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Die mit dem Luther tanzen In Mainz kommen die Ideen der Reformation als modernes Tanztheater auf die Bühne

Die Mainzer Christuskirche ist die Bühne für das Stück „Shift“. (Bild: epd-bild/Andrea Enderlein)

In die evangelische Mainzer Christuskirche sind für einige Wochen die Theaterleute eingezogen: Zum 500. Reformationsjubiläum übersetzt Star-Choreograph Rui Horta Luthers Ideen und Seelennöte in die Sprache des modernen Tanztheaters.

Die Mainzer Christuskirche ist zu einer Baustelle geworden, auf der viele die Orientierung verloren haben. Gestalten tasten in Bauplanen eingewickelt nach dem Ausgang, jemand anderes irrt mit verbundenem Gesicht scheinbar hilflos durch ein Wirrwarr aus Baugerüsten. Dazu Orgelmusik oder Elektroklänge und vorne, dicht an den Zuschauerreihen, immer wieder dramatische Kampfszenen. Wo normalerweise Sonntagsgottesdienste oder klassische Konzerte stattfinden, wird nun auf einer Bühne mit Hingabe gerungen - um das Seelenheil, Freiheit und wohl auch um die Wahrheit. Zum 500. Jahrestag der Reformation werden Martin Luthers Ideen zum Stoff für modernes Tanztheater.

Weniger als zwei Monate zum Einstudieren des Stücks

Weniger als zwei Monate Vorbereitungszeit hatte das „tanzmainz“-Ensemble des Mainzer Staatstheaters, um die Aufführung „Shift“ („Wandel“) einzustudieren. Das Projekt ist Ergebnis einer zwischen Theater und evangelischer Kirche beschlossenen Partnerschaft. Für die Inszenierung konnte der Choreograph Rui Horta gewonnen werden, der als Koryphäe der modernen Tanzkunst in Europa gilt. Die Premiere ist am 21. Januar.

Ende November traf der Portugiese mit einer Fülle von Ideen in der Landeshauptstadt ein. Der Gedanke, Luthers Reformation als Tanztheater zu inszenieren, habe ihn sofort begeistert: „Das war eine der wichtigsten Zeitenwenden in der Geschichte Europas.“ Die mit Mitteln des Bundes und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau geförderte Inszenierung ist ein durch und durch internationales Projekt. Die Tänzerinnen und Tänzer kommen aus der ganzen Welt, bei den Proben wird überwiegend Englisch gesprochen.

Probe zum Theaterstück „Shift“ in der Mainzer Christuskirche (Bild: epd-bild/Andrea Enderlein)

Keine Nacherzählung der damaligen Ereignisse

Eine Nacherzählung der damaligen Ereignisse ist „Shift“ natürlich nicht, stattdessen werden die Kernideen der Reformation auf eine abstrakte Ebene gehoben. Dennoch könnte man mit Fug und Recht einen der Tänzer mit der Person Martin Luther identifizieren. „Es gibt Szenen zum Konflikt zwischen Rationalem und Irrationalem“, erzählt „tanzmainz“-Direktor Honne Dohrmann. Der Auftakt, bei dem die Tänzer zu getragener Cello-Musik geradezu animalisch übereinander herfallen, symbolisiere Chaos und Verzweiflung: „Durch das ganze Stück zieht sich der Gedanke, Klarheit zu schaffen.“ Und tatsächlich hinterlässt das Tanzensemble am Ende einer atemberaubenden Stunde eine aufgeräumte Kirchenbaustelle.

Mit einem modernen Theaterprojekt in einer historischen protestantischen Kirche begibt sich auch das internationale Team von „tanzmainz“ auf Neuland. „Das Theater ist ein relativ neutraler Ort“, sagt Dohrmann. „Die Kirche hat eine Geschichte, ihr Raum ist das Bühnenbild.“ Auch die Erwartungen des Publikums seien unterschiedlich, je nachdem, ob sie eine Kirche oder ein Theater besuchen. Wie das Stammpublikum von „tanzmainz“ auf die Kirche und die Stammbesucher kirchlicher Veranstaltungen auf die Inszenierung reagieren, sei auch für ihn eine spannende Frage.

„Ich bin darauf vorbereitet, dass das Stück ganz unterschiedliche Reaktionen hervorrufen kann, aus inhaltlichen, aber auch aus ästhetischen Gründen“, sagt Dohrmann. Die Reformation ist für den Ensemble-Chef eine Metapher dafür, dass „wir mit dem Erneuerungsprozess nie fertig sind“.

Am Ende bleibt es den Zuschauern selbst überlassen, ob auch sie sich auf Luthers Weg begeben und ihre persönliche innere Reformation antreten. Bis auf eine Ausnahme hat sich das Ensemble bereits von der Bühne zurückgezogen. Das Licht ist fast erloschen, als dieser letzte Tänzer mit Erleichterung im Gesicht seine Schuhe aufschnürt und sie in einen Scheinwerferkegel an den Bühnenrand stellt - zum Greifen nahe für das Publikum.

Informationen

Autor:Karsten Packelser Quelle:epd Datum:19-01-17
Schlagworte:
Reformationsjubiläum, Theater, Tanz, Martin Luther

weiterführende Informationen

„Shift“

Christuskirche

Kaiserstraße 56

55116 Mainz