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Die Eine Welt sind Wir!

Gemeinsam evangelisch 

Eine Welt
(Bild: Ben_Kerckx/pixabay)

Sonntagmorgen in Deutschland: Die Menschen strömen zu ihren Gottesdiensten. Den ganzen Herrentag lang findet sich landauf, landab alles, was das gläubige Herz begehrt. Bis in den frühen Abend hinein reihen sich Lobpreis und Gerichtspredigt aneinander, Ringelreihen und Bibelstunde wechseln sich ab, Orgelklang und heiße Rhythmen erklingen. Die Kirchen und Gemeindesäle sind voll, aber auch stillgelegte Fabrikhallen und Vereinsheime werden rege frequentiert.

Die Eine Welt ist da

Ja, Deutschland ist ein christlich geprägtes Land – dank seiner Einwandererinnen und Einwanderer! Nicht erst seit 2007, als die Politik endlich einsah, dass Zuwanderung gestaltet werden will und muss. Nein, schon viele Jahrzehnte lang lassen sich Christinnen und Christen aus der „Einen Welt“ hier nieder, werden Teil dieses Landes, zahlen Steuern, engagieren sich ehrenamtlich im Gemeinwesen, und manche nehmen die Staatsbürgerschaft an. Sie kommen als Flüchtlinge, Einwanderer/innen und „Expatriates“, suchen Schutz oder Arbeit und bringen nicht nur ihre ganz eigenen Geschichten und ihren Überlebenswillen mit, sondern auch Tatkraft und Kreativität – und natürlich ihren Glauben.

Die kirchliche Landschaft ist also über die Jahrzehnte bunter geworden. Neben den stark verbreiteten protestantischen Konfessionen und der römisch-katholischen Kirche sind Geschwister aus allen möglichen Strömungen des weltweiten Christentums in Deutschland heimisch geworden. Besonders in urbanen Ballungsräumen des Ruhr- oder Rhein-Main-Gebietes finden sich Communitys jeglicher Couleur, aber auch in Ostfriesland und im Schwarzwald feiern die im EKDJargon so genannten „Gemeinden anderer Sprache und Herkunft“ ihr vielfältiges Glaubensleben.

Die „Eine Welt“ ist da. Sie steht nicht nur vor der (Kirchen-)Tür, sondern ist schon längst hereingekommen. Viele der Gemeinden sind bei Ortskirchengemeinden zu Gast, mieten Räume für Gottesdienste und Gemeindeveranstaltungen. Mancherorts hat sich aus dem anfänglichen Mietverhältnis eine enge Zusammenarbeit entwickelt. Wenn etwa in Bremen junge Leute aus der örtlichen Kirchengemeinde und einer nigerianischen Gemeinde zusammensitzen und sich  gemeinsam auf die Konfirmation vorbereiten, ist das ein Meilenstein auf dem Weg zu einem geschwisterlichen Miteinander. Da bekommt das politische Engagement für ein inklusives Zusammenleben eine ökumenische Dimension. Denn „Geschwisterlichkeit“ ist nur die kirchliche Übersetzung von „Integration“, welche die verfassten Kirchen in der Gesellschaft nicht erst mit der Interkulturellen Woche seit Jahrzehnten immer wieder fordern.

Miteinander auf Augenhöhe

Und so hat auch die vom Rat der EKD eingesetzte Ad-hoc-Kommission zur Arbeit mit Gemeinden anderer Sprache und Herkunft jüngst eine „Geschwisterlichkeit auf Augenhöhe“ zum Paradigma für den zukünftigen Umgang mit solchen Migrantenkirchen erhoben. Die „Eine Welt“ ist da. Das ist schön, macht aber Arbeit. Denn das bunte Nebeneinander der christlichen Traditionen wirft auch Fragen auf: Wie können wir Geschwister auf Augenhöhe werden, wenn die materiellen Ausstattungen oft so unterschiedlich sind? Wer entscheidet eigentlich, was „evangelisch“ ist, was im weiteren Sinne als reformatorisch bezeichnet werden kann und was im ökumenischen Dialog nicht verhandelbar ist? Wie lässt sich ein Diskurs gestalten, der davon ausgeht, dass bei allen Beteiligten das theologische Denken und Glauben kulturell bedingt ist?

Denn die Art, wie Christinnen und Christen die Heilige Schrift lesen und verstehen, ist ebenso auf den kultur- und geistesgeschichtlichen Kontext bezogen wie das Weltbild, in dem sich ihr Glaube manifestiert. Nicht erst, wenn in manchen (nicht nur neo-pentekostalen) westafrikanischen Gemeinden mit gezielten Flüchen „spiritual warfare“ betrieben wird, zeigen sich die Herausforderungen, vor die uns die christliche Vielfalt der „Einen Welt“ in Deutschland stellt.

All diese Fragen verdienen es, dass wir uns ihnen stellen. Denn, so wie das eben ist mit Geschwistern: Wir können sie uns nicht aussuchen. Die Familie Gottes ist groß – so groß wie die „Eine Welt“.


Thorsten Leisser, Oberkirchenrat, ist Theologischer Referent für Menschenrechte und Migration im Kirchenamt der EKD. 

Der Text ist erschienen im EKD-Magazin „Reformation und die Eine Welt“. Das Magazin (DIN A 4) gibt es als PDF-Download oder kostenlos beim Kirchenamt der EKD (Bestelladresse: Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, E-Mail:  jessica.jaworski@ekd.de). Weitere Texte zum Themenjahr „Reformation und die Eine Welt" sowie Materialien zum Download finden sich unter www.reformation-und-die-eine-welt.de/das-themenjahr/

Informationen

Autor:Thorsten Leisser Quelle:EKD Datum:04-01-16
Schlagworte:
Reformation und die Eine Welt, Kirche, Miteinander,

Themenjahr 2016

Am Vorabend des Reformationsjubiläums werden die globalen Prägekräfte im Mittelpunkt stehen.

Die Reformation als Weltbürgerin

„Reformation und die Eine Welt“ – das Thema des letzten der Dekade-Jahre vor dem Reformationsjubiläum 2017 lenkt die Aufmerksamkeit auf die Reformation als Weltbürgerin (Martin Junge) in dieser globalen Welt.