

Diener: Ich denke, die Menschen wenden sich vielleicht von Institutionen ab, aber die Grundfragen des Lebens bewegen sie damals wie heute. Wie gehe ich mit meiner eigenen Lebensperspektive um? Was ist der Sinn meines Lebens? Wie gehe ich mit Krisensituationen um? Ich finde schon, dass der Weg der Menschen oft über diese Fragen führt, und zwar nicht im Sinne der schnellen Antwort, sondern im Sinne der Wegbegleitung. Als ein Mensch, der in all diese Fragen auch hineingeworfen ist, aber durch Christus eine Glaubensperspektive hat, darf ich das mit anderen Menschen teilen. Unsere Erfahrung ist schon, dass dieser konkrete Lebensbezug, den Glaube auch in unserer heutigen Zeit haben kann, immer wieder ansteckend für Menschen ist. 

Pietismus leitet sich vom lateinischen Pietas (Frömmigkeit) ab. Der Pietismus prägte als Reformbewegung im 17. und 18. Jahrhundert die evangelische Kirche und betonte in besonderer Weise die Bibel sowie die Notwendigkeit, dass der Einzelne sich für den Glauben entscheiden muss. Neben einer intensiven Bibel- und Gebetsfrömmigkeit liegt der Schwerpunkt auch auf einer aktiven Nächstenliebe. Neben Spener zählen August Hermann Francke (1663-1727), der in Halle diakonische Einrichtungen gründete, sowie Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) zu den Wegbereitern des Pietismus, der auch heute noch in der evangelischen Kirche prägend wirkt, etwa durch den 1897 gegründeten Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband mit Sitz in Dillenburg. (Quelle: EKD)

Ein Zweites, was mir einfällt, ist, dass Menschen nicht grundsätzlich religiöse Themen- oder Fragestellungen ablehnen. Schauen Sie mal, wie voll die Kirchen in Urlaubsgebieten sind, schauen Sie mal wie gerne Kathedralen besucht werden. D.h. ich glaube an die den Menschen innewohnende Sehnsucht nach der religiösen Dimension. Wenn es uns gelingt, das auf eine kreative Weise immer wieder mit dem Leben der Menschen zu verbinden, dann wird auch die Zukunft der Kirche immer wieder auf Menschen stoßen, die sich von dieser Botschaft begeistern und inspirieren lassen. 

In Ihrer Vorstellungsrede als Kandidat für den Rat der EKD erklärten Sie, dass Sie mithelfen wollen, dass nach dem Reformationsjubiläum nicht Katerstimmung einsetze, sondern Aufbruchsstimmung folge. Wo sehen Sie bei den Vorbereitungen zum Reformationsjubiläum noch Entwicklungspotential?

Diener: Ich bin in die detaillierten Vorbereitungen nicht so eingebunden, als dass ich das sehr konkret sagen kann. Ich bin sehr dankbar für die Entwicklung der letzten Monate, die z.B. den Akzent des Reformationsgedenkens auf das Christusfest gelegt haben. Ich bin wirklich der Überzeugung, dass mittlerweile auch sehr viele Elemente bedacht werden, die das Reformationsjubiläum aus dem reinen Eventgeschehen – was sicherlich auch sein muss, wenn man viele Menschen ansprechen will – herausholen. Da sehe ich in letzter Zeit sehr gute Ansätze, also geistliche Vertiefung, Spiritualität, die Lebensfragen der Menschen im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum thematisieren. Ich glaube auch, auf diesem Weg sollte man miteinander weitergehen.  

In derselben Rede erklärten Sie, dass Ihnen das „Reformationsjubiläum nicht Last, sondern Lust“ bedeute. Worauf freuen Sie sich auf 2017 besonders?

Diener: Ich freue mich darauf, dass in diesem Jahr viele säkulare Medien und ansonsten auch kirchlichen Themen nicht besonders nahestehende Menschen mit dieser Frage nach dem gnädigen Gott und nach der Gemeinschaft mit Gott konfrontiert werden. Ich finde das spannend, was daraus an Prozessen und Begegnungen entstehen kann, nicht nur an irgendwelchen Stätten der Reformation, sondern an allen Orten und in allen Gegenden Deutschlands. Ich freue mich auf die Zeit der Weltausstellung in Wittenberg, die ich für ein spannendes Projekt halte. Ich bin gespannt, wie das mit dem Kirchentag wird, mit diesen ungeheuren Menschenmassen – ich glaube, auch solche Erfahrungen und Elemente braucht man. Aber ich weiß, dass sich die Tragfähigkeit des Reformationsjubiläums auch in vielen regionalen und lokalen Veranstaltungen zeigt, so wie wir das auch im evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband planen und durchführen. Und darin liegt die tiefe Kraft der Reformation, die auch nach der Reformation weiterwirken kann. Auf diese vielen, vielen kleinen Veranstaltungen freue ich mich besonders.  

Welche Projekte plant der Gnadauer Verband für das finale Themenjahr der Lutherdekade und das Reformationsjubiläum? 

Diener: Ich finde, wir haben sehr, sehr früh angefangen zu sagen, das Reformationsjubiläum ist auch unseres. Wir wollen es wirklich, zugeschnitten auf unsere eigene Bewegung, feiern. Wir haben schon im Herbst 2015 ein Reformationsmagazin in unserer ganzen Gemeinde in großer Stückzahl verteilen lassen, bewusst als Motivationsmagazin, so dass unsere eigenen Leute feststellen können, welche Bedeutung dieses Reformationsjubiläum auch für unsere Bewegung hat. 

Im Reformationsjahr selbst sind wir mit drei besonderen Aktionen unterwegs. Das eine ist ein Theaterstück, das wir bewusst für diesen Anlass schreiben ließen. Es heißt „der Reformator“ und erzählt die Geschichte, wie das wäre, wenn Martin Luther heute zurückkäme. Dieses Stück, das von einem befreundeten Theatermann verfasst wurde, wird im Reformationsjahr durch unsere Gemeinschaften auf Tournee gehen und wird vor Ort jeweils von Laienspielgruppen aufgeführt. Das war eine tolle Idee und wir sind froh, dass sie sich so umsetzen lässt. Darüber hinaus haben wir eine Reformationskiste erstellt. Das ist eine Kiste in der Auflage von 500 Exemplaren, die gemeindepädagogisch aufbereitet ist und in der ganz viele Elemente enthalten sind, die etwas mit dem Reformationsjubiläum zu tun haben oder mit der grundlegend befreienden Botschaft des Evangeliums. Da finden Sie einen Nagel drin, da finden Sie eine Kette drin, da finden Sie einen Federkiel, da sind auch tönerne Abendmahlskelche drin. Wir werden das Reformationsjubiläum elementarisieren und Gemeinden, die diese Reformationskiste erwerben, haben die Chance eine ganze Woche zu dem Thema Reformationsjubiläum zu gestalten. 

Das dritte ist, dass wir im Januar 2017 als Gemeinschaftsbewegung in Wittenberg sein werden, zu einem Eröffnungsgottesdienst des Reformationsjubiläums für unsere Gemeinde. Wir werden die Menschen bitten, dass sie ausgehend von der Schlosskirche, in der Martin Luther ja die Thesen angeschlagen hat und in der wir auch zusammen sein werden, ein Thesenpapier selbst entwerfen. Dieses Papier dreht sich um Fragen wie: Was braucht es jetzt zur Reformation der Gemeinschaftsbewegung? Was soll uns jetzt im Blick nach vorne reformieren? Wir versuchen quasi das Reformationsjubiläum als Erneuerungsprozess für unsere eigene Bewegung über 2017 hinaus zu nutzen.