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Die Sache mit dem Tintenfleck Wartburg ist der meistbesuchte Ort der Reformationsgeschichte

Seit 1999 ist die Wartburg UNESCO-Welterbe. Für ihre Geschichte stehen die Heilige Elisabeth, der Sängerkrieg, das Treffen der Studenten 1817 – und Martin Luther. 1521/22 übersetzte er auf der Burg das Neue Testament ins Deutsche.

Wartburg in Eisenach
Die Wartburg in Eisenach (Bild: Jens-Ulrich Koch / epd-bild)

Auf der Wartburg ist Thüringen am thüringischsten, ergab eine repräsentative Umfrage. Das muss auch so sein. Wohl jedes Landeskind ist schon auf einem Schulausflug zum Burgtor hinaufgekraxelt, später mit der Familie, Kindern oder Enkeln. Manche ritten auch auf den berühmten Eseln. Noch als Rentner wissen die meisten, wie ihr Grautier hieß. Fast ebenso viele erzählen vom Tintenfleck in der Lutherstube, den sie – ganz bestimmt – noch als Kind gesehen hätten.

Als Junker Jörg auf der Wartburg

Es ist dies die berühmteste Geschichte der an Historie wirklich reichen Burg. Sie geht auf Martin Luther zurück, der 1521/22 ein knappes Jahr auf der Burg verbringen musste. Nach dem Reichstag in Worms war er vogelfrei, ihm drohte der Tod. Sein Landesvater Friedrich der Weise ließ ihn auf der Rückreise nach Wittenberg zum Schein entführen. Die Täuschung gelang. Die Deutschen wähnten den Reformator tot. Albrecht Dürer barmte: Was hätte dieser Luther uns noch alles schreiben können?

Der Totgesagte saß indes seit dem 4. Mai 1521 auf der Wartburg und nannte sich Junker Jörg. Er ließ sich eine Mönchs-Tonsur zuwachsen und einen Bart stehen. Nach Weihnachten begann er mit der Übersetzung des Neuen Testaments – vor allem aus dem griechischen Urtext – ins Deutsche. Das dauerte kein Vierteljahr, Anfang März war die Arbeit getan, Luther reiste nach Wittenberg ab. Seine erste deutsche Bibelausgabe erschien im Herbst 1522, das „Septembertestament“.

Es war nicht die erste Bibelübersetzung, doch wohl die folgenreichste. Der Reformator schenkte den Deutschen wie nebenbei eine gemeinsame Sprache. Die Bibel wurde zur Fibel. Die Übersetzung des Alten Testaments aus dem Hebräischen nahm Luther später zusammen mit einigen Mitstreitern in Angriff, 1534 erschien die erste Gesamtausgabe.

Auf der Wartburg
Auf der Wartburg hielt Friedrich der Weise von Sachsen Martin Luther als „Junker Jörg“ vom 4. Mai 1521 bis 1. März 1522 versteckt, um ihn vor den Folgen der Reichsacht zu schützen (Bild:
Jens-Ulrich Koch / epd-bild)

Protestantische Pilgerstätte

Die Wartburg geriert in Vergessenheit. 1817, genau 300 Jahre nach Luthers legendärem Thesenanschlag, holten Studenten mit ihrem Treffen der Burschenschaften die Burg aus ihrem Dornröschenschlaf. Da soll der Tintenfleck, der danach immer wieder aufgefrischt wurde, schon dagewesen sein.

Die Wartburg wurde zur protestantischen Pilgerstätte, inzwischen sind es etwa 350.000 Besucher jährlich. Natürlich wollen sie auch den spätromanischen Palas aus dem 12. Jahrhundert sehen, den Ort des sagenumwobenen Sängerkriegs. Viele interessieren sich auch für Elisabeth, einstige Burgherrin und heutige Schutzheilige Thüringens. Doch fast alle suchen den Weg hinüber in die Lutherstube.

Die ist karg eingerichtet: Kachelofen, Schreibtisch, ein Sessel und ein Hocker aus einem Walwirbel. Dazu ein Bild Luthers an der Wand und eine Bibel auf dem Tisch. Buch, Tisch und Sessel sind Repliken. Vom einstigen Tisch heißt es, Verehrer Luthers hätten ihn Span für Span abgetragen. Auch weil die Splitter gegen Zahnschmerzen helfen sollte. Irgendwann war vom Möbel nichts mehr übrig.

Zum Glück blieb die Wand, obwohl auch von ihr kleine Stücke des Putzes in die Taschen der Touristen wanderten. Dort war früher der Tintenfleck. Hinter dem Kachelofen soll der Teufel gehockt haben, nach dem Luther, so die Legende, sein Tintenfass warf. Doch die Erzählung hat einen wahren Kern: Der Reformator kämpfte mit der Schrift, mit der Tinte, gegen den falschen Glauben, gegen Satan, an.

Die Monate auf der Wartburg waren für ihn kein Spaß. Oft habe ihn der Teufel in seinen Erscheinungen geplagt, schrieb er später. So habe der Gehörnte eine ganze Nacht lang Walnüsse an die Decke geschnellt, erinnerte sich Luther.

Produktive Zeit Luthers

Doch er nutzte seine Zeit. Briefe und Manuskripte gingen nach Wittenberg oder trafen von dort ein. Er lerne Hebräisch und Griechisch, schrieb er an seinen Mitstreiter Georg Spalatin. Er verfasste eine Sammlung von Musterpredigten, die Wartburgpostille. Damit gab er aus Sicht des Chefs des Eisenacher Lutherhauses Aufbau und Klang einer typischen evangelischen Predigt vor. „In jedem Wort zum Sonntag steckt auch heute noch ein kleines bisschen Wartburg“, sagt Jochen Birkenmeier.

Schon jetzt ist die Wartburg der meistbesuchte Ort der Reformationsgeschichte weltweit, heißt es bei der Träger-Stiftung selbstbewusst. Nicht nur bei schönem Wetter sind die beiden Burghöfe voller Besucher.

2017 könnte der Andrang noch größer werden. Am 4. Mai öffnet – nach Berlin und vor Wittenberg – der zweite Teil der großen Nationalen Sonderausstellungen „Luther und die Deutschen“ auf der Wartburg.

Informationen

Autor:Dirk Löh Quelle:epd Datum:28-10-16
Schlagworte:
Wartburg, UNESCO-Welterbe, Martin Luther, Übersetzung Bibel, Junker Jörg

Wartburg Eisenach

Luthers Aufenthalt auf der trutzig oberhalb von Eisenach gelegenen Wartburg war nicht lang und nicht ganz freiwillig. Vom 4. Mai 1521 bis zum 1. März 1522 lebte Martin Luther dort in einer bescheidenen Zelle.

Vogelfrei und unerkannt auf der Wartburg

Auf der Wartburg in Eisenach verbrachte Martin Luther unfreiwillig ein knappes Jahr – inkognito als Junker Jörg.