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Ein Rauschzeichen für die Reformation

Ralf Theunert kurbelt die Antenne am Clubhaus nach oben. (Bild: epd-bild/Christina Özlem Geisler)

Im Jahr 2017 tweeten oder posten die meisten Menschen ihre Gedanken zum Beginn der Reformation vor 500 Jahren. Eine Gruppe Wittenberger nutzt einen Kanal, der aus der Zeit gefallen scheint – und erreicht damit tausende Interessierte weltweit.

Wenn Ralf Theunert den Mast nach ganz oben gekurbelt hat und am Frequenzrädchen dreht, ertönt ein Mix aus All-Musik und Science-Fiction-Sound. Blechern und verzerrt ist in dem Fiepen und Rauschen auf einmal eine Stimme zu vernehmen. Nachdem die Antenne Richtung Norden zeigt, könnten das Russen sein, meint Theunert. Bei denen ist es um die Abendzeit recht voll auf dieser Frequenz. „Delta-Romeo-1-5-1-7-Lima-Uniform“, buchstabiert der 35-jährige Arzt in das Funkgerät. Es ist das Sonderrufzeichen der Wittenberger zum 500. Reformationsjubiläum.

Karten als Beleg für Kontakte

„Funken ist was für Physikbegeisterte und Bastler“, sagt Theunert: „Ein Ansporn ist, mit wenig technischer Ausstattung viele Menschen zu erreichen.“ Seit seinen Jugendjahren ist er bei den Radioamateuren der Lutherstadt dabei und heute ihr Vorsitzender. Neben dem Interesse an Frequenzbereichen und Dezibelzahlen gebe es aber auch einen sportlichen Anreiz: Jeder Kontakt zwischen zwei Funkern wird dokumentiert. Als Bestätigung, dass sie miteinander in Verbindung getreten sind, lassen sie sich gegenseitig eine Karte mit ihrem persönlichen Rufzeichen zukommen, auf der Uhrzeit, Datum und Frequenz des Kontakts festgehalten sind.

Sammelkarte zum 450. Reformationsjubiläum, die 1967 von Funkamateuren aus Wittenberg verschickt wurde. Jeder Kontakt zwischen zwei Funkern wird per Karte dokumentiert. (Bild: epd-bild/Christina Özlem Geisler)

„Es ist wie beim Fischen“, sagt Dietmar Falkenberg. „Ich werfe meine Angel ins Wasser und schaue, ob jemand anbeißt.“ Falkenberg ist einer der ältesten Wittenberger Funkamateure und hat schon mehrere Alben mit Sammelkarten voll. Unter ihnen ist auch die, die er und seine Funkerfreunde zum 450. Reformationsjubiläum 1967 versendet haben. Darauf heißt es: „Die Deutsche Demokratische Republik ist die Erbin und Wahrerin der progressiven, humanistischen und revolutionären Tradition des deutschen Volkes. Wir begehen den 450. Jahrestag im Gedenken an den Kampf des Volkes für Fortschritt und Freiheit.“

5000 Karten vom Reformationsjubiläum schon verschickt 

Bestätigungskarten von solchen Ereignissen seien besonders gefragt, erzählt Falkenberg. Auf einer Internetseite finden „Jäger“ Hinweise darauf, wann und wo sie ein bestimmtes Rufzeichen vernehmen können. Mehr als 5000 Karten mit der Lutherrose und dem Kürzel „DR1517LU“ darauf haben die Wittenberger seit Jahresbeginn nun schon um die Welt geschickt.

Günther Dähne kennt man unter dem Rufzeichen DL3HXD. Er ist Mitglied der evangelischen Stadtkirchengemeinde Sankt Marien, in der der Reformator Martin Luther mehr als 2000 Mal gepredigt hat. „Manchmal entwickeln sich im Funk Gespräche über die Reformation und Menschen bekommen Lust, unsere Stadt zu besuchen“, sagt Dähne.

Ralf Theunert am Funkgeraet im Wittenberger Clubhaus. Seit seiner Jugend ist der 35-jährige Arzt bei den Radioamateuren der Lutherstadt dabei. (Bild: epd-bild/Christina Özlem Geisler)

Ein paar Häuser von der berühmten Thesentür entfernt gebe es für die Zielgruppe auch noch etwas Spannendes zu entdecken: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist hier Wilhelm Eduard Weber geboren – der Erfinder der elektromagnetischen Telegraphie, die Funker bis heute zur Kommunikation nutzen. Das Schönste am Funken aber sei, sagt Dähne, in einem Handumdrehen über alle Grenzen hinweg kommunizieren zu können. „In der DDR bedeutete die Funkerei für uns Freiheit“, erzählt er. Zwar hätten die Funker sehr wohl technischen und inhaltlichen Einschränkungen unterstanden, „aber man war trotzdem mit vielen Menschen auf der Welt verbunden“.

Rund 80 000 Funklizenzen in Deutschland vergeben

Etwa 80 000 Lizenzen sind nach Angaben der Bundesnetzagentur in Deutschland vergeben, Wittenberg zählt 18. Rund die Hälfte der Funker aus der Bundesrepublik ist im Deutschen Amateur-Radio-Club Bundesverband (DARC) organisiert. Als die Weltausstellung Reformation am 20. Mai in Wittenberg eröffnete, präsentierten sich die Funkamateure mit einem Stand, machten Fotos mit Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und der Reformationsbotschafterin sowie DARC-Schirmherrin Margot Käßmann. Am letzten Tag des Bundeslagers Christlicher Pfadfinder am Rand Wittenbergs richteten sie ihren zehn Meter hohen Funkmast auch dort auf. Die weiteste Verbindung dabei sei mit einem niederländischen Funker aus der Nähe Rotterdams zustande gekommen, erzählen sie hinterher.

Im Sommer 2018 wird der Reformations-Hype vermutlich vorbei sein, aber dann steht den Radioamateuren ein anderer Höhepunkt bevor: die Weltmeisterschaft aller Funkamateure, die nur alle vier Jahre ausgetragen wird. „Nach Städten wie San Francisco, Moskau und Boston ist es eine schöne Sache, dass sie den Weg in die Region Wittenberg findet“, sagt Theunert.

Informationen

Autor:Christina Özlem Geisler Quelle:epd Datum:28-08-17
Schlagworte:
Reformationsjubiläum, Amateurfunk, Wittenberg, Reformation, Radioamateure

Lutherstadt Wittenberg

Auch wenn der Thesenanschlag historisch nicht sicher belegt ist, knüpft sich an dieses Bild der Ruf Wittenbergs.

Der Reformationssommer in Lutherstadt Wittenberg

Sie soll das größte europäische Event zum 500. Reformationsjubiläum werden: Die „Weltausstellung Reformation“ in Wittenberg mit ihren mehr als 2000 Veranstaltungen.