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„Luther und die Avantgarde“ zeigt Kunst im Gefängnis

Olya Kroytor mit „The Fulcrum“ vor dem Alten Gefängnis in Wittenberg. (Bild: epd-bild/Jens Schlüter)

Künstler von internationalem Rang wie Markus Lüpertz, Richard Jackson und Ai Weiwei zeigen im Alten Gefängnis in Wittenberg ab diesem Freitag (19. Mai) Werke, die sich auf Ideen der Reformation beziehen. An der Ausstellung „Luther und die Avantgarde“, die bis zum 17. September zu sehen ist, beteiligten sich 66 Maler, Bilderhauer und Konzeptkünstler, die teils ganze Zellen neu gestalteten. Sie hätten „diesen Negativort verwandelt und die kargen feuchten Zellen, an denen Schicksale stattgefunden haben, zu einem Ort der Kunst gemacht, an den man gerne geht“, sagte Ausstellungsmacher Walter Smerling.

Zur Annäherung gehören Themen wie Freiheit, Widerstand und Anpassung. Bereits auf dem Weg zum Alten Gefängnis in der Altstadt fallen Litfaßsäulen auf. Darauf sind Verschmelzungen jugendlicher Körper mit Fotos bekannter Menschen zu sehen: Rosa Luxemburg, Simone de Beauvoir, Oskar Schindler. Die Namen stehen aus der Perspektive junger Menschen, die Johanna Reich zu ihren Vorbildern befragt hat, für „Resistance“ (Widerstand).

Vor dem Hofportal zum Gefängnis dann eine lebendige Frau in Schwarz auf einem schwindelnd hohen Pfeiler aus Holz: Ein Versuch der Russin Olya Kroytor, Stabilitätssuche in einer sich stets wandelnden Wirklichkeit auszudrücken, wie es auf einer Erklärtafel heißt.

Luther als soziokultureller Avantgardist

Martin Luther sei im 16. Jahrhundert in soziokultureller Hinsicht ein Avantgardist gewesen, sagte Smerling. Der Mönch und Reformator habe Wesentliches verändert, eine Vorreiterrolle eingenommen. Die Ausstellung am Ausgangsort der Reformationsbewegung von 1517 frage danach, wer 2017 die Menschen sind, die vorausgehen. Smerlings Kollegin Susanne Kleine von der Bundeskunsthalle in Bonn lobte „das große und wunderbare Angebot der Künstler, Themen wie Innovation, Digitalisierung oder Reformation unter neuen Aspekten zu durchdenken“.

Auch Künstler ohne religiösen Hintergrund hätten sich von Luthers Gedanken zur individuellen Freiheit oder zu herrschenden Machtsystemen beeindruckt gezeigt und „unterschiedliche Herangehensweisen an Probleme gefunden, die uns alle angehen“, sagte die Kunsthistorikerin Dan Xu, die als Kuratorin unter anderem die Künstler aus dem asiatischen Raum begleitete.

„Eiferer“ des zum Katholizismus konvertierten Künstlers Markus Lüpertz. (Bild: epd-bild/Jens Schlüter)

Luther war kein Bilderstürmer

Im Gegensatz zu den Schweizer Reformatoren Johannes Calvin und Huldrych Zwingli war Luther kein Bilderstürmer. Lehnten die Schweizer Bilder grundsätzlich als nahezu götzenhaft ab, positionierte sich der Wittenberger Reformator nahezu liberal: „Die Bilder sind weder das eine noch das andere, sie sind weder gut noch böse, man kann sie haben oder nicht haben“, predigte Luther 1522. Mit diesem „Freibrief“ habe die Moderne begonnen, meinte der österreichische Kunsthistoriker Werner Hofmann (1928–2013).

Hofmann hatte zum 500. Luthergeburtstag die Ausstellung „Luther und die Folgen für die Kunst“ in Hamburg kuratiert und intensiv zum Thema geforscht. Für Luther lag das Problem nicht in den Bildern an sich, sondern in der Vorstellung, sich durch Stiftung und Verehrung von Heiligenbildern von Höllenstrafen im Jenseits freikaufen zu können. Daher wollte er den Kult auch nicht durch Bilderstürmerei bekämpfen, sondern den Betrachter frei entscheiden lassen: Er sollte das Bild nicht anstaunen und verehren, sondern kritisch befragen.

So habe Luther – nach Hofmanns These – den Grund für das Kunstverständnis der Moderne gelegt. In Folge der lutherischen Lehren befreite sich die Kunst vom kirchlichen Bedeutungsraum und erschloss sich neue Themen. Der im Februar gestorbene Schweizer Pfarrer und Dichter Kurt Marti sprach von der „Befreiung der Künste zur Profanität“. So betrachtet, ist 2017 nicht nur das 500. Reformationsjubiläum zu feiern, sondern auch „500 Jahre freie Kunst“, wie der Kunsthistoriker Hans Belting in seinem Buch „Bild und Kult“ (1990) feststellt. Dementsprechend setzen sich in der Wittenberger Ausstellung namhafte Gegenwartskünstler mit Luther auseinander.

Gestaltung der Ausstellungsräume seit März

Im März hatte die künstlerische Gestaltung der Ausstellungsräume begonnen. Den ersten Pinselstrich machte noch am selben Tag der deutsche bildende Künstler und Atheist Jörg Herold. In seine hellblau gefärbte Zelle ritzte er die „99 schönsten Namen Allahs“, um seinen Wunsch nach Erkenntnisgewinn auszudrücken. Der zum Katholizismus konvertierte Markus Lüpertz zeigte sich fasziniert von der Ambivalenz und Vielschichtigkeit Luthers und präsentiert einen einarmigen, nur mit einer Kapuze bekleideten Mann mit Buch.

 

Mosaik von Achim Mohné. Die Steinplatten bilden ein Porträt des Whistleblowers Edward Snowden. (Bild: epd-bild/Jens Schlüter)

Auch auf dem Terrain um das Gefängnis herum sind Installationen zu entdecken, wie ein Mosaik aus verschiedenfarbigen Steinplatten von Achim Mohné: Von oben sollen Satellitensysteme und somit die Navigationssysteme im Internet das verpixelte Bild des amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden aufnehmen.

Die meisten Arbeiten eigens für die Ausstellung geschaffen

Der Großteil der Arbeiten von Meistern wie Ai Weiwei, Richard Jackson, Isa Genzken, Stephan Balkenhol, Ayse Erkmen, Erwin Wurm oder Ilya und Emilia Kabakov ist eigens für den Ort und Zweck geschaffen worden. Das Alte Gefängnis aus dem Jahr 1900 wurde dazu nach einigen Jahrzehnten des Leerstandes saniert. „Alle Werke, die wir hier präsentieren, haben in diesen Zellen eine ganz andere Intensität und Dimension als in üblichen Ausstellungsräumen“, sagte der Kurator.

Im Beitrag des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, für den Katalog heißt es: „Die revolutionäre Chance der Kunst liegt in ihrer Möglichkeit, anders zu sein. Sie kann Mauern öffnen, indem sie mit unseren Sehgewohnheiten bricht.“

„Luther und die Avantgarde“ ist Teil der Wittenberger Weltausstellung zum 500. Reformationsjubiläum. Im Sommer 2017 ist die Schau eine von vier Attraktionen, die an allen Wochentagen geöffnet ist. Zwei Außenstellen in der Berliner Matthäus-Kirche und der Karlskirche in Kassel sind ebenfalls Teil des Projektes. Die EKD ermöglichte die Ausstellung finanziell.

Informationen

Autor:Christina Özlem Geisler/luther2017.de Quelle:epd Datum:19-05-17
Schlagworte:
Ausstellung, Kunst, Luther, Gegenwartskünstler, Wittenberg

Info

„Luther und die Avantgarde“

19. Mai bis 17. September 2017

Altes Gefängnis, Wittenberg
Berliner Straße / Ecke Lucas-Cranach-Str.
Montag bis Sonntag, 10 bis 19 Uhr
Eintritt 7,- € (5,- € ermäßigt)
Tickets in Kombination mit der Weltausstellung Reformation erhältlich

St. Matthäus-Kirche, Berlin
Matthäikirchplatz 1, 10785 Berlin
Dienstag bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr
Eintritt frei

Karlskirche, Kassel
Karlsplatz, 34117 Kassel
Montag bis Samstag, 10 bis 20 Uhr
Sonntag nach Gottesdienst bis 20 Uhr
Eintritt frei

www.luther-und-die-avantgarde.de

Luther und die Avantgarde

Die Ausstellung „Luther und die Avantgarde“ schlägt einen Bogen vom Avantgardisten Luther zu Gegenwartskünstlern, die sich im früheren Gefängnis in Wittenberg, in Kassel und Berlin mit dem Thema Freiheit auseinandersetzen.