Skip to main content

Der finnische Reformator war ein Schüler Luthers – und der Lehrer Finnlands

Büste von Mikael Agricola
Büste von Mikael Agricola in seinem Geburtsort Pernaja (Bild: Wikimedia Commons)

Sie sind so etwas wie seine Ur-Ur-Ur-Enkel: Die finnischen Autorinnen und Autoren, die Ehrengäste der Frankfurter Buchmesse sind. Ihr Ahnherr ist Mikael Agricola (um 1509-1557), der Reformator Finnlands.

Er hat nicht nur den evangelischen Glauben nach Finnland gebracht, er gilt auch als Begründer der finnischen Literatursprache. Mikael Agricola hatte in Wittenberg bei Martin Luther studiert. Begeistert hat Agricola die Idee der Reformation geteilt, dass jeder Gottes Wort in seiner Muttersprache kennenlernen soll und verstehen kann.

Finnische Bibel und finnische Fibel

Sein Lehrer Luther hatte 1521 auf der Wartburg das Neue Testament ins Deutsche übersetzt und später auch das Alte Testament. Gut zwanzig Jahre später tat es Agricola ihm gleich. Er übertrug das Neue Testament und die Psalmen ins Finnische. Doch viele seiner finnischen Landsleute waren Analphabeten. Was aber nützt die schönste Bibelübersetzung, wenn kaum einer sie lesen kann? So schuf Agricola nach der ersten finnischen Bibel auch die erste finnische Fibel. Mit diesem ABC-Buch lernte im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert ganz Finnland Lesen und Schreiben.

Eigentlich wussten das die Humanisten schon vor der Reformation: Lesen ist eine Schlüsselqualifikation. Doch bei Agricola wie bei Luther, ja bei den Reformatoren insgesamt, kam ein entscheidendes Motiv hinzu: Lesen ist eine Schlüsselqualifikation des Glaubens! Als Quelle des Glaubens sollte die Bibel für alle verfügbar sein. Und deswegen sollte jede und jeder Lesen und Schreiben können. Die Geistlichkeit und wenige Privilegierte konnten es schon vorher. Aber damit war Lesen und Schreiben Herrschaftswissen. Die meisten Menschen waren davon ausgeschlossen.

Die Reformation setzte konsequent auf Bildung, so wie Martin Luther immer wieder gefordert hat: „Dass man die Kinder zur Schule halten soll." Es folgten dann ähnliche katholische Reform-Bemühungen. Bis zu einer modernen Pädagogik war es allerdings noch ein langer Weg.

PISA-Studie bescheidigt finnischen Kindern hohe Lesekompetenz

Es dauerte, bis Lesen in der Praxis für alle möglich wurde. Bis alle zur Schule gehen konnten, auch die Mädchen. Auch die, die wenig Geld hatten. Es dauerte, bis alle eine Bibliothek in ihrer Nähe finden konnten oder sich Bücher leisten konnten. Bis arbeitende Menschen überhaupt freie Zeit erstritten hatten, zum Lesen und zur Weiterbildung. Noch vor wenigen Generationen mussten sich zum Beispiel Dienstboten freie Zeit erstreiten, alle vierzehn Tage sonntags. Bezeichnenderweise waren es die kirchlichen Bibelgesellschaften, die sie dabei unterstützten.

Auch heute ist längst nicht alles gut. Erst vor vier Wochen hat die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, festgestellt: In Deutschland hängt der Bildungserfolg junger Menschen zu sehr von der sozialen Herkunft der Eltern ab. Immer noch. Mehr als in den meisten anderen Industrienationen. Also gibt es noch viel zu tun. Was und wie das besser werden kann, dazu lohnt der Blick nach Finnland. Denn: Wozu Mikael Agricola den Grund gelegt hat, das entwickeln die Finnen bis heute erfolgreich. So erfolgreich, dass die Fähigkeit der Kinder zum Lesen und Verstehen wiederholt hohes Niveau erreicht. Und sie im internationalen Vergleich der Schulleistungen bei PISA stets die ersten Plätze belegen.

Und es lohnt sich ein Blick in die finnische Literatur. Die kann man jetzt in Frankfurt auf der Buchmesse entdecken, oder in der nächsten Bücherei oder Buchhandlung.


Dieser Text lief am 8. Oktober 2014 als Morgenandacht im Deutschlandfunk.