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Zwischen Spielzeug-Luther und Judenfeindlichkeit – Die EKD-Synode diskutiert über das Verhältnis von Staat und Kirche

Vor dem 500. Reformationsjubiläum im Jahr 2017 stehen auf der evangelischen Synode in Bremen zwei Themen im Mittelpunkt: Die Christen sollen sich in die Welt einmischen – und eine klare Position zum Antijudaismus von Martin Luther finden.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, bei der in Bremen tagenden EKD-Synode. (Bild: epd-bild)

Wenn die Synodalen zu ihren Sitzungen streben, kommen sie im Foyer des Kongresszentrums in Bremen an einer Lutherfigur vorbei. Eine farbige Figur aus Plastik, nicht ganz lebensgroß, mit einer Schreibfeder und einer Bibel in den Händen. In Spielzeuggröße gibt es den Playmobil-Luther seit einigen Monaten zu kaufen.

Die Kooperation mit einem Spielzeug-Konzern hat das Reformationsjubiläum 2017 auf viele Zeitungs- und Internetseiten und damit in die Öffentlichkeit gebracht. Der spielerische Zugang kann ein kleiner Beitrag zum Schwerpunkthema der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sein, das die 120 Mitglieder des Kirchenparlaments am Montag beschäftigte: „Reformationsjubiläum 2017 – Christlicher Glaube in offener Gesellschaft“.

Spagat schaffen

Für die Protestanten geht es darum, den Spagat zu schaffen zwischen touristischer Attraktion und theologischer Reflexion, zwischen Feiern und Gedenken. Sie wollen mit dem Jubiläum „noch mehr Menschen ansprechen als bisher“ und diskutieren, welche Einsichten die Reformation bietet, um eine Gesellschaft zu gestalten, die „heute so plural und individualisiert, so globalisiert und kommunikativ beschleunigt ist wie nie zuvor“, hatte Präses Irmgard Schwaetzer als Vorsitzende der Synode zuvor angekündigt.

Rüdiger Sachau, Direktor der Evangelischen Akademie zu Berlin, drückte es am Montag so aus: Es gehe darum, zu begründen, „warum es richtig ist, dass wir uns als Christen in die Gesellschaft einbringen“. Und so ist der Titel der sogenannten Kundgebung, die ein Ausschuss um Sachau vorbereitet hat, programmatisch zu verstehen: „Frei und engagiert“.

Leitbild für die Kundgebung sei „das von Martin Luther geprägte Verhältnis von Freiheit und Verantwortung“, sagte der Theologe Sachau. Und so heißt es im Text: „Der Protestantismus versteht den christlichen Glauben als Religion der Freiheit, einer Freiheit zur eigenen Erkenntnis und zum Dienst am Mitmenschen.“ Eine Trennung zwischen Glaube und Welt könne es nicht geben, sagte Sachau. Christen „sind und bleiben Kinder dieser Welt“, sollten aber auch keine Verchristlichung der Welt anstreben.

Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio hielt am Montag (09.11.2015) bei der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Bremen einen Vortrag. (Bild: epd-bild)

Verhältnis von Staat und Kirche

Hinter der Frage der Synodalen, was der Glaube in der offenen Gesellschaft ausrichten kann, steht die Frage nach dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche. Dass der Einfluss des Kirchenreformators Martin Luther bis in den heutigen deutschen Verfassungsstaat reicht, hatte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio zuvor deutlich gemacht. Die „Dialektik der Neuzeit“ habe sich aus dem Geist der Reformation entwickelt.

„Dass Luther den Respekt vor der Obrigkeit predigte, während er den Ungehorsam gegenüber Rom erklärte, ist nur aus diesem Ansatz seiner Zwei-Reiche-Lehre zu erklären“, sagte der Katholik Di Fabio, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates, der das Kuratorium zur Vorbereitung des Reformationsjubiläums in allen wissenschaftlichen Fragen berät. Als Konsequenz ermunterte auch Di Fabio die Synodalen, sich einzumischen. „Lassen wir den Staat nicht allein“, rief er ihnen zu. Die Gläubigen seien keine politischen Akteure, „aber sie irritieren den Prozess“.

Als Abgrenzung und Protest zu Luthers Antisemitismus hat Friedrich Kramer (Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg), dem Standbild von Martin Luther am Montag (9. November 2015) in Wittenberg eine gelbe Augenbinde angelegt. (Bild: epd-bild)

Mit den Schattenseiten des Reformators beschäftigen

Doch ein Blick allein in die Zukunft reicht nicht aus. Das Präsidium legte den Synodalen deshalb einen zweiten Text vor: Martin Luther und die Juden. Dass sich die Kirche mit den Schattenseiten des Reformators beschäftigt, ist nach Ansicht der EKD-Reformationsbotschafterin Margot Käßmann überfällig. Jahrzehntelang sei der Antijudaismus des Reformators in der evangelischen Kirche kein Thema gewesen, sagte sie. Aus ihrer Sicht müsse eine Linie gezogen werden von Luthers Judenfeindschaft bis zum Versagen der evangelischen Kirche in der Zeit des Holocaust.

Das Präsidium hat es etwas anders ausgedrückt: Auch wenn sich keine einfachen Kontinuitätslinien ziehen ließen, „konnte Luther im 19. und 20. Jahrhundert als Kronzeuge für theologischen und kirchlichen Antijudaismus sowie politischen Antisemitismus in Anspruch genommen werden“ heißt es dort. 

Am Mittwoch (10.11.15) wollen die Synodalen über beide Texte abstimmen, über die negativen Auswirkungen des Antijudaismus ebenso wie über den Aufruf, sich als Christ in die Welt einzumischen. So können sie deutlich machen, dass das Reformationsjubiläum eben doch mehr ist als ein Spielzeug-Luther.

Informationen

Autor:Wiebke Rannenberg Quelle:epd Datum:09-11-15
Schlagworte:
EKD, Synode, Reformationsjubiläum, Martin Luther, Antijudaismus,

Reformationsjubiläum erinnert an Wurzeln der Gesellschaft

„Die Reformation hat eine gewaltige Signatur hinterlassen“, erklärte der frühere Verfassungsrichter und Vorsitzender des Beirats, Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio, im voll besetzten Senatssaal der altehrwürdigen Humboldt-Universität.

Martin Luther und die Juden

Vor dem Reformationsjubiläum kommen auch die Schattenseiten des Reformators Martin Luther in den Blick.