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Notizen aus … Schweden Einige Anmerkungen aus der Schwedischen Kirche. Ein Gastbeitrag von Kerstin Wimmer.

Die Kathedrale in Lund. Hier wurde im Oktober das Reformationsjubiläum eröffnet. (Foto: epd-bild/Thomas Lohnes)

Sprachliche Polyfonie

Gegenüber der südlichen Seite der Domkirche in Lund steht eine junge schöne Robinie. Sie wurde als Gruß an Baum Nummer 101 im Luthergarten gepflanzt. Am Reformationstag im Jahr 2011 pflanzte Bischöfin Antje Jackelén dort den Baum der Schwedischen Kirche, eine Kleinkronige Winterlinde. Zum selben Anlass wurden gemeinsam mit Vertretern der Kirchen in El Salvador, Papua-Neuguinea, Kenia, Deutschland, Lettland und den USA mehrere Bäume gepflanzt. Unser „schwedischer“ Baum genoss also von Anfang an die Gesellschaft der Kirche in der ganzen Welt! Jeder Baum erhielt Erde und Wasser im Übermaß von den Kindern, die voller Freude und Begeisterung beim Pflanzen mithalfen. Die zahlreichen Sprachen, die an diesem Tag im Luthergarten zu vernehmen waren, bereicherten vielseitig unsere Erfahrung davon, was es heute bedeutet, Kirche zu sein. Eine wesentliche Frage ist: Was ist unveräußerlicher Teil unserer Identität, und was muss reformiert werden, damit die Kommunikation in unserer Zeit als relevant empfunden wird? Die sprachliche Polyfonie ist in höchstem Maße ein Kennzeichen der Reformation. Sicherlich ist es faszinierend, dass Martin Luther in seinem Werk Deutsche Messe und Ordnung des Gottesdiensts von 1526 vorschlägt, beim Gottesdienst der Gemeinde mindestens vier Sprachen zu verwenden? Luther hat hierbei vor allem die Jungen im Sinn, die über sprachliche Grenzen hinweg den Glauben und das Leben kommunizieren können sollen. Wie sieht die sprachliche Polyfonie in unseren Gottesdiensten heute aus?

Die Zukunft wohnt in uns – evangelisch-lutherische Theologie in einem neuen Kontext

In der Schwedischen Kirche ist an vielen Stellen ein Hinwirken darauf wahrzunehmen, die schwedische Sprache um eine weitere zu ergänzen. Falls wir, wie einst Luther, glauben, dass alle Sprachen eine Gabe Gottes sind, in der der Heilige Geist wirkt, ist jeder Schritt aus dem Bereich unserer eigenen Sprache eine Einladung für neue Erfahrungen unseres Glaubens. Nicht selten trifft man bei der Begegnung zwischen verschiedenen Sprachen auf das völlig Unerwartete. Ein Beispiel ist die Gemeinde Berga in der Diözese Linköping. Dort findet der Gottesdienst zweisprachig statt, Arabisch und Schwedisch werden auf Monitoren gezeigt. Zum ersten Mal verstehen die chaldäischen Christen das Gesagte, denn Arabisch zählte auch in ihrem früheren Heimatland nicht zu den üblichen Gottesdienstsprachen. Der zweisprachige Gottesdienst erscheint sowohl den schwedisch wie den arabisch Sprechenden als ein unverhofftes Geschenk!

Großstädtische Gemeinden beispielsweise in Stockholm, Göteborg oder Malmö haben ein Netzwerk gegründet: „Framtiden bor hos – Die Zukunft wohnt in uns“. Im Fokus steht dort die Frage, wie wir eine evangelisch-lutherische Theologie im völlig neuen Zusammenhang einer Kirche entwickeln können, die sich auf dem allgemeinen Priestertum der Gläubigen begründet. In diesem Kontext wird die neue Volkskirche mit Menschen aus aller Welt errichtet.

Tar und Trommel
Eine Tar – ein aus Vorderasien stammendes Zupfinstrument – und eine Trommel. (Bild: Karzai Mahmood)

Polyfonie der Musik

Direkt neben der Theologie, so sagt Luther, ist die Musik die höchste aller Wissenschaften. Uns ist ja bekannt, dass die Teilhabe der Gemeinde am Gesang ein unerhört wichtiger Aspekt dabei war, die Theologie der Reformation bekannt zu machen. Zweifelsohne können wir behaupten, dass der Psalm ein Zeichen unserer lutherischen Tradition ist. Um der Tradition treu bleiben zu können, ist eine ständige Erneuerung erforderlich. Mit anderen Worten ist die Reibung zwischen der Tradition und der Erneuerung eine Notwendigkeit in unserer lutherischen Tradition, was zwar nicht immer einfach ist, doch zur Auslegung des Lebens heute unabdingbar. Luther begrüßte – anders als viele seiner Zeitgenossen – die polyfone Musik. Ist sich die Gemeinde nur klar darüber, was der Cantus firmus, die feststehende Melodie ist, nämlich Christus als Kern und Stern der heiligen Schrift, kann sie auch Lieder jeder Art erklingen lassen und der Polyfonie der Musik Raum geben. Zum Zwecke, eine neue Tonsprache zu finden sowie Worte, die mit unserer heutigen Zeit kommunizieren können, hat die Schwedische Kirche versuchsweise neues Liedgut herausgegeben: Psalmen im 21. Jahrhundert. Hierin finden sich Psalme sehr unterschiedlicher Art, wie zum Beispiel Kärlekens tid („Zeit der Liebe“) mit einem Text der Poetin Ylva Eggerhorn und der Musik des ABBA-Mitgliedes Benny Andersson. Die Zukunft wird zeigen, welche dieser Psalmen die Ansprache des Evangeliums in den heutigen Erfahrungen der Menschen auszudrücken vermögen.

Der in Schweden bekannteste Reformator, Olaus Petri, besuchte Luther in Wittenberg und ließ sich inspirieren von den Konsequenzen der lutherischen Theologie hinsichtlich der Art, den Gottesdienst zu feiern. Als er in die Gemeinde der Stockholmer Hauptkirchengemeinde zurückkehrte, kopierte Petri dort Luthers Gottesdienstordnung nicht einfach, sondern er versuchte gemeinsam mit seinen Mitarbeitern, die neue Art der Gottesdienstfeier an den Kontext der Hauptkirche anzupassen. Zum ersten Male wurde mit verschiedenen Musikgenres und auf Schwedisch gesungen.

Wie können wir den Psalmengesang und die liturgische Musik heute derart erneuern, dass sie das Evangelium in die unsere Zeit kommunizieren? Unser reformatorisches Erbe weist in Richtung einer Unbefangenheit, die sich sowohl auf die Sprache als auf die Musik beziehen möge! Dauerhaft aufs Neue die abwechslungsreiche Landschaft der Polyfonie zu entdecken, dass ist ein wahres Leben in einer ecclesia semper reformanda.

Ein Beispiel für die Polyfonie der Musik in dem neuen Zusammenhang sind die Gottesdienste der Gemeinde in Rinkeby, die von vielen Menschen aus unterschiedlichen Ländern des Nahen Ostens besucht werden. Die Musik des Gottesdienstes verwendet eine Tonskala, wie sie auch im Nahen Osten zu finden ist, und wird auf ebenfalls dort beheimateten Instrumenten gespielt. Sämtliche liturgischen Lieder wurden in der Gemeinde komponiert und verfasst; sie werden als „Världens mässa“, die „Messe der Welt“ bezeichnet. Im reformatorischen Sinne hat diese Gemeinde dasselbe gemacht wie einst Olaus Petri, sie ist der Wirklichkeit gefolgt, in der die Menschen leben, und hat mit diesen zusammengewirkt, mit ihren vielen Stimmen und Sprachen. Die evangelisch-lutherische Theologie wird in einem neuen Kontext herausgefordert, es gibt neue Fragen mit ungeahnten Möglichkeiten. 

„Ein einzig Brot, eine einzige Menschheit“

Kehren wir zurück zur Robinie in meiner Heimatstadt Lund. Es war in dieser Stadt, in der 1947 der Lutherische Weltbund gegründet wurde. Von Anfang an war der Gedanke dabei, zu erkennen und zu verstehen, dass der Baum viele Äste hat. Der Luthergarten Wittenberg lädt uns mit all seinen Nuancen und Sprachbereichen ein zu einer Gemeinschaft, die über alle Grenzen hinausreicht, die von den Menschen gesetzt mögen sein und von der Angst der Mächtigen. Meine Vision angesichts des 500-Jahr-Jubiläums ist, dass wir es wagen, die Zukunft zu kosten, die Gott seiner Schöpfung und uns allen anbietet – „ein einzig Brot, eine einzige Menschheit“.

„O du, der du unseren Gebeten Antwort gabst, ein Brot für unsern Hunger,
hilf uns nun, denen deine Antwort zu sein, denen es an jenem mangelt, 
was uns in Überfluss zu eigen ist.
Hilf uns, den Ruf zu hören, den du vernahmst,
die Not zu verstehen, die du begriffen,
der Menschheit zu dienen, für die du eintratst.
Offenbare uns deines Tisches Heimlichkeit -
ein einzig Brot, eine einzige Menschheit.

      Olov Hartman


Kerstin Wimmer ist Pfarrerin. 2011 war sie Residenten in der Geschäftsstelle der EKD „Luther 2017 – 500 Jahre Reformation“ in Wittenberg

Informationen

Autor:Kerstin Wimmer Datum:22-12-16
Schlagworte:
Martin Luther, Mehrsprachigkeit, Integration, Reformation, Polyfonie

Notizen aus der Einen Welt

Das Reformationsjubiläum ist kein nationales, deutsches oder gar lokal begrenztes Ereignis. Die Reformation ist durch die Jahrhunderte zur „Weltbürgerin“ geworden. In vielen Regionen und Ländern auf allen Kontinenten haben sich reformatorische Gedanken ausgebreitet und reformatorische Ideen dargestellt.