Skip to main content

Rumäniens wehrlose Kirchenfestungen

„Kirchenburgen“ werden die festungsartig ausgebauten Gotteshäuser genannt. Nirgendwo gibt es so viele auf so engem Raum wie im rumänischen Siebenbürgen. Doch seit einigen Jahren nagt der Zahn der Zeit an diesem besonderen Kulturerbe.

Kirchenburg in Hosman
Die Kirchenburg im rumänischen Hosman (Bild: Schoko Chantallle /flickr) (CC BY-NC-SA 2.0)

Nur eine halbe Stunde Autofahrt von Sibiu (dt. Hermannstadt) entfernt, im Herzen Rumäniens, befindet sich das Dorf Hosman (dt. Holzmengen). Eine imposante Kirchenburg thront über dem transsilvanischen Dorf und seinen knapp 800 Einwohnern. Die Siebenbürger Sachsen hatten sie einst im 13. Jahrhundert erbaut und den Kirchenheiligen Petrus und Paulus geweiht. Doch Bedrohungen von außen, insbesondere die Einfälle der Osmanen, zwangen die Bewohner des Dorfes, die Kirche mit einer hohen Ringmauer, samt Schießscharten und Türmen zu versehen. Damit schafften sie sich einen Verteidigungsort, an dem sich die Dorfbewohner bei Gefahr zurückziehen konnten. Heute sind in Rumänien noch etwa 160 dieser Kirchenburgen erhalten. Sie bilden ein engmaschiges Netz von Wehrkirchen, das in Europa einzigartig ist – und prägen den Charakter so mancher Ortschaft. Sieben von ihnen wurden in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen, doch ein Großteil dieser steinernen Denkmäler droht zu verfallen.

Eine Rote Liste für baufällige Kirchen

„Die Evangelische Kirche A.B. (Augsburgischen Bekenntnisses, Anm. d. Red.) in Rumänien und die wenigen verbliebenen Sachsen können die besagten Anlagen kaum erhalten“, erklärt der Österreicher Georg Fritsch im Gespräch mit der Siebenbürger Zeitung. Zusammen mit seinem Verein „Kulturerbe Kirchenburgen“ setzt er sich für die Erhaltung der Kirchenburgenanlagen und deren Nutzung als Gotteshaus ein. Der Schwerpunkt der Arbeit des Vereins liegt auf gefährdeten Projekten, die in absehbarer Zeit keine Hilfe zu erwarten haben. 

Kirchturm in Rotbav
Der befestigte Kirchturm in Rotbav vor dem Einsturz (Bild: flickr / vutu) (CC BY 2.0)

In einer „Roten Liste“ werden besonders stark bedrohte Kirchenburgen und mittelalterliche Dorfkirchen benannt, an denen Notreparaturen erforderlich sind. So führte der Verein im August 2015 beim Projekt „Kirchenburg Dobârca“ (Dobring) eine Notreparatur des maroden Kirchendachs durch. Zuvor hatte man in Zusammenarbeit mit Architekten aus Bukarest ein schmiedeeisernes Tor angebracht, um Unbefugten den Zutritt zu dem einsturzgefährdeten Gebäude zu verwehren. „Die ,Rote Liste’ befindet sich noch im Aufbau. Sie umfasst im Moment nur einen geringen Teil der stark bedrohten Kirchenburgen und mittelalterlichen Dorfkirchen“, zeigt sich der Vorsitzende Alexander Kloos besorgt. 

Nach Einschätzung von Bischof Reinhart Guib von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Rumänien (EKR) könne die Kirche den Erhalt aller 160 Kirchenburgen nicht alleine stemmen. Gerade in kleineren Ortschaften, wo es keine evangelischen Kirchengemeinden mehr gibt, ist die Lage sehr schwierig. Oftmals fehlen die finanziellen Mittel um die maroden Baudenkmäler zu erhalten, selbst für notwendige Sicherungsarbeiten. Die Folgen können fatal sein. Im Februar 2016 stürzten im Kreis Brașov (Kronstadt) innerhalb weniger Tage Teile von zwei mittelalterlichen Kirchenburgen ein. In Rotbav (Rothbach) war es sogar der ganze Kirchturm und Teile des Kirchenschiffes, die einbrachen. 

Johannes Honterus und die lutherische Reformation in Siebenbürgen

Dabei trotzten diese Kirchengebäude mehr als 700 Jahren Kriegen, Wind und Wetter und wurden bis in die 1990er Jahre von den Gemeindemitgliedern in Stand gehalten. Noch heute erinnern die Kirchenburgen an eine wechselhafte Geschichte zwischen Blüte und drohender Vernichtung, die bis ins hohe Mittelalter hineinreichte. 

Honterus-Standbild
Honterus-Standbild von Harro Magnussen vor der Schwarzen Kirche in Brasov (Bild: Sören Herbst)

Zur Grenzsicherung und Urbarmachung des Landes riefen ungarische Könige seit dem 12. Jahrhundert deutsche Siedler in den Karpatenbogen. Dort gründeten sie Dörfer, errichteten Städte und organisierten die Verteidigung des Landes. Zugleich bauten sie die Gotteshäuser immer mehr zu jenen Kirchenburgen aus, die heute so charakteristisch für die Landschaft zwischen Donau und Karpaten sind. 

Die Schriften und Flugblätter Martin Luthers gelangten durch Kaufleute und Studenten bereits sehr früh nach Siebenbürgen. Zwischen 1542 und 1550 fand die lutherische Reformation in Siebenbürgen statt, die von den Sachsen geschlossen angenommen wurde. In Brașov wurde der Humanist Johannes Honterus (1498-1549), ein Sohn der Stadt und Absolvent der Wiener Universität mit zahlreichen Kontakten zu den geistigen Zentren Europas, zum Reformator Siebenbürgens. Mit seiner Druckerei unterstützte er die Ausbreitung des reformatorischen Gedankengutes in der ganzen Region. Sein „Reformationsbüchlein“ von 1543 gelangte zu den Wittenberger Reformatoren, die seine Schrift lobten. Philipp Melanchthon veranlasste sogar eine Neuausgabe mit einem eigenen Vorwort in Wittenberg. 

Bereits 1550 wurde die lutherische Kirche in Rumänien offiziell anerkannt. Die Verkündigungssprache ist seit jener Zeit Deutsch bzw. Mundart. Doch ähnlich wie in Westeuropa entzündeten sich auch hier Streitigkeiten über die Gegenwart Christi im Abendmahl. Das hatte zur Folge, dass sich die reformierten Gruppen entzweiten. 1560 gab es in Siebenbürgen allein drei protestantische Konfessionen, der Katholizismus war nicht vollständig verschwunden, und die Mehrheit der Rumänen war und blieb orthodox. Somit unterscheiden sich die Siebenbürger seit der Reformation nicht nur durch ihre Sprache, sondern auch durch ihre Religionszugehörigkeit. Die Kirchen entwickelten sich zu einer Art „Nationalkirchen“, die eine identitätsstiftende Rolle annahmen. So ist „evangelisch-lutherisch“ etwa gleichbedeutend mit sächsisch oder deutsch. 

Kirchenburg in Cristian
Die Kirchenburg in Cristian (Kreis Sibiu)
(Bild: Roamata / Wikimedia)

Auf internationale Unterstützung angewiesen

Heute zählt die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien noch rund 12.700 Mitglieder – die meisten davon Siebenbürger. 1980 waren es noch rund 100.000 Mitglieder. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wanderten alleine im Jahr 1990 zwei Drittel der evangelischen Gemeindeglieder nach Deutschland aus. Dieser Prozess setzte sich in den darauffolgenden Jahren fort, so dass mittlerweile weniger als 15% weiterhin Mitglieder der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien sind.

Zwar pflegen viele der im Ausland lebenden Siebenbürger Sachsen noch immer eine enge Heimatverbundenheit, die sich auch in einer Verbundenheit mit der EKR äußert, doch der Erhalt der Kirchenburgen und ihrer Schätze kostet viel Geld. Bis heute spenden ehemalige Bewohner der Dörfer und ihre Nachfahren, große Summen für Sanierungsarbeiten an den Kirchen. 

Doch die Liste der vom Verfall bedrohten Dorfkirchen ist lang und der Zahn der Zeit nagt weiterhin an dem Kulturerbe. Neben der Geldfrage ist auch die Frage nach der menschlichen Ressource offen. So zählt die Gemeinde in Rotbav, wo der Kirchturm einstürzte, gerade mal zwölf Menschen. Reinhart Guib erklärte nach dem Einsturz, dass die EKR weiterhin bemüht sei, das Kulturerbe zu retten, zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Die Gründung der „Stiftung Kirchenburgen” und das erfolgreiche Projekt „Entdecke die Seele Siebenbürgens” seien wichtige Schritte in diese Richtung. Allerdings sei man heute noch mehr auf die Unterstützung der im Ausland lebenden Siebenbürger Sachsen und internationaler Partner angewiesen.

Informationen

Autor:Michael Achhammer Quelle:Siebenbürgische Zeitung/EKR/agnethier.de/ Verein Kulturerbe Kirchenburgen Datum:08-04-16
Schlagworte:
Kirchenburgen, Siebenbürgen, Rumänien, Kulturerbe

weiterführende Informationen

Verein „Kulturerbe Kirchenburgen"

Notizen aus der Einen Welt

Das Reformationsjubiläum ist kein nationales, deutsches oder gar lokal begrenztes Ereignis. Die Reformation ist durch die Jahrhunderte zur „Weltbürgerin“ geworden. In vielen Regionen und Ländern auf allen Kontinenten haben sich reformatorische Gedanken ausgebreitet und reformatorische Ideen dargestellt.

Themenjahr 2016

Am Vorabend des Reformationsjubiläums werden die globalen Prägekräfte im Mittelpunkt stehen.