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Der Protestantismus prüft seine Grundlagen: Die Durchsicht der Lutherbibel 2017

Lutherbibel aus dem Jahr 1534
Lutherbibel aus dem Jahr 1534 (Foto: Wikipedia/Torsten Schleese/Lutherhaus Wittenberg)

Eine Überarbeitung der Lutherbibel wird vorbereitet und soll im Jubiläumsjahr der Reformation 2017 vorliegen. Ist das sinnvoll und nötig? Erfahrene Pfarrer und Pfarrerinnen kennen die Schwierigkeiten unterschiedlicher Bibelausgaben, die sich auf Martin Luther berufen. Wenn sie heute bei Jubiläen oder am Grab Tauf- oder Konfirmationssprüche zitieren und auslegen, haben diese oft einen Wortlaut, der sich in der heutigen Lutherbibel nicht mehr findet.

Gerade dann, wenn Menschen mit einem Text sehr vertraut und ihre Lebenserfahrungen in ihm enthalten sind, können spätere Veränderungen befremden und schmerzen. Darum ist jede Korrektur in der Lutherbibel mit besonders strengen Maßstäben zu messen. Sie rührt an einen immer noch vielen Menschen vertrauten Text und zugleich an einen literarischen Schatz, der unkenntlich zu werden droht, wenn Neuerungen zu weitreichend sind.

Doch durchgreifende Änderungen gab es von Anfang an auch in dieser Bibelübersetzung, die die Glaubens- und Kulturgeschichte im deutschen Sprachraum so grundlegend bestimmt hat. Denn sie wurde schon seit ihren Anfängen immer wieder verändert – nicht nur von geschäftstüchtigen Druckern. Schon das „Dezembertestament“ Martin Luthers unterschied sich 1522 an mehreren Hundert Stellen vom „Septembertestament“ desselben Jahres, das sozusagen die Erstausgabe darstellt.

Luther hat die Übersetzung sein Leben lang geändert

Sein Leben lang bis zu seinem Tod 1546 hat der Reformator gemeinsam mit seinen Kollegen in Wittenberg die Übersetzung verändert und gebessert. Das setzte sich – vielfach als Wildwuchs – in den dann folgenden Jahrhunderten fort, bis die deutschen Landeskirchen 1892 nach umfangreicher Vorarbeit zum ersten Mal eine einheitliche „durchgesehene Ausgabe“ drucken ließen. Danach ist diese kirchenamtliche Fassung mehrfach überarbeitet worden: die ganze Bibel 1912, das Neue Testament 1956 und wiederum die ganze Bibel 1964–84.

Das entscheidende Motiv für diese regelmäßigen Korrekturen an einem so kostbaren und bekannten deutschen Bibeltext entspricht den Grundlagen der reformatorischen Kirchen. Ihr Grundsatz: „Allein die Schrift!“ fordert, dass ihre Übersetzungen dem biblischen Ausgangstext möglichst gut zu entsprechen haben. Das allerdings, ohne der deutschen Sprache Gewalt anzutun. Zunächst folgt daraus, dass von Zeit zu Zeit auch die Lutherbibel an den Texten der neuesten und besten wissenschaftlichen Ausgaben des hebräischen und griechischen Bibeltextes überprüft werden muss. Denn so haben es schon zu Luthers Zeit die Wittenberger Professoren gehalten, die jeweils die neuesten Editionen nutzten.

In diesem Sinne ergab eine vor etwa zehn Jahren vorgenommene „Probebohrung“ im Alten wie im Neuen Testament einige Schwachpunkte der Lutherbibel, die verbessert werden sollten. Doch anders als bei den bisherigen Revisionen gab der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland ausdrücklich den Auftrag, die Sprache nicht erneut an das heute gesprochene Deutsch anzupassen. Das hatte man im Neuen Testament noch bis 1975 energisch versucht und 1984 nur zögernd zurückgenommen.

Entscheidung zwischen Urtext und Luthers Verdeutschung

Jetzt heißt die Aufgabe, keine weiteren sprachlichen Modernisierungen vorzunehmen, sondern einerseits den Text der Lutherbibel am hebräischen und griechischen Text der neuesten Ausgaben zu kontrollieren und anderseits den sprachlichen Reichtum der Lutherbibel zu wahren. Beide Forderungen scheinen sich zu widersprechen. An manchen Stellen gilt es wirklich, sich zwischen dem Urtext und Luthers Verdeutschung zu entscheiden, also eine behutsame Veränderung vorzuschlagen.

So sollte man in 1. Mose 29,17 nicht übersetzen: „Lea hatte ein blödes Gesicht“, sondern eher „Leas Augen waren sanft“. Es geht dort nach der Erkenntnis der Alttestamentler ursprünglich nicht um den Gegensatz einer hässlichen Lea und einer schönen Rahel, sondern um unterschiedliche Schönheitsideale. Oft genug jedoch entdecken die Bearbeiter im Lauf der Beschäftigung mit den Texten, dass ein Bibelvers von Luther und seinen Mitarbeitern einst recht genau übersetzt wurde, die Bearbeiter im Lauf der Jahrhunderte aber davon abgewichen sind.

Wenn in solchen Fällen der Wortlaut Luthers noch heute gut verständlich ist, dann wird die neue Fassung zu Luthers Text zurückkehren. So lesen wir heute in Psalm 42,2: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.“ Doch ein Blick in die hebräische Bibel ergibt: In beiden Fällen wird ein und dasselbe Verb verwendet. Ob man das sehr seltene hebräische Verb mit "lechzen“ oder "schreien“ übersetzen soll, ist unter Exegeten umstritten. Luther fasste es so auf wie die jüdischen Bibelausleger und schrieb auch am Anfang „Wie der Hirsch schreit …“. Die Überarbeitung wird aus gutem Grund Luthers eindrückliche Wendung wiederherstellen, die mit der Wiederholung von „schreien“ das elementare Verlangen nach Gottes Hilfe artikuliert.

Gemeinsames ökumenisches Lesen

Größere Eingriffe verlangen die Apokryphen, also die Bücher Judith, Jesus Sirach usw., die vor allem Mitarbeiter Luthers ins Deutsche übertrugen. Sie werden erstmals auf der Grundlage moderner wissenschaftlicher Ausgaben zum Teil völlig neu übersetzt. Damit wird die Lutherbibel in diesem Teil vollständiger und zuverlässiger und eine jahrhundertealte stiefmütterliche Behandlung dieser Texte wird korrigiert. Die Lutherbibel kann so auch im gemeinsamen ökumenischen Lesen, etwa mit der katholischen Einheitsübersetzung, leichter genutzt werden.

An dieser umfangreichen Arbeit beteiligen sich mehr als 50 Wissenschaftler, darunter Fachleute für Germanistik und Liturgiewissenschaft. Sie debattieren zunächst ihre Vorschläge in kleineren Fachgruppen, ehe dann ein Lenkungsausschuss die Textfassung der biblischen Bücher festlegt, die dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Genehmigung vorgelegt wird.

Was also werden Bibelleser in einer neuen Ausgabe der Lutherbibel finden? Sie werden einen zuverlässigeren Text in der Hand haben, der den gegenwärtigen Erkenntnisstand der Theologie beachtet. Weiter wird zum ersten Mal eine Überarbeitung der Lutherbibel an vielen Stellen bewusst zu Luthers Formulierungen zurückkehren und sich nicht weiter von ihm entfernen. Und schließlich sollen die Texte wie bisher im Gottesdienst vorgelesen und gehört werden können. Ihre poetische Kraft soll erhalten bleiben.


Christoph Kähler
(Foto: EKD/Armin Kühne)

Prof. Dr. Christoph Kähler ist Professor em. für Neues Testament an der Universität Leipzig und Vorsitzender des Lenkungsausschusses „Durchsicht der Lutherbibel“, den die EKD 2010 eingesetzt hat.

Der Text ist erschienen im EKD-Magazin „Reformation – Bild und Bibel“. Das Magazin (DIN A 4) gibt es als PDF-Download oder kostenlos beim Kirchenamt der EKD (Bestelladresse: Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover, E-Mail: jessica.jaworski@ekd.de). Weitere Texte zum Themenjahr „Reformation – Bild und Bibel“ sowie Materialien zum Download finden sich unter www.reformation-bild-und-bibel.de/.

 

 

 

Informationen

Autor:Christoph Kähler Quelle:EKD-Magazin "Reformation - Bild und Bibel“
Schlagworte:
EKD, Bibel, Lutherbibel, Christoph Kähler, Durchsicht

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