Kirchenhistoriker: Luther konnte sich Judenmord nicht vorstellen von Bernd Buchner

Luther und die Juden
(Graphics: Bayerischer Rundfunk)

Der Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann hat sich zurückhaltend zum Zusammenhang zwischen Martin Luthers Antijudaismus und dem mörderischen Rassenantisemitismus des 20. Jahrhunderts geäußert. Die Rezeptionsgeschichte widerlege die Auffassung,dass sich „direkte Linien“ von der Aufnahme von Luthers Texten zum späteren Rassenhass ziehen ließen, sagte er bei der Veranstaltung „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Martin Luther, die Juden und die Kirche“ am 20. November 2013 in der Evangelischen Akademie der Nordkirche in Hamburg.

Thomas Kaufmann
Thomas Kaufmann zählt zu den bekanntesten Reformationshistorikern in Deutschland (Bild: Georg-August-Universität Göttingen)

Wo sich die NS-Judenpolitik auf Luther bezogen habe, liege eine „Erfindung von Tradition“ vor, so der Göttinger Wissenschaftler. „Eine Ermordung von Juden lag außerhalb des Luther Vorstellbaren. Er wollte jüdischem Leben die Grundlage entziehen, nicht weniger, aber auch nicht mehr.“ Die Haltung gegenüber den Juden sei zudem vor dem 20. Jahrhundert „kein zentrales Thema des Lutherbildes“ gewesen, so Kaufmann. Der Zivilisationsbruch, der sich mit dem Namen Auschwitz verbinde, lasse indes jede Apologetik, auch gegenüber Luther, als unangemessen erscheinen. „Das ist unsere Verantwortung; seine war eine andere.“

Synagogen niederbrennen, Häuser einreißen

In seinem Vortrag verwies Kaufmann auf die Wandlungen in Luthers Judenbild. In der Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ von 1523 habe er sich noch freundlich über das Volk der Bibel geäußert. Die Hoffnung auf eine Bekehrung der Juden zum Christentum zerschlug sich allerdings bald, worauf Luther einige deutlich antijüdische Traktate verfasste. In „Von den Juden und ihren Lügen", veröffentlicht 1543, ruft er dazu auf, Synagogen zu verbrennen und jüdische Häuser niederzureißen. Die Schrift ziele darauf ab, „die Grundlage jedes jüdischen Lebens in Deutschland zu vernichten“, erläuterte der Kirchenhistoriker. „Zu diesem Zweck nahm er in einer erschütternden enzyklopädischen Fülle und ohne jede sittliche und intellektuelle Scham auf, was immer er an belastbaren Nachrichten und Ressentiments über Juden vorfand.“

Eine Folge der Veröffentlichung war nach den Worten Kaufmanns, dass das Kurfürstentum Sachsen 1543 das bedingte Durchzugsrecht für Juden aufhob. Auch die Vertreibung der jüdischen Einwohner in Luthers Geburtsstadt Eisleben vier Jahre später sei als „posthumes Ergebnis seiner entsprechenden Bemühungen zu bewerten, die er bei seiner letzten Reise dorthin unternahm.“ Luther starb am 18. Februar 1546 in Eisleben. Nähere Kontakte des Reformators zu Vertretern des Judentums sind nicht belegt. Trotz Luthers Meinungswandel gebe es in seiner theologischen Haltung zum Volk der Bibel Kontinuität, sagte der Kirchenhistoriker. „In keiner Phase seiner Entwicklung sah Luther im Judentum eine legitime Auslegungsgestalt der biblischen Überlieferung des Alten Testaments."

„Schattenseite des Rechtfertigungsglaubens“

Martin Luthers Judenbild sei kein Nebenthema seiner Theologie und die „Schattenseite seiner Christusliebe, seines Rechtfertigungsglaubens“, so Kaufmann weiter. Gerade deshalb handele es sich nicht um ein Thema, „dessen sich die evangelische Christenheit kurzerhand, und sei es durch Distanzierungsformeln, entledigen kann.“ Mit Blick auf konkrete Maßnahmen stehe Luther dort, wo schon die vorreformatorische Theologie mehrheitlich gestanden habe. „In dem, was ihn für unsere Zeit in Bezug auf den Umgang mit den Juden so verachtungswürdig macht, fällt Luther aus seiner Zeit nicht heraus. Eine Entschuldigung kann dies bei einem Mann vom Format Luthers nicht sein.“


Den Vortrag von Thomas Kaufmann finden Sie hier im Volltext (PDF).