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Sendbrief vom Predigen ohne Große Worte - Fastenaktion aus Wittenberg

Initiatorin Kathrin Oxen über die Anleihen der Aktion "Sieben Wochen Ohne Große Worte" bei Martin Luther

Große Worte auf Zetteln
(Foto: Fotolia/luther2017.de)

Große Worte verlieren manchmal ihre Wirkung – und damit ihre Bedeutung. Sie müssen immer wieder neu und anders zu Sprache gebracht werden. Der französische Soziologe Bruno Latour nennt dafür ein Beispiel aus der zwischenmenschlichen Kommunikation: "Stellen Sie sich einen Liebenden vor, der die Frage ‚Liebst du mich?‘ mit dem Satz beantwortet: 'Aber ja, du weißt es doch, ich habe es dir letztes Jahr schon gesagt.‘ Wie könnte er entschiedener bezeugen, dass er endgültig aufgehört hat zu lieben?“

Latours Überlegungen waren es, die uns im Zentrum für evangelische Predigtkultur zu unserer Fastenaktion "Sieben Wochen Ohne Große Worte“ angeregt haben. Wir haben Predigerinnen und Prediger aufgefordert, in ihren Predigten der Passionszeit einmal bewusst auf die Großen Worte zu verzichten. 49 Beispiele Großer Worte haben wir ausgesucht: Liebe ist dabei, aber auch Barmherzigkeit, Kreuz, Gnade, Trost, Hoffnung und auch Gott und Jesus.

"Wittenberg ruft und alle schreien“

Dabei geht es aber nicht nur ums Weglassen Großer Worte, sondern – im Gegenteil – darum, sie neu zu füllen. Ebenso wie auch bei anderen Formen des Fastens der Verzicht zu neuen Erfahrungen führen kann. Es ist der Respekt vor den Großen Worten und ihren Inhalten, der uns dabei bewegt. Und es geht um die sonntägliche Herausforderung, vor der jeder Prediger und jede Predigerin steht: Wie sage ich das Vertraute, allzu Bekannte, immer schon Gewusste noch einmal neu?

Das ist eine große Herausforderung, die viele, zum Teil sehr heftige Reaktionen ausgelöst hat. "Quasi-reformationszeitliche Verhältnisse – Wittenberg ruft und alle schreien“, hieß es in einem Blog zu der großen Resonanz auf unsere Aktion. Der Appell zum Verzicht auf die Großen Worte kommt aus Wittenberg. Mit der Wahl des Standorts für das Zentrum für evangelische Predigtkultur verband sich seinerzeit auch der Wunsch, dass aus dem Ursprungsort der Reformation wieder Impulse für die Predigt der Gegenwart kommen sollten. Wer unsere Büroräume im Cranachhof verlässt, steht ihm ja auch gleich gegenüber: Martin Luther auf seinem Sockel auf dem Wittenberger Marktplatz. Er zeigt auf die aufgeschlagene Bibel in seiner Hand. Eine durchaus herrische Geste ist das: Lies das! Lass dir das sagen! Das ist wichtig für dich!

Verwandtschaft zwischen Latour und Luther?

Und gibt es da vielleicht eine mehr als phonetische Verwandtschaft zwischen Latour und Luther? Naheliegend sind hier, am historischen Ort, die Erinnerungen an die Invokavitpredigten. mit denen Luther im Frühjahr 1522 die Wittenberger Unruhen, Forderungen nach radikalen Reformen, beendet hat. Den Taten in Wittenberg hat er damals nichts als Worte folgen lassen, gemäß dem reformatorischen Grundsatz sine vi sed verbo (ohne Gewalt, allein durch das Wort, CA 28).

In

Pfarrer am Schreibtisch mit Talar
Pfarrer am Schreibtisch mit Talar (Foto: epd-bild/Jens Schulze)

In einer durchaus gelassenen, entspannten Haltung trat er der herrschenden Aufregung entgegen. In seinen Predigten kommentiert er das sogar: "Ich bin dem Ablass und allen Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt, ich habe allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst habe ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich Wittenbergisch Bier mit meinem Philipp und Amsdorff getrunken habe, so viel getan, dass das Papsttum so schwach geworden ist, dass ihm noch nie ein Fürst noch Kaiser soviel Abbruch getan hat. Ich hab nichts getan. Das Wort hat es alles gewirkt und ausgerichtet.“

Von Brei und Ei und Mutterbrust

Das hört sich so an, als könnten die Kritiker der Fastenaktion „Sieben Wochen ohne Große Worte“ sich direkt darauf berufen. Es geht doch wohl um das Wort, auch um Große Worte, man kann nicht auf sie verzichten - Luther hat es doch vorgemacht! Was das Vertrauen auf die Wirksamkeit der Predigt, der Worte, der Sprache angeht, ist das zweifellos richtig. Aber von Luther ist eben auch zu lernen, dass es Große Worte allein nicht tun können, wenn sie nicht anschlussfähig an menschliche Erfahrungen formuliert werden. Luther hat immer deutlich unterschieden zwischen der Ebene des akademisch-theologischen Diskurses und der Art und Weise, in der er theologische Einsichten in der Predigt an seine Hörerinnen und Hörer vermittelt hat.

Als Beispiel seien abermals die Invokavitpredigten genannt, die an Bilderreichtum und Sprachkraft auch nach fast 500 Jahren nichts von ihrer Wirksamkeit eingebüßt haben. Luther wählt darin auffällig sinnliche Bilder, um seine theologischen Anliegen zu transportieren. So erfindet er das "Gleichnis von der nährenden Mutter“, um zu beschreiben, wie auf dem Weg der neuen Freiheit alle mitgenommen werden können: von Brei und Ei und Mutterbrust ist hier die Rede. Die Liebe wird zu einer handelnden Person. Luther will "die Herzen fangen“ und spricht von Gott als "glühendem Backofen voller Liebe“, einem auch in der Ambivalenz von Anziehung und Gefahr beeindruckendem Sprachbild von Gottes Wesen.

"Einfältig zu predigen ist eine große Kunst!“

Seine Überzeugung, dass die Orientierung an menschlicher Erfahrung die Voraussetzung einer wirksamen Predigt ist, leitet Luther offenbar aus dem Vergleich mit der Verkündigung Jesu her, insbesondere von den Gleichnissen: "Man soll sich den Hörern akkomodieren. Das fehlt gemeiniglich allen Predigern; sie predigen so, daß das gemeine Volk gar wenig daraus lernt … Einfältig zu predigen ist eine große Kunst! Christus selbst that es: er redet allein vom Ackerbau, vom Senfkorn und braucht eitel gemeine Gleichnisse." (Tischrede vom 23. Juli 1539) Ohne Große Worte predigen – Luther nimmt sich dafür Jesus zum Vorbild. Was Sinnlichkeit und Bilderreichtum angeht, ist dieser Vorschlag unbedingt zu beherzigen.

Denn die teilweise sehr kritischen Reaktionen auf unsere Anregung zeigen uns, wie eingefahren vielfach die Predigt- und auch die Hörgewohnheiten zu sein scheinen. Evangelische Predigt muss aber unserer Meinung nach mehr sein als eine Mitteilung bestimmter theologischer Codewörter, die nur ein Kreis Eingeweihter für sich mit Bedeutung füllen kann..

Große Worte in der Schlusskurve der Predigt

In unserer Arbeit im Zentrum für Predigtkultur erleben wir, dass in Predigten immer wieder derartige Große Worte auftauchen – sehr gehäuft dort, wo es wichtig und bedeutsam werden soll, also vor allem in der Schlusskurve mancher Predigt. Davon zu sprechen, dass Gott die Liebe ist, bleibt aber eine Behauptung, wenn mir als Hörerin nicht auch gesagt wird, wo diese Liebe anschaulich und konkret erfahrbar wird. Mit der Mitteilung dieser eigenen Glaubenserfahrung tun sich viele Predigerinnen und Prediger schwer – und auch damit, Menschen auf diese Erfahrungen anzusprechen. Der Verzicht auf die Großen Worte kann helfen, sich nicht länger hinter ihnen zu verstecken, sondern in der Predigt zu sagen, was sie heute und für mich bedeuten können.

"Es heißt: wer am Wege baut, hat viele Meister. So geht’s mir auch“ seufzt Luther in seinem Sendbrief vom Dolmetschen. Auch der Weg zu einer zeitgemäßen, inhaltlich gefüllten und wirksamen Predigtsprache hat viele Meister. "Darum gehört große Geduld dazu, so jemand etwas öffentlich Gutes tun will“, so Luther weiter. Von Wittenberg aus hat die Fastenaktion "Sieben Wochen ohne Große Worte" 2.500 Postkarten mit den Großen Worten in Deutschland und ins europäische Ausland verschickt. Und überall, wo sie angekommen sind, machen sich Predigerinnen und Prediger auf diesen Weg. Sie verteilen die Karten im Gottesdienst und machen die Aktion selbst zum Predigtthema, diskutieren in Blogs und auf Facebook, sie gestalten Rundfunkandachten und Videoclips – oder predigen ganz einfach am Sonntag einmal ohne Große Worte. Ein Impuls, der ankommt - über die Fastenzeit hinaus.


Kathrin Oxen ist Leiterin des Zentrums für Evangelische Predigtkultur in Wittenberg, das zur Fastenzeit 2014 die Initiative "7 Wochen ohne Große Worte" ausgerufen hat. Weitere Informationen zur Aktion unter www.ohne-grosse-worte.de.

Kathrin Oxen
Kathrin Oxen (Foto: Stephanie Höppner)

Kathrin Oxen ist Leiterin des Zentrums für Evangelische Predigtkultur in Wittenberg, das zur Fastenzeit 2014 die Initiative "7 Wochen ohne Große Worte" ausgerufen hat. Weitere Informationen zur Aktion unter www.ohne-grosse-worte.de.

Informationen

Datum:04-04-14
Schlagworte:
Wittenberg, Predigt, Sprache, Kathrin Oxen, Ohne Große Worte, Invokavit, Zentrum für Predigtkultur