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Mit Pauken und Trompeten

Bachs Weihnachtsoratorium ist für Mitwirkende und Zuhörer ein Höhepunkt in der Adventszeit 

„Jauchzet, frohlocket!“ – das populäre Werk wird längst nicht mehr nur vom Thomanerchor gesungen (Archivbild: epd-bild)

Gute Sitzplätze sind wie ein Lottogewinn: Über die Tickets für Bachs Weihnachtsoratorium am Ort seiner Uraufführung entscheidet das Los. Doch das populärste Werk des Thomaskantors erklingt längst nicht mehr nur in der Leipziger Thomaskirche.

Fester Bestandteil des Weihnachtsfestes 

Die fünf Paukenschläge gehören zu den bekanntesten Takten in der Musikgeschichte. Wie das Signal zu einer höfischen Zeremonie kündigen sie Außergewöhnliches an. Gleichzeitig fordern sie Aufmerksamkeit. Nach einem zweiten Paukensignal führen die Trompeten mit dem gesamten Orchester in großen Melodiebögen hin zum Chor, der sich mit einer unmissverständlichen Aufforderung an die Zuhörer richtet: „Jauchzet, frohlocket!“

Wie eine große Festmusik beginnt das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach (1685-1750), das 1734 zum ersten Mal in der Leipziger Thomaskirche und in der Nikolaikirche erklang. Berichte über die Erstaufführung sind nicht überliefert, wie Peter Wollny erzählt, Leiter des Leipziger Bach-Archivs. „Ich glaube aber, dass die Zuhörer spürten: Hier passiert etwas ganz Neues“, sagte er in einem Interview.

Bach, so beschreibt es Wollny, „suchte nach neuen Herausforderungen, wagte mehr und schrieb modernere Melodien“. Für viele gehört das Oratorium heute zur Weihnachtszeit wie Kerzen und Lebkuchen, in zahlreichen Kirchen zwischen Flensburg und Freiburg, zwischen Aachen und Frankfurt an der Oder führen Musiker das Werk auf. Wer ein Konzert in der Leipziger Thomaskirche besuchen möchte, muss Glück haben: Die Karten gibt es nur an einem ganz bestimmten Tag im August. Wegen der anhaltend großen Nachfrage werden sie verlost.

Denkmal Johann Sebastian Bach
Denkmal für den Komponisten Johann Sebastian Bach vor der Thomaskirche in Leipzig (Bild:
© epd-bild / Andreas Pöge)

„Jauchzet, frohlocket!“

Als Bach das Weihnachtsoratorium komponierte, war er seit elf Jahren Thomaskantor. Er bekleidete damit eines der bis heute höchsten Ämter in der protestantischen Kirchenmusik. Musikalisch war der aus Thüringen stammende Musiker in der stolzen Bürgerstadt Leipzig längst etabliert: Für anspruchsvolle Kirchenmusik mit den Thomanern komponierte er immer neue Kantaten, mit dem Collegium musicum gab er Konzerte in Zimmermanns Kaffeehaus, zudem komponierte er neben Instrumentalmusik weltliche Kantaten zu verschiedenen Anlässen.

Für das Weihnachtsoratorium übernahm er als Eingangschor den Anfang einer Huldigungskantate. Den ursprünglichen Text „Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!“ ersetzte er durch „Jauchzet, frohlocket!“, so dass der Glückwunsch für die sächsische Kurfürstin Maria Josepha kurzerhand zu einer Huldigungsmusik für Jesus wurde: Nach barockem Weltverständnis war er einem Fürsten ebenbürtig.

Der festliche Auftakt eröffnet einen Zyklus aus sechs Kirchenkantaten für Chor und Orchester, der mittlerweile zum wohl bekanntesten und beliebtesten Werk unter Bachs vielen geistlichen Kompositionen geworden ist. Für zahllose Kantoreien, Kirchenchöre und Orchestermusiker und ihre Zuhörer setzt das Oratorium seit Generationen einen besonderen Höhepunkt. Die Mitwirkenden erleben schon Wochen vorweg in den Proben etwas von dieser Weihnachtsfreude.

Die insgesamt sechs Kirchenkantaten waren ursprünglich einzeln als musikalisches Hauptstück für die sechs Gottesdienste von Weihnachten bis Epiphanias bestimmt – also für die damals drei Weihnachtsfeiertage, den Neujahrstag und den Sonntag nach Neujahr sowie für den 6. Januar.

Thomaskirche in Leipzig
Die Thomaskirche in Leipzig (Bild: epd-bild)

Beispiel zeitlos moderner Musik

Bach erwies sich mit seinem Weihnachtsoratorium als Künstler auf der Höhe seiner Zeit. Mit strahlenden Chören, anrührenden Arien und schlichten Chorälen setzte er einen Höhepunkt zur musikalischen Ausdeutung von biblischen Stoffen, wie sie spätestens seit dem Ende des 17. Jahrhundert auch in Deutschland in Mode gekommen war – zum Leidwesen allerdings von vielen Kirchenfürsten, die gegen das „Opernhafte“ in der Kirche polemisierten. Gleichwohl setzte sich das Neue durch.

Wie so vieles in der geistlichen Chormusik kam auch das Oratorium aus Italien. Die Bezeichnung geht zurück auf den Oratorium genannten Betsaal in Klöstern, in denen erstmals solche Werke aufgeführt worden sind. In Deutschland gab insbesondere Dietrich Buxtehude (1637-1707) wichtige Impulse. Seine „Abendmusiken“ in der Lübecker Marienkirche begründeten in Deutschland die Geschichte öffentlicher geistlicher Konzerte.

Zu Buxtehudes Zuhörern gehörte gelegentlich auch der junge Bach. Möglicherweise saß er dort als 20-Jähriger bisweilen selbst im Orchester. Denn er war aus dem thüringischen Arnstadt über 400 Kilometer zu Fuß in den Norden gepilgert, um bei dem verehrten Organisten in die Lehre zu gehen. Weil er dafür seinen Urlaub eigenmächtig auf drei Monate verlängerte, war Ärger mit den kirchlichen Dienstherren in Thüringen  vorprogrammiert.

Doch Bach ließ es darauf ankommen: Die musikalischen Eindrücke konnte ihm niemand nehmen. Sie waren bleibend und prägend – für seine späteren Anstellungen als Organist und Hofmusiker ebenso wie für die 27 Jahre in Leipzig. Das Weihnachtsoratorium ist dafür ein geradezu zeitlos modernes Beispiel.

Informationen

Autor:Thomas Bickelhaupt Quelle:epd Datum:03-12-15
Schlagworte:
Musik, Johann Sebastian Bach, Thomaskirche, Thomanerchor, Weihnachtsoratorium, Leipzig

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