„Healing of Memories“

Ökumenischer Buß- und Versöhnungsgottesdienst

In diesem Jahr wird erstmals in der Geschichte der seit dem Reformationszeitalter getrennt lebenden Kirchen ein Reformationsjubiläum in ökumenischer Gemeinschaft gefeiert. Ein zentrales Ereignis dafür ist ein Buß- und Versöhnungsgottesdienst am 11. März 2017 in Hildesheim, der vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, und dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, gemeinsam geleitet wird. In diesem unter dem Stichwort „Healing of Memories“ stehenden Gottesdienst werden anlässlich des 500. Jahrestages der Reformation die leidvollen Auswirkungen der beiden getrennt lebenden Kirchen bedacht, und Gott um Vergebung gebeten für das Versagen beider Seiten. Ebenso werden aber auch Dank und Freude zum Ausdruck gebracht für das, was beide Kirchen aneinander haben und was sie aneinander schätzen. Dieser zentrale Gottesdienst ist nicht nur innerkirchlich von Bedeutung, sondern dient der Verständigung und Versöhnung in unserer Gesellschaft. Er wird live in der ARD übertragen.

Die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland regen an, nach der zentralen Feier in Hildesheim ähnliche Gottesdienste auf regionaler oder lokaler Ebene zu feiern. Ein liturgischer Entwurf dafür, der auch dem zentralen Gottesdienst am 11. März 2017 zugrunde liegt, ist enthalten im von der EKD und vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen gemeinsamen Text „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen. Ein gemeinsames Wort zum Jahr 2017“. In dieser Veröffentlichung werden theologische Schlüsselbegriffe und Erinnerungsorte beschrieben, die das kollektive Gedächtnis bis heute prägen; gleichzeitig werden die Fortschritte deutlich, die es in der ökumenischen Bewegung gibt, ohne die noch offenen Fragen zu verschweigen.

I.

Der Wille zur Versöhnung

Für ihren Versöhnungsgottesdienst haben Protestanten und Katholiken eine bildhafte Szene gewählt: Ein 2,40 Meter hohes dreidimensionales Kreuz, das zunächst den Zugang zum Altar versperrt, wird aufgerichtet – und gibt den Weg frei.

Die Darstellung, wie aus einem Sperrsymbol ein Zeichen der Versöhnung wird, illustriert die Botschaft des zentralen Buß- und Versöhnungsgottesdienstes im Festjahr zu 500 Jahren Reformation, der am 11. März in der Michaeliskirche in Hildesheim gefeiert wird: „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“. Und das an einem symbolträchtigen Ort: in der zweitältesten Simultankirche Deutschlands, die Protestanten und Katholiken bereits seit 1542 gemeinsam nutzen.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (re.) und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx erteilen bei einem ökumenischen Abschlussgottesdienst der gemeinsamen Pilgerfahrt den Schlusssegen. (Bild: Harald Oppitz/KNA)

Dieser Wille zur Versöhnung wäre früher unvorstellbar gewesen. Vor 500 Jahren, am 31. Oktober 1517, hatte Martin Luther seine 95 Thesen gegen die Missstände der Kirche seiner Zeit veröffentlicht. Mit seiner Kritik löste er die weltweite Reformation aus, die nicht nur zur Spaltung der Kirche führte, sondern auch teils äußert blutige Kriege nach sich zog. Die folgenden Reformationsjubiläen nutzten Protestanten und Katholiken zu gegenseitigen Verurteilungen.

Doch nun wollen sie daran erinnern, was sie sich im Laufe der Jahrhunderte angetan haben, ihre Schuld bekennen, um Vergebung bitten, für die heutige Verbundenheit danken und sich „im Angesicht Gottes auf die weitere Vertiefung unseres Miteinanders verpflichten“, heißt es im „Gemeinsamen Wort zum Jahr 2017“, das auch die Liturgie des Gottesdienstes in Hildesheim enthält – mit der Aufforderung an katholische und evangelische Nachbargemeinden zum Nachmachen.

Unterschrieben und vorgestellt haben das Papier der Ratsvorsitzende der (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. „Ein fast revolutionäres Ereignis“, nannte Marx das. Sie stellten die ökumenische Verbundenheit heraus, erklärten aber auch, dass „um das rechte Verständnis der Wahrheit des Evangeliums“ weiter gerungen werden müsse.

Die beiden obersten deutschen christlichen Repräsentanten aus München, die für diese Verbundenheit ein gutes Vorbild abgeben, leiten den Buß- und Versöhnungsgottesdienst im Wechsel. Im Sommer 2015 hatten sich Bedford-Strohm und Marx darauf geeinigt, dass sie mit der Bezeichnung „Christusfest“ für die Reformationsfeiern an die gemeinsame Wurzel – Jesus Christus als Grund allen Glaubens – erinnern wollen. Es folgten unter der Überschrift „Healing of Memories“ (Heilung der Erinnerungen) das „Gemeinsame Wort“, eine ökumenische Pilgerreise in Israel und nun der Versöhnungsgottesdienst.

Schulterschluss vor dem Reformationsjubiläum

Mit Blick auf die Feiern zum 500. Jahrestag des Lutherschen Thesenanschlags stellen evangelische und katholische Kirche in Deutschland ihre Gemeinsamkeiten heraus. „Ein fast revolutionäres Ereignis“, nennt das Kardinal Marx.

Bedford-Strohm: „Botschaft der Reformation trennt uns nicht mehr“

International und ökumenisch – Mit diesen Worten hat Heinrich Bedford-Strohm, die Planungen für das 500. Reformationsjubiläum überschrieben.

An diesem ökumenischen Schwerpunkt gibt es auch Kritik. So beklagt der Wiener evangelische Theologieprofessor Ulrich Körtner, dem Ökumene-Ziel werde alles andere untergeordnet: „Die theologische Beschäftigung mit dem Erbe der Reformation und ihren bleibenden Impulsen bleibt an der Oberfläche haften“, schrieb er auf „evangelisch.de“. Dies markiere einen „theologischen Tiefpunkt“. Er erinnerte an den EKD-Grundlagentext zum Reformationsjubiläum „Rechtfertigung und Freiheit“ von 2014, der von der römisch-katholischen Kirche kritisiert worden war. „Das Projekt ‚Healing of Memories‘ verfolgt offenkundig das Ziel, den ungeliebten Text ‚Rechtfertigung und Freiheit‘ vergessen zu machen“, so Körtner.

Doch trotz aller Gemeinsamkeiten wird auch in Hildesheim eine Trennung deutlich werden, die viele Menschen nicht verstehen: Es gibt kein gemeinsames Abendmahl. „Noch immer haben wir keinen Weg gefunden, im eucharistischen Abendmahl unsere Gemeinschaft mit Jesus und untereinander zu feiern“, wird Marx laut Liturgie-Text sagen. In dem Ökumenetext wird das Ziel ausgegeben, „auf dem ökumenischen Weg geduldig und zielstrebig weiterzugehen, damit die Einheit unter uns weiter wächst und Abendmahls- und Eucharistiegemeinschaft möglich wird“. Eine schnelle Lösung werde es aber „aller  Voraussicht nach nicht geben“.

Mit dem Anliegen, das Reformationsjubiläum als ökumenische Chance zu sehen, haben die Deutschen, zumindest was die Lutheraner betrifft, ein internationales Vorbild. Am 31. Oktober 2016 machten der Lutherische Weltbund und Papst Franziskus mit einem gemeinsamen Gottesdienst im schwedischen Lund einen viel beachteten Anfang unter der Überschrift „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“. Auch davor hatten jahrhundertelange Konflikte, Verurteilungen und einige jahrzehntelange Annäherungsversuche gelegen.

Info

Stichwort: Healing of Memories

Evangelische und katholische Kirche in Deutschland suchen zum 500. Reformationsjubiläum gemeinsam nach Wegen zur Versöhnung. Für das „Healing of Memories“, deutsch: „Heilung der Erinnerungen“, gibt es weltweit Vorbilder.

So stand der Versöhnungsprozess nach dem Ende der Apartheid in Südafrika unter dieser Überschrift. Vertreter der Kirchen waren maßgeblich daran beteiligt. Im engeren Sinn ist „Healing of Memories“ ein seelsorgerlich-therapeutisches Verfahren in der Täter-Opfer-Arbeit. In den vergangenen Jahren wurde der Begriff aber auf Aussöhnungen zwischen Religionsgemeinschaften, Kulturen und Volksgruppen erweitert, zum Beispiel auch in Nordirland, Bulgarien, Ungarn, Serbien und Bosnien-Herzegowina.

„Heilung der Erinnerungen“ sieht vor, dass die Beteiligten für einen bestimmten Zeitraum Begegnungen vereinbaren, sich ihre Geschichte erzählen und ihre Sicht auf Konflikte schildern. Dabei soll deutlich werden, was man selbst erlitten und was man dem anderen angetan hat. „Healing of Memories“ meint Heilung der und auch durch Erinnerungen. Zum einen sollen Wunden und Narben sich verschließen, indem man über das Erlebte spricht (Heilung der Erinnerungen). Zum anderen soll Heilung durch Erinnerungen möglich werden, indem man seinen Blick weitet.

II.

„Es muss nicht alles einheitlich sein“ Drei Fragen an den theologischen EKD-Vizepräsidenten Thies Gundlach zur Ökumene

Dr. Thies Gundlach, Vizepräsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Leiter der Abteilung "Kirchliche Handlungsfelder" (Bild: Norbert Neetz/epd-bild)

Der theologische Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD, Thies Gundlach, hat den Buß- und Versöhnungsgottesdienst maßgeblich mit vorbereitet. Der Evangelische Pressedienst hat mit ihm über das Projekt gesprochen.

epd: Herr Gundlach, „Erinnerung heilen“ – was bedeutet das genau?

Thies Gundlach: Damals im 16. Jahrhundert sind mit der Reformation und Gegenreformation schwere Zerwürfnisse entstanden, die noch heute unser Bild voneinander prägen. Für Protestanten sind die katholischen Geschwister oft diejenigen, die ein bisschen enger und konservativer sind, während umgekehrt die Protestanten für die Katholiken viel zu staatsnah sind und immer so tun, als seien sie die Modernen. Sich über diese falschen Bilder und Vorurteile gegenseitig klarzuwerden und um Vergebung zu bitten vor Gott und vor dem jeweils anderen – das ist der Grundgedanke von „Healing of Memories“.

epd: Welchen Impuls erhoffen Sie sich davon?

Gundlach: Wenn es uns gelingt, in Zukunft nicht mehr die Vorurteile übereinander sprechen zu lassen, die immer noch irgendwie in unseren Köpfen und Herzen ihr Unwesen treiben, sondern den anderen als einen Reichtum, als eine Gabe in der Vielfalt von Gottes Barmherzigkeit zu sehen, dann wäre schon viel gewonnen. Es bleiben die theologischen Unterschiede etwa im Verständnis von Amt und Abendmahl; das soll auch gar nicht übersprungen werden. Aber ich glaube, das Heilen der Erinnerungen ist eine ganz wesentliche Voraussetzung dafür, dass man ökumenisch den nächsten Schritt gemeinsam machen und mit großer Gelassenheit die bleibenden Unterschiede würdigen kann. Es muss nicht alles einheitlich sein.

epd: Wird 2017 als das ökumenische Reformationsjubiläum in die Geschichte eingehen?

Gundlach: Ja, das hat es in der Form noch nicht gegeben, dass wir das Reformationsjubiläum so gemeinsam feiern können bei Achtung der Unterschiede. Früher war das ja auch ein riesiges Abgrenzungsfest, bei dem der Protestantismus gesagt hat: Wir sind nicht katholisch. Und das war ein großer Teil der Botschaft. Das machen wir heute nicht mehr so, sondern wir sagen: Evangelisch aus gutem Grund sind wir, weil wir die Freiheit eines Christenmenschen stark machen wollen in und für die Gegenwart. Wir sind gern evangelisch, und das feiern wir auch ordentlich, ohne aber zu sagen: Wir sind besser als die Katholiken. Das ist das Neue – und eine riesige Chance für die Wahrnehmung gemeinsamer Verantwortung in unserer Welt.

III.

St. Michael in Hildesheim vom Turm der St. Andreaskirche aus gesehen
St. Michael in Hildesheim vom Turm der St. Andreaskirche aus gesehen (Bild: Wikimedia Commons/Fotografie von Hildesia)

Symbol verlorener Einheit Simultankirche und Weltkulturerbe: Die 1000 Jahre alte St. Michaeliskirche in Hildesheim

Der Ort des ökumenischen Buß- und Versöhnungsgottesdienstes „Erinnerung heilen – Jesus Christus bezeugen“, die Hildesheimer St. Michaeliskirche, ist ein besonderes Gotteshaus. Die mehr als 1000 Jahre alte Kirche gehört nicht nur zum Weltkulturerbe der Unesco – sie ist auch eine Simultankirche. Protestanten und Katholiken beten hier seit Jahrhunderten unter einem Dach, wenn auch zu verschiedenen Zeiten. „Das ist ein symbolischer Ort“, sagt Thies Gundlach von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Bestens geeignet also für den zentralen Buß- und Versöhnungsgottesdienst zum 500. Reformationsjubiläum, zu dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck erwartet werden.

64 Simultankirchen gibt es noch in Deutschland, die meisten davon in der Pfalz und in Franken. Mal teilen Trennwände die Kirche, mal feiern die Konfessionen ihre Gottesdienste im Wechsel. „Jede Kirche ist ein Unikum“, erläutert Buchautor Heinz Henke aus Bautzen. Einst gab es in Deutschland Tausende solcher Kirchen. Vor allem nach dem 30-jährigen Krieg suchten viele Landesherren den konfessionellen Ausgleich und legten Kirchen zusammen. Oft hatten sie schlicht kein Geld, um zerstörte Kirchen wieder aufzubauen. Doch das Miteinander war nicht immer einfach. „Es gab oft Reibereien“, sagt Henke. Vor allem Taufen und Trauerfeiern sorgten immer wieder für Streit. „Da hat man zugesehen, dass man wieder autonom wurde.“

Durchgang von der evangelischen Michaeliskirche zum katholischen Michaeliskloster in Hildesheim. Bis 2006 trennte eine Mauer beide Konfessionen. (Bild: Jens Schulze/epd-bild)

Unter den noch bestehenden Simultankirchen ist die Hildesheimer St. Michaeliskirche nach dem Dom in Bautzen die zweitälteste. Bereits seit 1542 feiern die Protestanten dort sonntags ihre Gottesdienste im großen Kirchenschiff. Ein Nebenraum mit dem Grab des Bischofs Bernward von Hildesheim (um 960-1022), die Krypta, blieb jedoch in der Obhut des katholischen Bistums. Bis heute feiern die Katholiken dort jeden Donnerstag eine Messe. „Die St. Michaeliskirche erinnert an die verloren gegangene Einheit der Kirche“, sagt der Hildesheimer evangelische Landessuperintendent Eckhard Gorka.

Mehr als 400 Jahre waren beide Teile in der Kirche hermetisch voneinander abgeriegelt und gaben so ein Spiegelbild der konfessionellen Beziehungen ab. Ursprünglich gab es zwei Türen zwischen dem großen und dem kleinen Raum. „Doch die wurden komplett zugemauert“, erzählt Gorka. Und die Mauern schienen undurchdringlich. Als Kaiser Wilhelm II. am Reformationstag des Jahres 1900 die romanische Kirche besuchte, schufen die Hildesheimer für ihn zwar extra einen Durchgang vom Kirchenschiff zur Krypta. Doch kaum war der Kaiser weg, mauerten sie die Öffnung wieder zu. Katholiken und Protestanten nutzten weiterhin getrennte Eingänge.

Erst 1972 wurde eine der beiden Türen geöffnet und durch eine eiserne Gittertür ersetzt. Doch auch die war meist verschlossen. „Als ich 1992 hier Vikar war, sind wir ein einziges Mal mit Hilfe des Küsters in der Krypta gewesen“, erinnert sich Gorka. Erst 2006 kam der Durchbruch: Handwerker entfernten die Gittertür und brachen auch die zweite Tür auf.

Als die Steine fielen, feierten beide Konfessionen zusammen eine Andacht: Auf der einen Seite wartete Gorka mit Posaunenchor, von der anderen Seite kam der katholische Bischof Norbert Trelle in vollem Ornat und überreichte ihm das Bernward-Kreuz. Dieser Durchbruch sei „ein unabweisbares ökumenisches Symbol“ gewesen, freut sich Gorka. Der Gottesdienst „Erinnerung heilen“, der live im ARD-Fernsehen übertragen wird, soll nun dazu beitragen, dass die Ökumene in Deutschland weiter wächst.